Swipe, um zu sehen, wer jetzt online ist!

Möge Gott uns beistehen

Geschichte Info
Ein Leben zerbricht.
5.6k Wörter
17.4k
1
Teile diese Geschichte

Schriftgröße

Standardschriftgröße

Schriftabstand

Standard-Schriftabstand

Schriftart Gesicht

Standardschriftfläche

Thema lesen

Standardthema (Weiß)
Du brauchst Login oder Anmelden um Ihre Anpassung in Ihrem Literotica-Profil zu speichern.
ÖFFENTLICHE BETA

Hinweis: Sie können die Schriftgröße und das Schriftbild ändern und den Dunkelmodus aktivieren, indem Sie im Story-Infofeld auf die Registerkarte "A" klicken.

Sie können während unseres laufenden öffentlichen Betatests vorübergehend zu einem Classic Literotica® Erlebnis zurückkehren. Bitte erwägen Sie, Feedback zu Problemen zu hinterlassen oder Verbesserungsvorschläge zu machen.

Klicke hier

etwas härteres aus meiner feder. diese geschichte ist von 2006 (irgendwann anfang märz, glaube ich) und ich hatte lust, sie ein wenig zu überarbeiten. wo und wann sie spielt, weiß ich selbst nicht genau. irgendwo in meinen düsteren, kaputten fantasiewelten halt.

diese geschichte enthält keinerlei expliziten horizontalen szenen!

* * *

Möge Gott uns beistehen

Er sah sich gehetzt um. Lud im Windschatten des schwarzen Proletengefährts, hinter dem er kauerte, eilig das Magazin nach. Entsicherte dann die Waffe und hielt wieder Ausschau nach seinen Verfolgern. Sie konnten nicht weit von ihm sein.

Da!

Ein Schatten stürmte auf ihn zu, die Pistole zielsicher auf ihn gerichtet.

Fabian biss sich auf die Lippen. Verdammt. Ein Parkhaus war vielleicht doch nicht so eine gute Idee für ein geeignetes Versteck gewesen... und seine Katz-und-Maus-Methode hatte auch nicht gezogen. Verdammter Dreck! Jetzt saß er wohl oder übel in der Falle...

Fabi atmete tief durch, gab den Schutz des dunklen Mercedes auf und hechtete auf die Auffahrtsrampe zu.

Flucht nach oben, seine einzige Möglichkeit. Die Verfolger im Nacken. Dem Tod so nahe...

Er verfluchte sich selbst für seine Dummheit und das Leben für sein und das Schicksal des Mädchens als Straßenkinder. Eilig warf er einen Blick über seine Schulter. Noch war nichts von den beiden Anderen zu sehen.

Er rannte weiter, immer höher. Hörte plötztlich Schritte hinter sich. Seine Verfolger holten allmählich auf. Noch ein kleines Stückchen, dann war er oben angelangt - er musste nur noch wenige Meter durchhalten... das war er ihr einfach schuldig...

Das Parkhausdach war so nah; der Blonde konnte die Sterne am Himmel ausmachen, sah den runden Vollmond durch die Wolken hindurchbrechen.

Wie ironisch, dass ein so kitschiger Sternenhimmel über ihnen stand und der Mond silbriges Licht auf die Parkfläche warf. Welch ein perfekter Abend für romantische Anwallungen -- stattdessen jagte Fabian blind vor Wut seine zwei Widersacher, getrieben von seinem glühenden Zorn, besessen von dem Gedanken an seine Selbstjustiz.

Der Rollsplitt auf dem frisch ausgebesserten Asphalt unter seinen Füßen knirschte verräterisch, als Fabian schwer atmend das Parkhausdach erreichte. Er spürte sein Herz schmerzhaft gegen seine Kehle pochen. Aber er durfte jetzt nicht aufgeben! Er musste durchhalten. Er hatte schließlich eine Mission zu erfüllen... Mit einem Satz schwang er sich hinter den steinernen Vorsprung, der die Auffahrt abgrenzte, und verschanzte sich in dessen Schatten.

Seine Finger zitterten unmerklich, während er angespannt auf seine zwei Verfolger lauerte. Und sie ließen ihn auch gar nicht lange warten.

