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Alle Kommentare zu 'Besser sogar als ich Selbst'

von besslamess

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  • 18 Kommentare
CittadolenteCittadolentevor etwa 12 Jahren
Ein Text aus einem Guss!

Da rackert man sich ab, um eine Geschichte zu konstruieren - und begegnet dann einer solchen Story, die wirkt, als sei sie mit müheloser Perfektion aus dem Ärmel geschüttelt worden.

Wenn man sowas liest, da möchte man als Autor doch glatt den Griffel hinlegen!

AnonymousAnonymvor etwa 12 Jahren
@cittadolente

"Wenn man sowas liest, da mchte man als Autor doch glatt den Griffel hinlegen!"

Take the chance and just do it!

Auden JamesAuden Jamesvor etwa 12 Jahren
Ein Text mit spürbarem Verbesserungspotential, denke ich...

... schon beim Lesen des allerersten Absatzes, der auf mich mehr wie eine erste Rohfassung denn eine darauf gefolgte überarbeitete Textfassung wirkt. Ich versuche es in dieser Einleitung einmal, wie es gemeinhin so fehlleitend heißt, „konstruktiv“ (fehlleitend, weil selbst eine durchweg negative Textkritik bereits der Möglichkeit nach konstruktiv wirkt: Sie zeigt, sofern sie zutrifft, dem Autor die möglichen Schwachstellen auf, an denen er beim Überarbeiten ansetzen könnte) und gebe meinen Vorschlag für eine überarbeitete Textfassung des ersten Absatzes zum Besten:

>Ich stehe mit den Armen auf dem Rücken verschränkt. Meine Nasenspitze reibt an der Wand. Ich rieche den Kalkstaub. Meine Füße bilden eine strenggerade Linie. In die Zehenspitzen schleicht sich Taubheit. Wie lange werde ich mich noch halten können? Lange kann es nicht mehr dauern, dann werde ich hintüber kippen. Vielleicht lässt die Taubheit sich überwinden, solange sie klein und schwach ist. Ein leichter Anfall – wie ein Schwindel, wie eine Schwäche. Er wird vorüber gehen und vielleicht werde ich mich wieder besser fühlen, vielleicht werde ich wieder glauben, ich könne durchhalten.<

Was ich verändere, ist in erster Linie die Form des Texts: Die Sätze sind gestrafft, die Bilder klarer gefasst und zueinander parataktisch in Kontrast gestellt, statt sie in irgendwelchen Nebensätzen oder Ellipsen quasi zu unterschlagen, so z.B. habe ich aus „Ich rieche den Kalkstaub von der Wand, die an meiner Nasenspitze reibt, die Füße in streng gerader Linie“ drei Sätze gemacht, sodass die einzelnen Bilder angemessen eindringlich wirken können.

Idealiter wäre in dieser Richtung auch der restliche Text zu überarbeiten.

Vor allem stilistisch, das ist nicht von der Hand zu weisen, birgt der Text also noch reichlich unverwirklichtes Potential. (Es sei ergänzt, dass der Text im 2.-11. Absatz oder so zu viel Zeit auf Nebenschauplätzen verbringt, bevor er zur Sache kommt: Hier ist zudem Kürzungspotential zu finden. Was hier gestrichen wird, das freilich hängt vom konkreten Überarbeitungsziel ab.)

Aber leider ist der fehlende stilistische Schliff noch die geringste Schwäche des Texts.

Der Text, und es tut mir leid, das feststellen zu müssen, begeht in meinen Augen eine Art Todsünde in Sachen Erotisma: Er sperrt nämlich den Eros auf ähnliche Weise aus, wie es die „Göttin“ im Text mit dem submissiven Mann tut. In der jetzigen Fassung fällt es selbst mir, der ich wohlgemerkt mit Sympathie an den Text herangehe, nicht allzu leicht, die ideellen u/o mentalen Bedingungen in Sachen BDSM im Text wiederzufinden (vom direkten physischen Erleben ganz zu schweigen), die den Text, sofern sie erfüllt wären, überhaupt erst als Erotismo qualifizierten. Unter diesem Gesichtspunkt erinnert mich „Besser sogar als ich Selbst“ ganz klar an die Werke eines Nucleus, der selbst sagte, dass seine Texte „vom anderen Ende der Erotik“ stammen. Natürlich sind erotische Untertöne im vorliegenden Text aufspürbar, aber diese sind so unterschwellig (es ist ja nicht einmal klar, ob der Protagonist nackt ist oder nicht!), dass sie schwerlich irgendeine Wirkung entfalten.

