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Teil 02 - Simon

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Ich starre in mein Schnapsglas...
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02 - Simon

Ich starre in mein Schnapsglas, das der Templer gerade mit Gin gefüllt hat und bemerke, dass die Welt hinter der öligen Flüssigkeit verkleinert und auf den Kopf gestellt erscheint. Die halbleere Flasche, die Kaffeetasse mit den Zahnstochern darin, der schmutzige Aschenbecher und das bärtige Gesicht des Glaubenskriegers ragen wie Stalaktiten von der Decke herab. Der mit Glühbirnen und Lichterketten behängte Konverter, in dem sie früher Stahl gekocht haben, steht dagegen wie ein grasgrün und syphilisrosa leuchtender Weihnachtsbaum auf einem weit unter mir liegenden Boden. Was passiert, wenn man zwei Schnapsgläser hintereinanderstellt? Rückt das die Welt wieder ins Lot oder zersetzt es sie vollends in bizarr verzerrte Farbkleckse?

Der Templer hebt sein Glas und eilig führe auch ich das meine an die Lippen. Der Gin schmeckt gallig und ist lauwarm, doch ihn scheint es nicht zu stören und mich erst recht nicht. Ein Tropfen rinnt ihm über die wulstigen Lippen in den rostfarbenen Bart hinein. Mit dem Handrücken wischt er sich über das Kinn, aber der Gin hat bereits das T-Shirt mit dem Eisernen Kreuz, Zeichen seines Ordens, befleckt.

„Nicht ablenken lassen, Glaubenskrieger", sage ich, während die Finger meiner rechten Hand mit dem leeren Glas spielen.

Der Templer grinst mich an. „Ach ja? Wozu bist du denn dann hier? Bist du schwul, oder so?"

Nein, bin ich vermutlich nicht. Zumindest habe nie das Bedürfnis verspürt, die Zunge eines Mannes an meiner Eichel zu spüren und fremde Schwänze haben mich bis jetzt auch nicht angezogen. Unschuldig im Sinne der Anklage, also.

Die Blicke des Ordensritters wandern über meine linke Schulter zur Bühne, wo sich Elena vermutlich gerade auf dem Boden liegend den Slip über die hohen Absätze ihrer schwarzen Stiefel hinweg auszieht. Ich habe es so oft mitangesehen, dass ich jeden ihrer wiegenden Schritte, jeden vor Lust glühenden Blick ins Publikum, jeden zärtlich zögerlichen Griff an ihre sich stetig verringernde Bekleidung auswendig kenne. Natürlich versucht sie ihre Nummer zu variieren, zu beweisen, dass sie sozusagen echtes Fleisch ist, und nicht dieses komische Sojazeug, das man neuerdings überall angedreht bekommt, aber da Elena unglücklicherweise keine Spur von Menschlichkeit mehr besitzt, fällt sie am Ende doch immer in die gleichen Schritte, Blicke, Handgriffe zurück. Arme Elena. Nicht, dass es von Bedeutung wäre.

Warum komme ich dann dennoch immer wieder ins Stahlwerk? Keine Ahnung. Ich bin keineswegs hier, um Elena auf die Brüste zu schauen, meistens sitze ich sogar als einziger im Raum mit dem Rücken zur Bühne, so wie heute. Ich will sehen, was sie mit den Menschen macht. Ich will dabei zuschauen, wie die Menge von ihrem Blut trinkt.

Andächtige Ruhe erfasst das Publikum, sogar die in einer Endlosschleife abgespielte elektronische Musik scheint etwas weniger schrill und klirrend zu klingen. Elena hat sich anscheinend gerade auf die von ihren ungezählten Vorgängerinnen glattpolierten Holzdielen hinabgelassen. Sie liegt stets in der gleichen Körperhaltung. Die Beine leicht angewinkelt, die Lenden so nach vorn gewölbt, dass ein schmaler Finger aus Scheinwerferlicht unter ihrer schmalen Taille hindurch in Richtung Publikum zeigt und so ihre Zerbrechlichkeit offenbar werden lässt. Ihre dunklen Augen blicken voller Sehnsucht in die Menge, mit tequilabraunen Fingern greift sie in ihre langen, schwarzen Locken.