Die Schritte ihrer Springerstiefel dröhnten in seinen Ohren. Ihr Keuchen verriet, wie nah sie bereits waren. Noch wenige Schritte, dann hatte er sie sicher im Visier. Ihn würde nichts abhalten können. Nichts und niemand. Er wollte Rache. Blutige Rache. Er war wie im Rausch.

Fabian zögerte keine Minute, als die beiden jungen Männer auf dem Dach angekommen waren und sich eilig nach ihm umsahen.

„Au revoir, Gentlemen!", rief der Blonde, sprang auf und drückte sofort ab.

Insgesamt fünf Schüsse zerrissen die Stille der Nacht. Fabian war treffsicher und geschickt. Es gab niemanden, der eine sichere Hand hatte als er.

Sich auf seine Erfahrung und Gefühl verlassend, hatte er sich den Stärkeren der beiden als erstes Ziel herausgesucht. Würde er zuerst den Schwächeren aus dem Weg räumen, hätte er dem anderen Schützen seine Position verraten und den Überraschungsmoment vergeudet, auf den er gesetzt hatte. Damit wäre er klar im Nachteil gewesen.

Fair? Ehrbar? Gar moralisch? Nein, das war man in diesem Milieu nicht mehr. Fabian war ein eiskalter Killer, ein Gesetzesbrecher, ein Krimineller. Mit seinen achtzehn Jahren war er abgebrühter als manch ein Verbrecher mit zwanzig Jahren Erfahrung aufm Buckel.

Und in diesem speziellen Fall heute Nacht kannte Fabian keine Gnade. Dafür war sein Hass auf seine beiden Gegner einfach zu groß. Sein Drang nach Vergeltung ließ sich nicht länger unterdrücken. Diese Widerlinge hatten für das, was sie angerichtet hatten, zu zahlen! Und zwar bitteres Blutgeld!

Keuchend lud Fabian die Pistole durch. Seine sprudelnde Wunde am linken Oberarm ignorierte er. Es war ein Streifschuss gewesen, aber er hatte dennoch ausgereicht, um ihm den Ärmel seines Shirts und die obersten Schichten seiner Haut zu zerfetzen. Irgendwann würde es schon aufhören zu bluten...

Fabian richtete den Lauf seiner Pistole auf den jungen Mann, der mit bedrohlich langsamen Schritten auf ihn zukam.

„Du miese Ratte!", fauchte er, ohne Fabian dabei aus den Augen zu lassen, während er ihn weiter rückwärts zwang. „Du hinterhältiger kleiner Hurensohn!"

„Das sagst gerade du", brachte Fabian bebend über die weißen Lippen. Innerlich zitterte er vor Wut und Hass. Er erwiderte den Blick seines Gegenübers finster, ohne auch nur einmal zu blinzeln. „Du hast dich an Layla vergriffen. Ihr habt sie in eure Falle gelockt und mit ihrer Angst gespielt, bevor ihr sie vergewaltigt habt, ihr abartigen Monster. Das, was ihr getan habt, ist unverzeihlich. Ihr widert mich an!"

Wie Galle spuckte er dem Schwarzhaarigen die Worte vor die Stiefel.

„Das hast du mir schon einmal erzählt, Blondie", knurrte Benjamin. „Und ich sag's dir auch gern nochmal: Dein kleines Prinzesschen hat's nicht anders verdient! Jeden Tag stolziert sie auf ihren niedlichen kleinen Stöckelschühchen in ihren kurzen, süßen Miniröckchen ein halbes Dutzend mal an uns vorbei, ohne uns auch nur eines einzigen Blickes zu würdigen. Dabei lässt sie doch sonst jeden ran, der ihr über den Weg läuft! Nur uns weist sie jedes Mal kaltherzig ab!"

„Ihr nehmt euch also mit Gewalt, was euch verwehrt wird..." Fabian lachte bitter auf. „Wisst ihr eigentlich, was für ein Abschaum ihr seid, Oliver und du?"

„Du hast nicht das Recht, uns Abschaum zu nennen, du Hurensohn!", blaffte Benjamin. „Oder ist das, was du tust, etwa besser? Du bringst Menschen um, raubst, lügst, betrügst. Wo liegt da ein Unterschied zu mir, he?"

