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Beautiful Loser

Geschichte Info
Eine seltsame Nacht in Dublin 1986.
7.2k Wörter
4.24
25.9k
3
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Mitten in seinem Traum schrillte plötzlich etwas. Eine Sirene. Nein, ein Telefon.

Leck mich doch am Arsch.

Er träumte, dass er das ätzende Gerät packte, es ins Klo schmiss und runterspülte. Was in Träumen nicht alles möglich war.

Tatsächlich hörte das nervtötende Geräusch auf, dafür setzte ein noch lauteres Hämmern ein, das ihn endgültig aus dem Schlaf holte.

Was zur Hölle ...?

„Foster!", hörte er eine wütende Männerstimme. „Machen Sie verdammt noch mal auf! Ich weiß, dass Sie da sind, Sie verfluchter Mietnomade!"

Verschlafen grunzte er einen Fluch. Da war jemand an der Tür. Dann hätte er das Telefon gar nicht wegspülen müssen. Die verdammte Türklingel hatte ihn geweckt.

„FOSTER! ICH HOL DIE POLIZEI, WENN SIE NICHT SOFORT AUFMACHEN!"

Alter, du kannst mich mal ...

Stöhnend wälzte er sich herum, wunderte sich noch, dass er nichts mehr unter sich spürte und landete in der nächsten Sekunde polternd auf dem Boden, eine umgekippte Wodkaflasche in den Rippen.

„Ah! So eine Drecksscheiße, verfickte!"

Er öffnete ein verquollenes Auge und stellte fest, dass er mal wieder auf dem Sofa eingepennt war. Kein Wunder, dass er völlig kreuzlahm war.

„FOOOSTEERRR!"

„Ja, verdammt!", brüllte er heiser zurück, die Stimmbänder rau von Alkohol und Zigarettenqualm.

Schwankend kam er auf die Füße, kickte dabei unabsichtlich leere Bierflaschen und Kippen zur Seite. Benommen schlurfte er aus dem miefenden Zimmer in den kleinen Flur. Die dünne Wohnungstür erzitterte durch das Gehämmer.

„Ach du heilige Scheiße", murmelte er und fuhr sich mit der Hand über das unrasierte Gesicht. Er konnte kaum klar denken und musste sich mit so einem Arsch herumschlagen. Gerade als die Tür sich unter einem Faustschlag bereits nach innen zu wölben schien, drückte er die Klinke herunter.

Im Hausflur stand mit bedrohlich geschwollener Halsschlagader, die Rechte noch zum nächsten Schlag erhoben, Claus Lancaster, sein Vermieter. Und ein Stück hinter ihm zwei junge Mädchen, die sein verkatertes Hirn nicht einordnen wollte. Was hatten die denn hier verloren? Und wieso fiel ihm gerade jetzt auf, dass er in Jeans und Unterhemd im Türrahmen lehnte und obendrein aus sämtlichen Poren nach Schweiß und Alkohol stank, weil er seit vorgestern Abend nicht geduscht hatte?

Ach, scheiß drauf.

„Was soll 'n der Terror am frühen Morgen, Mann?"

„Auch noch frech werden!", schnauzte Lancaster, schon ganz außer Atem vom Schreien. „Seit Monaten hab ich mich von Ihnen hinhalten lassen, Sie elender Sozialschmarotzer! Seit Mo-na-ten! Denken nicht dran, sich Arbeit zu suchen, hängen den ganzen Tag nur in der Kneipe oder pennen und lassen die Wohnung vergammeln! Aber jetzt reicht 's, ich bin lang genug Menschenfreund gewesen. Entweder, Sie legen mir bis Ende der Woche die Miete auf den Tisch oder Sie landen auf der Straße!"

„Bis Ende der Woche?", fragte er und kratzte sich am Kopf. „Was is' 'n heute noch mal für 'n Tag?"

„Montag", sagte sein Vermieter eisig. „Und um Ihrem versoffenen Hirn noch ein bisschen auf die Sprünge zu helfen: Mit Ende der Woche meine ich Freitag. Das heißt, Sie haben exakt dreieinhalb Tage Zeit, Ihre Schulden zu begleichen!"