Woher kennt sie den Unterschied zwischen einem sehnsuchtsvollen, einem verführerischen und einem gelangweilten Blick? Sie, die jedes Gefühl, jede Vorstellungskraft, jedes Ideal verloren hat. Lernt sie durch Beobachtung anderer? Muss sie das alles vor dem Spiegel proben?

Wenn Elena aus den Tagen vor ihrem fünfzehnten Lebensjahr erzählt, was nur geschieht, wenn sie betrunken ist, klingt es so, als würde sie ein Buch nacherzählen, das sie nicht recht verstanden hat. Als wäre ihre kurze, aber nicht unglückliche, Jugend einer anderen, ihr auf unangenehme Weise suspekten Person widerfahren.

Eine Hirnhautentzündung hat ihr damals zwei Wochen voller Schmerzen, Wahngedanken und schlimmer Träume beschert und als dann wider Erwarten das Fieber zurückging und Elena überlebte, hatte sie sich verändert. In den ersten Monaten nach ihrer Genesung entfielen ihr oft Wörter, sodass sie manchmal eben nicht „Schere" sagte, sondern „das, womit man Papier...klein macht". Mit der Zeit kehrten dann die Wörter zurück, und heute macht sie nur hin und wieder eine Pause beim Sprechen, legt ihre hohe, dunkle Stirn in Falten und muss einen Moment lang nach dem richtigen Ausdruck suchen.

Was jedoch nie zurückkehrte, was das Fieber für immer aus ihrer Seele gebrannt hatte, war ihre Sehnsucht, ihre Vorstellungskraft, ihre Furcht, ihr Zorn und ihr Bedürfnis danach nicht allein zu sein. Nachdem der Finger Gottes derart über ihre Hirnhaut hinweggestrichen war, überkamen Elena Rastlosigkeit und diffuser Ekel gegenüber allem Bekannten. Eine Leere, die alles so fadenscheinig aussehen ließ, als könne man mit den Fingerspitzen, die dünne Leinwand, auf der das Leben aufgeführt wurde, zum Zerreißen bringen, und ins Nichts fassen.

Mit 17 kam sie im Distrikt 7 an, mit 18 tauchte sie zum ersten Mal im Stahlwerk auf und bat um eine Anstellung. Ein halbes Jahr später hatte sie mich zu ihrem festen Freund gemacht.

Ich werfe einen Blick über die Schulter. Mit den Fingerspitzen schiebt Elena ihren schwarzen Slip über die festen Oberschenkel, die Beine hat sie eng zusammengepresst als würde sie noch ein wenig mädchenhafte Scheu davor empfinden dem Publikum ihr Geschlecht zu offenbaren. Einen Moment lang zögert sie, als sie ihre Arme zur vollen Länge ausgestreckt hat und die schlanken, langen Finger auf ihren Knien ruhen. Dann ziehen sich die Muskelstränge unter der dunklen Haut ihres Bauches zusammen und ihr Oberkörper richtet sich auf. Die kleinen, festen, fast schwarzen Brustwarzen werden gegen ihre Schenkel gepresst, lassen ihre ohnehin schon vollen Brüste, derart nach oben gedrückt, noch größer wirken. Ihr Blick, entrückt, fast wie in einem Traum, wandert über die Menge, das sanfte Lächeln, das ihre Lippen umspielt, ist verschwörerisch, so als wolle sie jedem der Zuschauenden ein Geheimnis ins Ohr flüstern.

Ein bisschen dick aufgetragen, wenn du mich fragst, geliebte Freundin. Geheimnisse werden langweilig, wenn man sie mit jedem teilt. Spar dir diesen Blick für das Schlafzimmer auf, Charles Toussaint, diesen vertrockneten Jesuitenabt, von dem du dich immer durchvögeln lässt, könntest du damit in den Wahnsinn treiben.