Und was es an ideellem erotischen Material gibt, na ja, dazu fällt mir nur ein, dass es auf mich ziemlich flach wirkt, denn wie sooft wird das Konzept „Liebe“ vorgeschoben, um dem submissiven Erleben des Protagonisten irgendetwas zu verleihen, dass näherungsweise an eine „Motivation“ erinnern könnte, wobei aber selbst das vorgeschobene Konzept „Liebe“ an dieser Stelle die Autorin – ähnlich den erotischen Untertönen - nicht endlich artikuliert, sondern ganz und gar auf der impliziten Ebene belässt (bspw. in der Anrede „Göttin“ und dem angekündigten Bemühen ums romantische Frühstück), sodass jedoch aber letztlich ihr Konzept „Liebe“ genauso wenig erklärt wie das Konzept Gott: nichts. Zudem die implizierte Liebe hier eher Wirkung denn Ursache des Dominanzspielchen zu sein scheint, weil sie erst ins Spiel kommt, als jenes Spielchen seinen Höhepunkt überschreitet und der Protagonist den Gedanken fallen lässt, das Spiel vorzeitig zu beenden, da ihn seine „Göttin“ entgegen seiner Zweifel doch noch empfängt. Daraufhin folgt ja auch seine Ankündigung, dass er in Zukunft ihr noch besser dienen wolle als sein altes „Selbst“. Seine hingebungsvolle Liebe zu seiner „Göttin“ scheint somit also Wirkung des Spielchens zu sein, nicht jedoch die zu diesem Spielchen überhaupt erst motivierende Ursache.

Was also eigentliche Bedingung(en) des ganzen Textgeschehens ist (bzw. sind) bleibt somit im Dunkeln. (Liebe ist keine hinreichende Antwort. Genauso könnte man auch jede offene Frage nicht-beantworten, indem man „Gott“ versetzte, z.B.: ‚Wieso fällt der Apfel vom Baum auf die Erde? – Weil es Gottes Wille ist!‘, was nichts erklärt.) Das laste ich dem Text hier als besondere Schwäche an, weil dies der kritische Punkt ist, an dem sich entscheiden könnte, ob der Text überhaupt Erotisma sein will und kann.

Aber da er m.E. keine im Erotismus gegründete Antwort gibt, könnte der Text meiner Einschätzung nach genauso gut in „Nicht-Erotik“ veröffentlicht werden; er ist schlechterdings kein erotischer Text.

Je nachdem, was man als Leser vielleicht erwartet, könnte man das der Autorin als komplettes Versagen auslegen, schließlich hat sie den vorliegenden erotikfreien Text in einem nicht erotikfreien Bereich veröffentlicht, oder ihr zugutehalten, dass sie die Kühnheit aufgebracht hat, sich vom anderen Ende der Erotik dem Schreiben eines Erotismo zu nähern, wobei zu Letzterem zu sagen ist, dass zumindest die vorliegenden Fassung freilich noch genügend Potential für künftige Überarbeitungen (nicht nur) in Sachen Erotik birgt.

Auf die Figuren bezogen fällt das Urteil ähnlich aus: Da „Liebe“ im Text höchstens als Wirkung zutage tritt und die Figuren keine weiteren Eigenschaften aufweisen und auch nichts über ihre Stellung in der fiktionalen Welt der Geschichte preisgegeben wird, sind sie am Ende – leider! – nur Figuranten. Sie sind ohne Charakter, ja, sie selbst sind k e i n e Charaktere. Und das vereitelt de facto auch irgendeine Identifikation mit ihnen, der Situation, in der sie sich befinden, und den behaupteten Emotionen in ihrem fiktionalen Erleben (bspw. der Gefühlsumschwung im Protagonisten vom Überdruss zur Liebe).

Daher büßt der Text auch erheblich in Stimmigkeit ein, da das Geschehen und die Aktionen schlichtweg nicht nachvollziehbar sind. Und auch etwaige Andeutungen (z.B. alkoholabhängiger Gouverneur) laufen ins Leere bzw. finden gar keine Grundlage von der aus sie vom Leser weiterverfolgt werden könnten: Es gibt kein Setting, in das jene Andeutungen eingebettet sein könnten, und selbst wenn es dieses Setting gäbe, so wäre es irrelevant, um das Spielchen zwischen Protagonist und „Göttin“ nachzuvollziehen, das – wie gesagt – ein ideelles und also abstraktes ist und das an irgendeiner Welthaltigkeit nicht interessiert scheint.