„Wieso dreieinhalb?", wollte er irritiert wissen und warf der grinsenden Wasserstoffblondine, die hinter Lancaster betont lässig am Treppengeländer lehnte, einen ärgerlichen Blick zu. „Was gibt's da zu lachen, hm?"

„Der Montag ist schon zur Hälfte vorbei, Sie Penner! Also sehen Sie zu, dass Sie das Geld zusammenkriegen, wenn Sie nicht mitsamt Ihrem ganzen Krempel auf der nächsten Müllkippe landen wollen!"

„Bleiben Sie mal auf'm Teppich, ja?" Erst jetzt wurde ihm langsam klar, was Lancaster da von ihm verlangte. „Moment mal -- ich soll bis Freitag was?"

„Ihre verdammten Schulden bezahlen!" Das Gesicht des Alten nahm allmählich einen wirklich ungesunden Farbton an.

„Alter, das sind doch ... " Wie lange hatte er jetzt nichts bezahlt -- Mai, Juni ...

„Neunhundert Pfund!" Lancaster betonte jede Silbe einzeln. „Für drei Monate, die ich diesen Firlefanz hier schon mitmache. Neunhundert Irische Pfund -- schreiben Sie sich das am besten gleich auf, falls Sie das überhaupt können."

„Neunhundert, Mann! In drei Tagen? Wollen Sie mich verarschen?"

„Dreieinhalb Tage", stellte sein Vermieter mit einem süffisanten Lächeln richtig. „Das sollte doch locker zu schaffen sein, wenn Sie Ihr Geld in der Zeit nicht versaufen, oder, Foster?" Damit drehte er sich zu den Mädchen um und marschierte zur Treppe. „Kommt, Kinder, wir haben hier genug Zeit verschwendet."

Die aufgedonnerte Blonde mit den bescheuert hochtoupierten Haaren löste sich mit einer lasziven Bewegung vom Geländer und ließ mit einem breiten Grinsen ihren Blick an ihm hoch- und wieder heruntergleiten, bevor sie hinter dem Alten die Treppe herunter stakste. Die andere, ungeschminkte, deren braune schulterlange Locken zu einem einfachen Pferdeschwanz gebunden waren, folgte ihr zögernd. Ihr Blick kreuzte einen Moment lang seinen, war aber zu seiner Überraschung nicht im Geringsten herablassend oder gehässig. Eher ... mitfühlend. Fast, als würden ihre Augen ihn um Entschuldigung bitten für den Auftritt von Lancaster.

Verdammt, er wollte kein Mitleid!

Als das Mädchen die Treppe herunter verschwunden war, stürmte er aus der Wohnung und beugte sich übers Geländer.

„Neunhundert Pfund?", brüllte er nach unten. „Haben sie dir ins Hirn geschissen, du blöder Wichser? Für das Scheißloch ist jeder Penny zu viel!"

Als Antwort fiel krachend die Haustür ins Schloss.

Mickey starrte noch eine Weile sinnlos Löcher in die Luft, dann stieß er sich vom Geländer ab und schlurfte zurück in seine Wohnung.

Dreieinhalb Tage. Das dämliche Arschloch konnte ihn mal.

Er schnüffelte an seiner Achsel. Verdammt, er stank wirklich. Also, erst mal zur Abwechslung unter die Dusche und dann... noch 'ne Runde pennen.

***

„Musstest du uns unbedingt hierhin mitnehmen, Dad?", fragte Meryl im Auto. „Dieser Typ ist ja wohl das Allerletzte."

„Genau deshalb wollte ich, dass ihr hier mit reinkommt", erwiderte Lancaster und fuhr so zügig der Verkehr es zuließ, um aus dem verlotterten Dubliner Vorort wieder herauszukommen. „Solche Kerle sind genau das, was junge Menschen wie ihr als abschreckendes Beispiel benötigt. Damit ihr bloß nicht auch mal so endet."

Luca verdrehte auf dem Rücksitz bloß die Augen. Und wir haben mal wieder erlebt, wie schön du dich zum Affen machen kannst, dachte sie. Ein ganzes Haus zusammenschreien und jemandem fast die Tür einschlagen, was für ein seriöser, respekteinflößender Vermieter du doch bist.