Dem Publikum scheint es allerdings zu gefallen. Rechtgläubige, Gnostiker und Freigeister sehen zu Elena auf, als sei sie keine Hure in einem zugegebenermaßen wirklich hochklassigen Bordell, sondern eine Schwester der ersten Menschen. Durch und durch befleckt mit Sünde, wie jeder von uns, und doch in jeder Bewegung eine Unschuld, als erinnere sie sich daran, die warme, blütenduftschwere Abendluft des sechsten Tages auf ihrer dunklen, makellosen Haut zu spüren. Sogar der Templer, ein gedrungener, bierbäuchiger Mann mit kleinen Augen, knolligen, in zahllosen Schlägereien zerknitterten Ohren und einer auf dem Handgelenk eintätowierten sixtinischen Madonna, schaut in stiller Ergebenheit zu Elena auf. Der Glauben aneinander und die Welt im Allgemeinen scheint wiederhergestellt.

Wofür braucht ein Mensch wie Elena einen Freund wie mich? Ich begreife es bis heute nicht, an meinem guten Aussehen kann es sicherlich nicht liegen, an meinem Einkommen erst recht nicht. Sie könnte sich ohne Probleme zur Konkubine eines ihrer Kunden machen lassen, Stolz und Abscheu sind ihr immerhin vollkommen unbekannt. Stattdessen zieht sie es vor, die Freundin eines Verlierers zu sein, der bis zur Unkenntlichkeit zerknitterten und verbogenen Karikatur menschlichen Daseins. Im übertragenen Sinne.

Aus Mitleid ist sie jedenfalls nicht mit mir zusammen, denn sie empfindet für nichts und niemanden Mitgefühl. Der Sex, den wir haben, kann auch nicht der Grund sein, dazu lässt sie sich vermutlich eher herab, weil sie das Gefühl hat, es mir schuldig zu sein. Ihre Orgasmen sind echt, warum sollte sie sich auch die Mühe machen, mir etwas vorzuspielen, aber es wäre ihr auch recht, sie sich selbst zu bereiten.

Müsste ich raten, würde ich sagen, sie bleibt bei mir, weil sie mich für genauso beschädigt und geborsten hält, wie sie selbst es ist. Ein kleiner Rest Menschlichkeit in ihr, den die Meningokokken in der ihnen eigenen Grausamkeit zurückgelassen haben, sehnt sich danach, jemanden zu finden, der ihr in irgendeiner Weise ähnlich ist. Eine schwache Theorie, insbesondere, da es mir bis jetzt noch nicht gelungen ist, jenes letzte Quentchen Menschlichkeit zu finden, jedoch trotzdem ungeheuer tröstlich.

Inzwischen hat Elena ihren Slip erst über den einen, dann über den anderen ihrer hohen Absätze hinweggestreift und neben sich auf die Holzdielen fallen lassen. Ihre Wange hat sie an die angewinkelten Knie gedrückt, lange schwarze Locken fallen ihr ins Gesicht, doch sie schiebt sie nicht beiseite. Dann öffnet sie ihre Beine einen Spalt weit. Langsam, zögerlich, und doch viel zu bereitwillig.

Warum machst du es so schnell, Geliebte? Warum lässt du sie nicht warten? Warum hältst du sie nicht länger hin? Weißt du nicht, dass man unmöglich zu jemandem aufsehen kann, der einem so einfach gewährt, was man sich wünscht? Nein, natürlich weißt du es nicht, woher solltest du auch.

Glatt und makellos sind ihre Schamlippen, ein wenig dunkler als die Haut ihrer halb geöffneten Oberschenkel. Langsam gleiten ihre Finger über den Venushügel hinweg zwischen ihre Beine. Als würde sie von einer fremden Hand berührt zuckt sie kurz zusammen, schließt ihre Schenkel ein wenig, nur um sie dann so weit zu spreizen, dass ihre rosige Klitoris sichtbar wird. Vorsichtig lässt sie das vorderste Glied des Zeigefingers in ihrer Scheide verschwinden, er glänzt nass, als sie ihn wieder herauszieht. Während sie ihre Labien mit der Feuchtigkeit benetzt, legt sie den Kopf in den Nacken, sodass ihr Blick starr nach oben gerichtet ist.