„Ich bin kein Vergewaltiger." Fabians Abzugsfinger krümmte sich gefährlich um den Hahn. „Und ich habe allmählich genug von deinen lächerlichen Rechtfertigungen. Einen Schritt weiter oder ein Wort mehr, und ich drücke ab."

„Du willst mir drohen? Lächerlich." Benjamin streckte die rechte Hand mit der Waffe aus. „Ich bin nämlich schneller als du, du kleiner Hurensohn!"

Im selben Moment zerriss ein sechster Schuss die kurzfristige Stille auf dem Parkhausdach.

Umgehend ergoss sich dunkles Blut vor schwarzen Lederstiefeln, schimmerte klebrigrot im fahlen Mondlicht. Der Blick des Erschossenen war starr und glasig. Die Kugel hatte das Herz getroffen.

Fabian ließ seine Hand sinken. „Auf dass du in der Hölle schmorst!"

* * *

Layla.

Sie war schön wie ein Reh, mit ihren dunklen Locken, die ihr in langen Kaskaden den zierlichen Rücken hinabflossen. So zart wie ein Kind mit ihrem scheuen Blick in den tiefbraunen, stets leicht melancholischen Augen. So zerbrechlich wie Porzellan, wenn sie nachts auf dem Fensterbrett saß und leise weinte. Aus Verzweiflung. Weil sie nicht mehr weiterwusste mit ihrem kaputten Leben.

Fabian hatte dieses liebevolle Mädchen von der ersten Sekunde an geliebt.

Layla weckte seinen Beschützerinstinkt, der so geübt war und auf den Layla sich mit unerschütterlichem Vertrauen verließ, sodass es ihm jedes Mal ganz warm wurde, wenn sie mit einem Lächeln diese Worte sagte, die er so liebte zu hören:

„Wenn du bei mir bist, dann habe ich keine Angst."

Layla.

Sein Engel.

Für sie würde Fabian barfuß durch die Hölle gehen.

Sein Atem ging stoßweise, während der Junge durch die menschenleeren, spärlich von Straßenlaternen beleuchteten Gassen streunte. Das Versteck seiner Bande lag am Stadtrand, weit entfernt vom Bahnhof. Aber da wollte er jetzt nicht hin. Er fühlte sich plötzlich so verloren zwischen all den Dingen, die ihn unweigerlich an Layla erinnerten. Die dicken Steinmauern der alten Ruine kamen ihm plötzlich so erdrückend vor, seit sie fort war.

Mit jedem Schritt spürte er die Verantwortung für das junge Mädchen ein Stückchen schwerer auf seinen Schultern.

Er hatte versagt.

Der Beschützer, den Layla in ihm gesehen hatte, war geschlagen.

Besiegt.

Niedergeschmettert worden von den beiden jungen Männern, die heute Nacht seiner Selbstjustiz zum Opfer gefallen waren.

Fabian spürte die kühle Luft der lauen Sommernacht stechend in seinen Lungen brennen. Jeder seiner schweren Schritte hallte schmerzhaft in seinen Ohren wider.

Gestern war er genau so gerannt wie vorhin, als es um sein Leben ging. Aber er war zu spät gekommen.

Er hatte Layla im Stich gelassen.

Er hatte versagt.

Versagt. Versagt. Versagt.

Der Blondschopf blieb stehen, lehnte sich erschöpft an eine rau verputzte Hausmauer. Es hatte angefangen zu regnen, kalt und hart prasselten ihm die Tropfen ins gerötete Gesicht. Hitze, inneres Feuer, das sich einen Weg nach draußen bahnte. Fabian fühlte den unbändigen Hass auf Laylas Schänder durch seine Adern pulsieren.

Er ballte seine Hände zu Fäusten und biss die Zähne zusammen. Aber es half nichts. Ihm konnte nichts mehr helfen. Nichts und niemand.

Fabian riss den Kopf in den Nacken, starrte mit weit aufgerissenen Augen zum Himmel empor.

Regen tropfte ihm unablässig ins Gesicht, vermischte sich mit den Tränen, die in seinen Augenrändern lauerten und rannen sein Kinn hinab, über den sehnigen Hals und weiter in sein dunkles Shirt.