Ihr Vater warf ihr im Rückspiegel einen scharfen Blick zu. „Na, du sagst ja gar nichts. Du würdest diesen Vollidioten noch in Schutz nehmen, was?"

Meryl kicherte. „Wahrscheinlich steht sie auf den ekligen Penner."

Die junge Frau schüttelte nur den Kopf und schaute aus dem Fenster. „Wer Frank Zappa hört, kann kein Vollidiot sein", sagte sie leise.

Lancaster drehte sich halb zu ihr um. „Was?"

„Nichts."

Sie hätte Vater und Schwester gern die Meinung gesagt, wäre vielleicht sogar laut geworden, aber sie wusste nur zu gut, dass das zu nichts führte. Früher hatte sie es manchmal versucht, meistens dann, wenn sie voraus sah, dass etwas, was die beiden vorhatten, schief gehen würde. Weder ihr Vater noch ihre jüngere Schwester hatten jemals auf sie gehört, waren im Nachhinein aber auch nicht bereit, zuzugeben, wenn sie Recht gehabt hatte -- was meistens der Fall war. Schließlich war Luca dazu übergegangen, nichts mehr zu sagen und gnadenlos zu blockieren, wenn jemand sich bei ihr ausheulen wollte. Mittlerweile wehrte sie sich auch nicht mehr gegen die Schadenfreude, sie genoss sie manchmal sogar regelrecht. Dafür nahm sie auch mehr oder minder gleichgültig in Kauf, wenn ihr Vater sie als kaltherzig beschimpfte. Sie war ja nur noch zu Besuch zu Hause, da brauchte ihr die Meinung ihrer Familie nicht so wichtig zu sein.

„Seid so gut und zeigt euch gleich von eurer besten Seite", sagte Lancaster, während er einen gehetzten Blick auf die Uhr warf und noch weiter beschleunigte. „Das Ganze ist zwar überwiegend ein lockeres Grillfest, aber es sind durchaus wichtige Leute dabei."

Meryl zupfte an ihren gebleichten Haaren herum. „Das sagst du jetzt zum hundertsten Mal", maulte sie. „Weiß überhaupt nicht, was ich da soll. Sind doch eh nur alte Leute da."

Er will mit uns angeben, was glaubst du denn, dachte Luca. Schaut mal, was ich für tolle Töchter habe. Die Große studiert und mein kleiner Engel wird bald einen hervorragenden Schulabschluss hinlegen. Zum Kotzen.

Laut sagte sie: „Wenn du nicht den Abstecher zu diesem armen Teufel gemacht hättest, müsstest du jetzt nicht so rasen." Aber du wolltest ja unbedingt den starken Mann markieren.

„Armer Teufel! Sag ich doch, sie steht auf den Typen, wetten?", triumphierte Meryl.

„Oh, haltet den Mund, Mädchen", stöhnte Lancaster und hieb frustriert aufs Lenkrad, als sich ein Lastwagen vor ihm einfädelte und ihn zum scharfen Bremsen zwang.

„Gerne", murmelte Luca, aber so, dass es keiner hörte. Ihre Gedanken kehrten zurück zu Mr Foster. Sie hätte gern gewusst, was in ihm vorging. Ein ganz und gar schlechter Kerl war er mit Sicherheit nicht. Von ihrer Position im Treppenhaus hatte sie die Poster in seinem Flur gesehen. Zappa, Pink Floyd, Guns 'N' Roses. Und sie meinte, durch die offene Wohnzimmertür auch eine Gitarre an der Wand gesehen zu haben. Wer sich mit Musik beschäftigte, konnte nicht völlig dumm sein. Aber diese Meinung behielt sie besser für sich.