Mit der flachen Hand fährt sie einige Male über ihr Geschlecht und stöhnt rhythmisch unter den Berührungen ihrer eigenen Finger. Eigentlich macht sie das nicht einmal besonders gut, doch die versammelten Verwalter von Sünde und Erlösung wissen ohnehin nichts von Leidenschaft, deshalb fällt es nicht weiter auf. Sich eine Hure in einem Bordell zu kaufen, das ist eine Versuchung, die einem wie eine überreife Frucht direkt vor die Füße fällt. Was ihnen hingegen fremd ist, ist jene Art von Vergehen, die einen in den Wahnsinn treibt und weit darüber hinaus. Sünden, für die es sich zu brennen lohnt. Sünden, aus einer Liebe begangen, die sich wie ein Medinawurm durch Fleisch und Innereien windet. Für solche Prediger würde ich direkt gläubig werden.

Immerhin sieht es hinreißend aus, wie Elenas flacher, brauner Bauch sich bei jedem Ausatmen zusammenzieht und sie so noch zerbrechlicher wirken lässt. Klarer Punkt für meine Freundin und Lieblingshure. Mit weit gespreizten Beinen liegt sie auf der Bühne, ihr rechter Zeigefinger ist zwischen die dunklen Lippen gedrungen und umkreist ihre Klitoris. Bei jeder Regung ihrer Fingerspitze schreit sie in gespielter Lust auf.

Würde man Elena darum bitten, es sich vor der versammelten Meute in diesem Stammbordell des Klerus wirklich und wahrhaftig selbst zu machen, würde ihr das vermutlich nichts ausmachen, denn es gibt im Grunde keine Dinge mehr, an denen sie sich stört. Allerdings sieht das bei ihr eher unspektakulär und gewöhnlich aus. Sie schließt die Augen, presst ihren Rücken gegen die Wand und manchmal auch gegen mich und streichelt sich eine Weile lang zwischen den Beinen. Irgendwann hält sie dann die Luft an, ihr Körper zuckt einige Male zusammen und sie ist ein wenig außer Atem. Das ist alles.

Der Templer an meinem Tisch hat den Gin längst vergessen, und bemerkt nicht, wie ich mir die Flasche greife und den verbliebenen Schnaps direkt daraus trinke. An den feinen Bewegungen seiner Pupillen kann ich erkennen, wie sein Blick jeder Regung von Elenas Fingern folgt. In diesem Zustand empfinde ich fast so etwas wie Sympathie für ihn, die eine Hand Gottes hat ihn verloren, die andere wieder aufgefangen. Schade, dass diese Seligkeit nicht von Dauer sein wird, wäre sie es, so wären Huren das Heilmittel, an dem die Welt wieder gesund werden könnte.

Andächtig beobachtet die Menge, wie Elena auf der Bühne zuckt, schreit und schwitzt. Wie sie von gespielten Orgasmen hin- und hergeworfen wird und dabei nicht aufhört, wie eine Verrückte ihre Klitoris zu reiben. In ein paar Minuten wird jemand einen Plastikpenis auf die Bühne werfen, mit dem sie sich eine Weile lang befriedigt, gegen Ende wird sie auf allen Vieren von einem glatzköpfigen Mann gevögelt, der ihr irgendwann eine gewaltige Menge Sperma auf den Rücken und in die Haare spritzt.

Ich bleibe selten lange genug, um das mitanzusehen. Es ist nicht so, dass es mir etwas ausmachen würde, es langweilt mich seltsamerweise. Ich komme ich nicht für die Vorstellung sondern für das Publikum. Als müsse ich mich immer wieder der Tatsache versichern, dass der Schatten, den die Leidenschaft wirft, verlorene Seelen in jenem Zwielicht erscheinen lässt, in dem man ihnen ansehen kann, dass sie vor langer Zeit einmal besseren und freieren Menschen gehörten. Wen kümmert es da schon, dass alle Leidenschaft Lüge ist? Wen interessiert es, dass wir Elena jeden Tag aufs Neue einer Sattheit opfern, die sich bereits in Übelkeit gewandelt hat?