„Verflucht", murmelte Fabian tonlos. „Verdammt und verflixt und verflucht."

Er ließ den Kopf wieder sinken, holte stattdessen mit einer der beiden Fäuste aus und hieb sie mit aller Heftigkeit, die er aufzubringen imstande war, gegen die Hauswand. Sofort strahlte ein heftiger Schmerz durch seine Finger, aber es war Fabian egal. Er holte ein zweites Mal aus. Dann ein drittes Mal. Ein Viertes. Ein Fünftes.

Erst, als der raue Putz schließlich seine Haut aufriss und ihm warmes Blut in dünnen Fäden über den Handrücken strömte, hielt Fabian inne.

Schwer atmend schloss er die Augen. Lehnte den Kopf gegen die Mauer. Tränen fanden ihren Weg über seine Wangen.

„Verflucht", keuchte der Achtzehnjährige, drehte sich um und sank die Wand hinab. Er winkelte die Knie an, schlug die Arme um seine Beine und vergrub den Kopf im Schoß. „Verflucht..."

Er hatte versagt und nicht einmal die Morde an den Vergewaltigern konnten seine Schuld sühnen.

Tief in Layla war letzte Nacht etwas zersplittert, und nichts auf der Welt konnte Fabian die Versagergefühle von der schwarzen Seele räumen...

* * *

FLASH.BACK

Der Morgen brach mit blutrotem Sonnenschein an. Leise fielen die ersten schwachen Strahlen durch das zerbrochene Glas der Fenster an der Ostseite der alten, efeuberankten Ruine von Haus. In einem der notdürftig hergerichteten Räume erwachte das Leben zum Tag, den der Anführer der kleinen Bande verdammen würde, die dieses heruntergekommene Gemäuer bewohnte.

Layla erhob sich anmutig vom Sammelsurium an Decken, Kissen und Tüchern, welches sie vergangene Nacht zum ersten Mal mit Fabian geteilt hatte.

Fabian... ein Lächeln huschte der Achtzehnjährigen über die Lippen.

Wie er so dalag, tief schlafend, sah er irgendwie sanft und unschuldig aus. So unglaublich friedfertig. In solchen Momenten fiel es Layla schwer zu glauben, dass Fabian ein kaltblütiger Killer war.

Ein Auftragskiller.

Ein Mörder, der die Konkurrenten seiner Auftragsgeber aus dem Weg räumte. Damit die vier Straßenkinder, die sich seine Familie fluchten, nicht hungern mussten.

Manchmal wünschte Layla, er hätte eine andere Aufgabe gefunden. Dann müsste sie nicht Nacht für Nacht um ihn Angst haben, wenn er mit der geladenen Pistole unterm Mantel das Versteck verließ.

Aber in Zeiten wie diesen war es nicht leicht. Armut grassierte wie eine Seuche in der Stadt. Und auch, wenn er schlecht bezahlt war, es war immerhin ein Job, der wenigstens ein bisschen Geld einbrachte. Ein Job, der fünf hungrige Mäuler stopfte, und sei es auch nur vorübergehend.

Layla wusste, dass Fabian diese 'Arbeit' genauso hasste wie Layla das, was sie zum Überleben der fünfköpfigen Bande an Straßenkindern beitrug. Aber noch wollte sie nicht daran denken. Noch hatte sie ein wenig Zeit, um ihre Gedanken auf leichtere Wege zu schicken und ein wenig Zerstreuung zu finden.

Layla warf dem schlafenden Blondschopf zu ihrer Rechten noch einen zärtlichen Blick zu, schlang dann ihre Decke um ihren nackten Körper und verließ auf bloßen Füßen den Raum.

Sie musste in einer Stunde am Bahnhof sein. Auf dem, was unter „Babystrich" lief und die Portemonnaies der Zuhälter füllte. Layla ging anschaffen. Layla war eine Hure. Eine Baby-Prostituierte. Sie hatte schon mehr Männer gehabt als das Jahr Tage hatte.

Leise schob Layla den von Motten zerfressenen, blutroten Vorhang beiseite, den sie im türlosen Durchgang zu ihrem Raum angebracht hatte. Sie schätzte ein kleines bisschen Privatsphäre, und der zerschlissene Vorhang verlieh dem Raum irgendwie etwas Geheimnisvolles.