***

Gegen Abend wurde Mickey allmählich lebendig. Er legte eine Scheibe von Black Sabbath auf und versuchte danach mal wieder ein paar Takte auf der Klampfe. Das erinnerte ihn an bessere Zeiten, wodurch seine Stimmung rapide absackte, weil er bis auf weiteres nichts besonders Gutes in seiner Zukunft sah. Und wie immer, wenn er miese Laune hatte, fiel ihm die Decke auf den Kopf. Beim Abschließen der Wohnungstür überlegte er sich, wo er am besten hingehen konnte. Im „Miller's" hatte er endgültig verschissen, beim „Luna" konnte er sich auch bald nicht mehr blicken lassen... Bob. Bob ließ ihn bestimmt noch anschreiben.

Pfeifend polterte er die Treppe hinunter. Ein paar Drinks in Aussicht hoben seine Stimmung augenblicklich.

Nur wenige Leute waren im Pub, wie üblich. Bei Bob verkehrten eigentlich nur Stammkunden, man kannte sich also. Hatte eher weniger Vorteile.

„MICKEY MOUSE!", grölte Bert, kaum dass er zur Tür rein war.

„Hey Bert, wo hast du Ernie gelassen?", gab er trocken zurück, als er über den klebrigen Fußboden auf seinen Stammhocker an der Theke zusteuerte. Immer die gleichen öden Sprüche. Er kam sich schon vor wie in der hundertsten Wiederholung von 'nem verdammten Film.

Der dicke Glatzkopf und seine Kumpel lachten heiser. „Immer witzig, unser Kleiner. Ey, willste heute nich' mal 'ne Runde schmeißen?"

Sean mit dem ungesunden Husten stieß Bert den Ellenbogen in die Seite. „Nu sei nicht so fies zu ihm. Er hat doch kein Geld."

Der letzte Satz triefte nur so vor gespieltem Mitleid.

Mickey ging das dämliche Gelaber am Arsch vorbei. Hauptsache, er bekam hier was zu trinken.

Endlich bequemte sich mal jemand aus der Küche. Der Service wurde auch immer lausiger. Bob musste der Kleinen demnächst dringend in den Arsch treten...

„Guten Abend, was darf 's sein ... oh."

Er sah ihr ins Gesicht und hob überrascht die Augenbrauen. „Ach nee."

Sie lächelte etwas verlegen. „Hallo, Mr Foster."

Mr Foster", kommentierte einer von Berts Tisch verächtlich. „Fehlt noch, dass sie ihn „Sir" nennt."

Mickey verzog die Lippen zu einem schiefen Grinsen. „Soso, der alte Lancaster hat 's also mit Bardamen. Dachte eigentlich, er mag 's etwas stilvoller."

Das Mädchen mit den braunen Haaren, die sie jetzt hochgesteckt trug, starrte ihn ein paar Sekunden mit einem seltsamen Gesichtsausdruck an, bevor sie kühl zurück lächelte.

„Interessant, dass Sie sich mit den Gewohnheiten meines Vaters auskennen. Ich hatte heute früh nicht den Eindruck, Sie würden ein besonderes Faible für ihn hegen."

Hatte er sich jetzt verhört? Er schüttelte den Kopf. „Was war das eben? Va-?"

„Vater, genau", nickte sie mit einem sonderbar harten Funkeln in den Augen.

Er strich sich die zerzausten dunklen Haare aus der Stirn und stöhnte. Das hatte ihm noch gefehlt.

„Na großartig", knurrte er, ohne sie anzusehen. „Dann geh ich mal wieder."

Er war schon halb von seinem Stuhl herunter gerutscht, als sie mit fast versöhnlichem Ton sagte: „Jetzt warten Sie doch."

Mickey wandte ihr den Kopf zu. Diesmal wirkte ihr Lächeln schon freundlicher.

„Was?", fragte er finster. „Ich wollte nur in Ruhe was trinken und diesen Scheißtag vergessen. Da kann ich 's nicht brauchen, dass mir Lancasters Bagage auf den Wecker geht."

Eigentlich hatte er damit gerechnet, das Mädchen erfolgreich beleidigt zu haben, aber komischerweise wirkte sie eher belustigt.

„Sie sind albern, wissen Sie das?", sagte sie ein bisschen spöttisch. „Ich hab doch nichts mit den Angelegenheiten meines Vaters zu tun. Von mir aus können Sie gerne hier sitzen und Ihr Geld vertrinken, mir soll 's recht sein. Dann verdient Bob wenigstens an Ihnen."