Ich leere die Flasche und verlasse das Stahlwerk. Elena sieht mich nicht hinausgehen, denn ihr Blick ist starr nach oben gerichtet, wo er auf die Thomasbirne trifft, jene ins Gegenteil verkehrte Sonne, deren Licht nicht erhellt sondern verklärt. Machs gut, Geliebte.

Der siebte Distrikt ist laut, schmutzig und überfüllt mit Menschen. Vielleicht lässt das drückende Augustwetter die Leute es in ihren Häusern nicht mehr aushalten und treibt sie auf die Straßen, wo ihnen dann der Gedanke kommt, sich den Feierabend mit ein bisschen Alkohol und Spaß zu versüßen. Genauso gut kann aber auch morgen irgendein Feiertag sein, der mir entfallen ist. In meinem Geschäft richten sich die Arbeitszeiten nicht nach den Wochentagen, da vergisst man so etwas leicht.

Die Verkaufsstände und Bretterverschläge auf beiden Seiten haben die ohnehin schon eher schmale Straße in eine enge Gasse verwandelt. Während ich mich zwischen Händlern, Straßenkindern und Betrunkenen hindurchzwänge, werden mir von allen Seiten Grog, exotischer Sex mit willigen Japanerinnen, Erbsensuppe und pulverisierte Rhinozeroshörner zur Steigerung der Potenz angeboten. Von einer dürren alten Frau mit asiatischen Gesichtszügen, die gelangweilt Spieße über einem Feuer wendet, kaufe ich ein gegrilltes Huhn. Die geringe Größe des Vogels weist zwar eher auf eine Straßentaube hin, aber der Preis ist niedrig und angeblich schmecken ohnehin die meisten Tiere auf der Welt nach Huhn. Sie wickelt es in eine chinesische Tageszeitung ein und schenkt mir eine kleine Tüte mit Betelnüssen, weil ich ihr sage, dass sie das Wechselgeld behalten darf.

Als mir ein betrunkener Student sein Bier auf die Schuhe schüttet, während ich mich durch eine Menschentraube zwänge, schenke ich ihm die Nüsse, obwohl ich Studenten normalerweise nicht ausstehen kann. Ich empfinde eine tiefe Sympathie für alle Betrunkenen, die vermutlich aus dem Umstand resultiert, dass ich mein Leben bereits in einem schonungslos ausgenüchterten Zustand begonnen habe, und daher den Mangel, der darin liegt, nur allzu deutlich erkennen kann. Außerdem hat mich die halbe Stunde, die ich bei Elena verbracht habe, milde gestimmt. Da es sich bei ihm wahrscheinlich um den hoffnungsvollen Spross einer begüterten Familie handelt, ist das Kauen von Betelnüssen zwar eigentlich unter seinem Niveau, aber ich betrachte es als bereichernde und erfrischende Erfahrung für ihn.

Es dauert nicht mehr lange bis die Fassade von Wong & Holloway, dem Kaufhaus für den modebewussten Mann, vor mir auftaucht. Vor langer Zeit wurden hier einmal Anzüge, Gewänder und Kutten für Leute mit Macht und einer Menge Geld verkauft, aber irgendwann müssen die modebewussten Männer wohl den siebten Distrikt verlassen haben, denn Wong & Holloway wurde schon vor vielen Jahren geschlossen. Irgendwann kam jemand auf die Idee, in das Kaufhaus, das anscheinend keinen Besitzer mehr hatte, einzuziehen, und da sich niemand dazu berufen fühlte dagegen einzuschreiten, folgte bald eine Fülle von Menschen, die sich keine gewöhnliche Wohnung leisten konnten oder wollten nach. Als die Toussaint-Familie davon erfuhr, erhob sie lediglich eine geringe Gebühr, die monatlich an die Johannisabtei abzuführen sei, und ließ die Sache ansonsten auf sich beruhen.