Layla ließ ihre Decke gen steinigen Boden sinken und setzte sich lasziv auf ihren abgewetzten Hocker vor dem zersplitterten Spiegel in ihrem kleinen Reich. Sie schüttelte sich die üppigen, kastanienfarbenen Locken, warf ihrem Spiegelbild einen neckischen Blick zu und malte ihre Lippen dunkelrot an, ehe sie sich ihre Kleidung zusammensuchte: Ein hautenges Shirt mit tiefem Ausschnitt, lange schwarze Strümpfe, ein schwarzer Minirock aus Stretch-Stoff. Und die verhassten schwarzen Lackpumps mit 20cm Absatz. Damit ihre niedliche Größe von knapp 160 Zentimetern nicht so sehr auffiel.

Ein letzter prüfender Blick im Spiegel, etwas Zurechtzupfen hier und da, dann warf Layla ihrem bröckeligen Spiegelbild eine Kusshand zu, verdrehte dabei theatralisch die Augen und verließ alles andere als fröhlich und beschwingt die marode Ruine des Zechensiedlungshauses, das sie ihr Zuhause nannte.

Draußen angekommen, atmete sie tief durch, zog die kühle Morgenluft ganz tief in ihre Lungen. Sie liebte diese Jahreszeit.

Es versprach ein heißer Sommertag zu werden -- das kleine Freibad am Waldrand, an dem sie zwangsläufig vorbeikommen würde auf ihrem Weg zum Bahnhof, würde in zwei Stunden bestimmt wieder überfüllt sein bis zur chinesischen Mauer.

Layla verscheuchte die sehnsüchtigen Gedanken an das abkühlende Nass, bog in eine Seitenstraße und verbannte die Angst vor dem, was sie heute erwarten würde, in die hintersten Nischenwinkel ihrer Vorstellungskraft. Sie wäre jetzt so viel lieber in Fabians Zimmer, unter den dünnen Decken, neben seinem halbnackten Körper, der Hitze und Geborgenheit und so viel Vertrautheit ausströmte.

Sie konnte den Abend kaum noch erwarten, wenn sie wieder zurückkonnte nach Hause. Sie würde ihrem Fabian in die Arme fallen, ihn ganz fest halten und sich wünschen, die Welt würde stehen bleiben, bis Laylas Herzschlag sich wieder beruhigt hatte.

Und es graute ihr schon vor dem nächsten Morgen, wenn sie wieder raus musste zum Bahnhof, um fremden Männern zur Gefälligkeit zu sein.

Dass Layla ihr Zuhause an diesem strahlend hellen Morgen zum letzten Mal verlassen hatte, ahnte sie nicht.

* * *

Er wollte sie heute Abend abholen. Weil er sie etwas fragen wollte. Etwas wichtiges.

Layla ahnte, was es sein mochte -- sie hatte Dušanka, Nadežda und Jovanka, die Fabians Straßenkinderbande komplettierten, letzte Nacht darüber tuscheln hören, als sie sich ins Badezimmer geschlichen hatte: Fabian plante, Layla zu fragen, ob sie ihn zum Mann nehmen wollte.

Bei dem Gedanken daran flatterte Laylas Herz jubilierend in ihrem Brustkorb.

Aufgeregt und nervös wegen der Ungewissheit, unter die sich bange Hoffnung mischte, zupfte Layla am tiefen Ausschnitt ihres dunklen Shirts herum. Es war ihr Lieblingsshirt, raffiniert geschnitten und verziert mit zwei langen, schwarzen Bändern an beiden Ärmeln. Layla hatte es seinetwegen gewählt. Weil sie wollte, dass sie Fabian gefiel.

Die hereinbrechende Nacht brachte frischen Wind mit sich, der leichte Gänsehaut auf Laylas nackten Oberschenkel malte und sie frösteln ließ.

Sie stand neben dem Metzgerladen gegenüber vom Bahnhofeingang. Von hier aus hatte sie die riesige Uhr über der Eingangstür immer im Blick.