„Das mach mir mal vor, Mädchen, wie du an einem verdienen willst, der nix hat", mischte Bert sich höhnisch ein.

Mickey zeigte ihm nur wortlos den Stinkefinger und wandte sich zum Gehen.

„Anscheinend sind Sie doch bescheuerter als ich geglaubt habe", hörte er das Mädchen hinter sich murmeln. Er marschierte stur in Richtung Tür, dann aber, er wusste selbst nicht warum, blieb er noch mal stehen und warf einen Blick über die Schulter. Lancasters Tochter hatte ihm anscheinend bis eben nachgeschaut, aber jetzt wandte sie sich betont gleichgültig ab und begann, Gläser zu polieren.

Einen Moment zögerte Mickey noch, dann hatte er sich entschieden.

„Zumindest für ein Bier würd Sue mich noch anschreiben lassen", sagte er, als er wieder an der Theke saß.

Das Mädchen schmunzelte und griff nach einem Glas. „Dann werde ich Sue mal würdig vertreten."

„Wo steckt die Kleine überhaupt?", wollte er wissen, nachdem er mit dem ersten Schluck das halbe Glas geleert hatte. „Gekündigt oder wie?"

„Unsinn. Keine Sorge, ich bin nur ihre Urlaubsvertretung. In einer Woche ist hier alles wieder beim Alten, dann können Sie sich betrinken, ohne bei meinem Anblick an Ihren Vermieter erinnert zu werden."

„In einer Woche sauf ich Reste aus Flaschen, die andere in den Müll geschmissen haben", erwiderte Mickey grimmig.

„Weil sie dann obdachlos sind, meinen Sie?" Sie zog leicht missbilligend die Augenbrauen hoch. „Sehen Sie wirklich keine Möglichkeit, die Sache in Ordnung zu bringen oder haben Sie schlicht resigniert?"

Er warf ihr über den Rand des Bierglases einen schiefen Blick zu. „Hast du nicht eben gesagt, du hältst dich aus solchen Angelegenheiten raus?"

Sie zuckte die Achseln und wandte sich ab. „Schon gut, hab verstanden."

Etwas verblüfft sah er zu, wie sie in der Küche verschwand um kurz darauf mit einem Tablett sauberer Gläser zurückzukehren. Während sie die Gläser ins Regal räumte, versuchte er aus ihr schlau zu werden. Sie hatte eben nicht im geringsten zickig geklungen, sondern völlig neutral. Er war es nicht gewöhnt, dass Frauen eine klare Ansage ohne Groll und Widerspruch akzeptierten. Aufmerksam beobachtete er die geschäftigen Bewegungen ihrer Arme und ihres schmalen Rückens, aber auch in ihrer Körperhaltung war kein versteckter Ärger auszumachen. Trotzdem, irgendwie konnte er das nicht so richtig glauben.

„Hey, bist du jetzt beleidigt?"

Mit einer Mischung aus Erstaunen und Belustigung warf sie ihm einen Blick über die Schulter zu.

„Ha? Wieso sollte ich?"

„Hm... Weil du nicht mehr mit mir redest?" Herrgott, das klang so bescheuert, als hätte er schon komplett einen in der Krone. Aber sie lachte ihn nicht aus, sie lächelte nur.

„Ich dachte, Sie wollen sich nicht unterhalten."
„Na ja, nicht darüber."

Das Mädchen hatte wirklich ein nettes Lächeln. Ehrlich und warmherzig.

„Noch mal das Gleiche", rief Bert zu ihr herüber und sie antwortete: „Sofort."

Als sie dem alten Widerling und seinen Freunden das Gewünschte an den Tisch brachte, grinsten sie anzüglich. Mickey fiel auf, dass er ihr mit den Blicken gefolgt war und wandte sich schnell wieder dem Bierrest in seinem Glas zu.

„Hör mal, an deiner Stelle würd ich mich von dem ja nich anmachen lassen", sagte Sean zu dem Mädchen.

„Genau. Ich wüsst da wen Besseres, an den du dich halten könntest..."