Ich selbst bewohne das Restaurant im Dachgeschoss. Es gibt dort keine Toilette, dafür gehört das riesige Flachdach des Kaufhauses mir und ich kann beim Frühstücken den ganzen Distrikt überblicken und über den Hafen hinweg weit auf das Meer hinaus schauen. Es ist natürlich Kitsch der schlimmsten Sorte, aber ein Mensch mit meiner neurotischen Veranlagung kann einfach nicht anders als sich, mangels echter Leidenschaften, daran zu hängen.

Nachdem ich die fünf längst nicht mehr funktionierenden Rolltreppen hinaufgelaufen bin, muss ich einen Moment lang innehalten. Vor ein paar Jahren hätte ich diese kurze Pause nicht gebraucht, aber in der letzten Zeit bin ich fett geworden. Was soll man als Mensch sonst auch tun, außer älter, fetter und pedantischer zu werden? In ein paar Monaten werde ich 30, und ich stelle mir nicht allzu gern vor, in welchem Zustand ich mich wohl mit 40 oder 50 befinden werde, falls ich dieses Alter überhaupt erreichen sollte.

Als ich die Bretterwand erreiche, mit der ich meine Wohnung von der Galerie des Kaufhauses abgetrennt habe, sehe ich Licht durch die schmalen Ritzen fallen. Jemand erwartet mich. Ich versuche durch einen schmalen Spalt in das erleuchtete Zimmer zu spähen, doch ich kann niemanden darin erkennen. Die Zugluft brennt mir in den Augen, darin liegt ein süßer und doch zugleich auch unverkennbar medizinischer und versengter Geruch. Jemand raucht in meiner Wohnung Cannabis. Vermutlich irgendein armer Teufel ohne einen einzigen Penny in der Tasche, der sich an meinem Marihuana und wahrscheinlich auch meinem Alkohol vergriffen hat. Damit werde ich fertig.

Ich schiebe mich vorsichtig durch die nur angelehnte Tür. Die gegrillte Taube lege ich auf die ausladene Marmortheke, die aus den besseren Zeiten von Wong & Holloway stammt. Obwohl ich davon überzeugt bin, es eigentlich nicht zu benötigen, greife ich mir ein Küchenmesser. Dann trete ich in den Raum.

Auf dem Sofa liegt Tara. Sie hält einen Joint zwischen ihren Fingern und bläst gedankenverloren eine Rauchfahne in den Raum hinein. Als mich mit dem Messer in der rechten Hand sieht, lächelt sie dünn. „Hey Simon", sagt sie.

Ich lege das Messer zur Seite. „Lange nicht gesehen, Tara. Ich nehme an, es ist mein Gras, das du gerade rauchst?"

„Wäre ja auch irgendwie sinnlos, wenn ich selber welches mitbringen würde." Sie deutet auf die Tür zum Flachdach. „Ich habe die Gewächshäuser gesehen. Hätte nicht gedacht, dass du so hier oben eine richtige Farm betreibst. Du musst ja ein Vermögen verdienen. Davon hat Alexa nie erzählt."

Ich gehe über den Namen ihrer Schwester hinweg als hätte ich ihn nicht gehört. „Weniger als du glaubst", sage ich. „Die Kirche betrachtet den Anbau von Gras als Völlerei, deshalb geht der größte Teil des Gewinns als Buße an die Abtei. Der Tarif ist so bemessen, dass ich gerade davon leben kann. Todsünden sind leider nicht ganz billig zu haben."

„Woher wissen sie, wie viel du verkaufst? Bei dir gibt es ja wohl kaum Quittungen."

„Alle zwei Monate kommt ein Beichtvater von der Abtei vorbei. Er zählt die Blütenstände an meinen Pflanzen und schaut sich die Rechnungen für Dünger, Strom und den ganzen anderen Kram an, den ich bei der Arbeit so brauche. Dann setzt er sich an die Theke und rechnet aus, wie viel ich bezahlen muss, um Vergebung für meine Sünden zu erlangen. Ich könnte wahrscheinlich schon betrügen, aber, naja, es heißt halt nicht umsonst Todsünde."

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