Eigentlich wollte Fabian schon vor einer Viertelstunde aufgetaucht sein. Layla fragte sich, wo er wohl stecken mochte. Aber vielleicht war er aufgehalten worden. Oder er hatte einfach die Zeit vergessen... Oder...

Tief in Gedanken versunken schlug Layla mit der Ferse des linken Schuhs gegen die gemauerte Hauswand. Sie wusste genau, wieso ihre Schuhe so abgenutzt waren... aber sie hielt sowieso nicht viel von den Höllendingern, wegen denen sie irgendwann nur noch mit Krücken vorwärts kommen würde.

Mörderschuhe.

Fußmörderschuhe.

Ächzend winkelte Layla nacheinander ihre Knie an und schlüpfte aus den Schuhen heraus.

Das fühlte sich gleich viel besser an. Auch wenn der raue Asphalt ihr die feinen Strümpfe zerreißen würde... aber sei es drum! Sie hatte die schwarzen Nuttenstrümpfe ohnehin nie leiden können.

Layla summte leise vor sich hin, ließ die Schuhe lustig herunterbaumeln und sah verträumt in den bewölkten Abendhimmel. Die ersten Sterne blinkten mal hier, mal da verstreut am tiefen Dunkelblau durch die unstete Wolkendecke. Nur vom Mond fehlte jede Spur.

„Blöde Wolken", seufzte Layla leise und zuckte fürchterlich zusammen, als ihr jemand unerwartet antwortete.

„Wolken haben auch ein Recht auf Existenz, Layla." Benjamin lehnte im Eingang zum Metzgerladen und sah sie abwartend an.

Layla erwiderte seinen Blick lächelnd.

Sie mochte die beiden Brüder, Benjamin und Oliver, die bis spät in die Nacht den Laden ihres Onkels schrubbten, um sich ihr Studium finanzieren zu können. Manchmal gesellten sie sich zu ihr, wenn Layla auf einer der Bänke vorm Bahnhof noch auf einen späten Freier wartete, der sie über Nacht mit zu sich nahm.

Sie plauderten jedes Mal über Belanglosigkeiten: Klatsch, Tratsch, die Jahreszeiten, das Wetter. Ganz so, als hätten sie sich zufällig hier getroffen.

Es schmeichelte Layla, dass insbesondere Benjamin sehr um sie bemüht war und es erfüllte sie beinahe mit Bedauern, dass sie seine zärtlichen Gefühle nicht erwidern konnte, weil ihr Herz an Fabian vergeben war.

Aber auch nur beinahe -- schließlich lebte Benjamin in einer völlig anderen Welt als sie selbst; er kannte keinen nagenden Hunger und keine Ängste vor dem, was der nächste Tag wohl bringen mochte. Er verfügte über fließend Wasser, eine saubere Toilette und eine warme Dusche. Er besaß ein richtiges Bett und einen stets gut gefüllten Kühlschrank. Sein Leben verlief in geordneten Bahnen, während Layla jeden Tag aufs Neue um ihr Überleben kämpfte.

Benjamin war zwei Jahre älter als Layla, Oliver fünf. Die beiden studierten irgendetwas mit Naturwissenschaften an einer nahegelegenen Universität, genau wusste Layla es nicht mehr.

Ab und an arbeiteten die beiden jungen Männer allerdings auch aushilfsweise hinterm Tresen der Metzgerei. Sie schnitten hauchzarte Scheiben aus dicken Käselaibern, verarbeiteten Rindfleisch zu Hack, bestrichen saftig aussehende Rumpsteaks mit würziger Marinade und erfüllten ihrer Kundschaft jeden erdenklichen Wunsch an Käse und Fleisch.

Manchmal, wenn sie gerade nichts Anderes zu tun hatte, beobachtete Layla verstohlen das rege Treiben in der Fleischerei, während sie selbst auf Kundschaft wartete. Nicht selten wünschte sie dabei, sie könnte einer genauso unbesorgten Arbeit nachgehen...

„Möchtest du vielleicht ein wenig hereinkommen? Ich könnte dir etwas Kühles zu trinken bringen", bot Benjamin ihr an. Aus ihren Gedanken herausgerissen, blinzelte Layla überrascht. „Ja, gern."

12