Völlig unvermutet und für ihn selbst fast erschreckend hatte Mickey größte Lust, zu Berts Tisch rüberzugehen und jedem Einzelnen von denen die Fresse zu polieren. Was bildeten die sich ein, dieses Mädchen blöd anzuquatschen!

Und was war mit ihm los, verdammt noch mal?, fragte er sich im gleichen Augenblick und brachte sich damit wieder zur Vernunft. Was hatte es ihn zu interessieren, wenn 'ne Bedienung dumme Sprüche kassierte?

Zumal sie sich davon ohnehin nicht irritieren ließ, sie überging die Männer einfach.

„Sagen Sie Bescheid, wenn Sie zahlen möchten", sagte sie bloß, höflich, aber kühl.

Kurz darauf war sie wieder hinter der Theke und bückte sich zur Musikanlage, um sie ein klein wenig lauter zu stellen. Nicht so laut, dass das Gedudel störte, aber laut genug, dass man nicht mehr zwangsläufig jedes Wort verstand, was am Nebentisch gesprochen wurde.

Mickey räusperte sich etwas verlegen. „Könnte ich vielleicht doch noch eins bekommen?"

Sie nickte nur und füllte sein Glas aufs Neue.

„Wieso", stellte er endlich die Frage, die ihm schon die ganze Zeit im Kopf herumging, „hast du es eigentlich nötig, so eine miese Arbeit zu machen?"

Ihre Augen funkelten spöttisch. „Sie meinen, warum ich mich nicht auf der Kohle meines Vaters ausruhe? Ganz einfach. Sollte ich einmal Kinder haben, möchte ich ihnen erzählen können, dass ihre Mutter sich ihr Studium selbst finanziert hat. Und nicht im gemachten Nest hocken geblieben ist, wie es meine Schwester wahrscheinlich tun wird."

Beim letzten Satz -- bei dem Mickey fast das Gefühl hatte, er sei gar nicht an ihn gerichtet gewesen -- war der harte Ausdruck wieder in ihr Gesicht getreten. Es war unschwer zu erraten, dass das Mädchen mit seiner Familie nicht besonders glücklich war.

„Deine Schwester, ist das diese blondierte Ziege, die heut morgen mit dabei war?"

Ein Grinsen huschte über ihr Gesicht und vertrieb die Härte daraus. „Genau die."

„Daddys Liebling, hm?"

„Sie haben's erfasst."

Mickey schüttelte den Kopf. „Aber du kannst mir nicht erzählen, dass dein Alter nicht mit dir angibt. Immerhin studierst du ja."

Ihr Blick verriet ihm, dass sie die ironische Betonung sehr wohl mitbekommen hatte, aber sie ging nicht darauf ein. „Mag sein. Aber Tiermedizin war es eigentlich nicht, was er sich für mich vorgestellt hat. Humanmedizin hätte er besser gefunden. Die Vorstellung, dass seine Tochter bei einem Rind Geburtshilfe leistet, passt nicht so in sein Weltbild."

In Mickeys auch nicht wirklich. Stirnrunzelnd musterte er das zierliche Mädchen, versuchte sie sich mitten in der Nacht in einem kalten Stall vorzustellen, blutüberströmt, die Arme bis zu den Schultern in einer vor Schmerzen brüllenden Kuh versenkt.

Sie verschränkte die Arme vor der Brust und sah ihn fragend an. „Was?"

„Nichts", brummte er und senkte den Blick wieder in sein Glas, dessen Flüssigkeitspegel schon wieder fast bei Null lag. „Hab nur grad überlegt, ob Lehrerin nicht der bessere Job für dich wäre."

Jetzt lachte sie laut auf, aber es war kein albernes Gegacker, sondern eine Äußerung ehrlicher Heiterkeit.

„Um Gottes Willen!"

„Na ja", meinte er, „vielleicht doch nicht. Dafür bist du wahrscheinlich zu nett."

Erst nachdem er diesen Satz ausgesprochen hatte, fiel ihm auf, dass er wie ein Kompliment klang, nein, schlimmer, wie eine Anmache. Noch dazu wie eine verdammt unbeholfene.