Und also das bedeutet in der Konsequenz schlussendlich nicht überwältigende Ambiguität, sondern schlichtweg Substanzlosigkeit; dazu sei gesagt, dass leider viel zu leicht es dazu kommt, dass man als Autor es verpasst, dem Text das nötige Fundament zu geben, auf das der Leser sich begeben und etwaige Interpretationen aufbauen könnte – ohne Fundament ist das leider nicht möglich, und so ist es auch im Fall von „Besser sogar als ich Selbst“.

Dementsprechend fällt auch die Aussage des Texts reichlich platt aus: Liebe überwindet alles. Oder: In der Liebe wächst der Einzelne über sich hinaus. Das sind nicht bloß Klischees, sondern noch dazu solche, die in der kitschigen Romance-Sparte derartig abgedroschene Mustervorlagen bilden, dass sie einfach nicht ernstzunehmen sind, noch dazu sie im vorliegenden Text nicht Geringsten ironisch gebrochen werden: Die Aussicht auf das romantische Frühstück des Protagonisten mit seiner „Göttin“ am Ende ist quasi der präventiv verabreichte Zuckerwürfel für den Geschmack des Lesers, was die ganze Chose jedoch so unerträglich versüßt, dass einem bald die Zähne wehtun. (In diesem Punkt scheint mir die Autorin in negativer Hinsicht von MagnoliaS beeinflusst zu sein, die auch mehr und mehr ihren Texte – und natürlich dem Leser! – mit Zuckerguss zusetzte.)

Trotzdem, das sei am Ende positiv hervorgehoben, bemüht die Autorin offensichtlich sich vom ambitionslosen Wichsvorlagen-Einerlei, das im deutschen LIT regiert, abzuheben, was grundsätzlich positiv ist, weshalb ich, wie gesagt, dem vorliegenden Text auch eine gewisse Sympathie entgegenbringe, und außerdem die Autorin auch sprachlich nicht Schulaufsatzdeutsch gleich welcher Klassenstufe als ihr hehres Ziel ausgemacht zu haben scheint, was „Besser sogar als ich Selbst“ bereits sprachlich abgrenzt vom Einerlei, und schließlich, wie mein Überarbeitungsvorschlag eingangs hoffentlich klarlegte, der Text offenkundig Potential erkennen lässt, dass entweder auf eine gelungenere Überarbeitung oder gelungenere neue Texte aus der Feder der Autorin hoffen lässt.

In diesem Sinne wünsche ihr noch viel Spaß beim Schreiben, so wie es ihr beliebt, solange sie es dann auch verzeiht, wenn Mistböcke wie ich (oder vielleicht auch der wiederauferstandene MonteZ?) Texte aus ihrer Feder womöglich nicht ohne Blick auf die literarischen Tatsachen kommentieren.

Beste Grüße

–AJ

PS: Da ich den Kommentar „konstruktiv“ im gemeinen Sinne begann, möchte ich ihn auch dementsprechend schließen, und also ich dir, besslamess, eine Leseempfehlung gebe, anhand derer du vielleicht besser als durch meinen Sums verstehen magst, wie ein kreativeres und die ideellen Bedingungen in Sachen BDSM und Liebe und sw. herausarbeitendes Erotismo aussehen könnte: „Obedience In All“ by PassionStJohn (natürlich in englischer Sprache). Das ist der vielleicht stärkste BDSM-Text überhaupt auf Literotica. Und ähnlich wie du und Nucleus ist auch er inhaltlich eher auf „der anderen Seite der Erotik“ zu verorten. Die Bezüge zu deiner Schreibe scheinen mir also vorhanden zu sein: Es soll ein Beispiel sein für einen Text, der sein Potential nahezu vollständig ausschöpft. Ich hoffe, er gefällt dir.

Auden JamesAuden Jamesvor etwa 12 Jahren
∴ { ◊ ◊ 2 STERNE ◊ ◊ }

(Obschon das BDSM/Liebe-Thema, wie gesagt, nicht eigentlich angemessen herausgearbeitet ist, schätze ich deinen Mut, die Herausforderung anzunehmen, überhaupt eine solche Vignette zum BDSM/Liebe-Thema zu schreiben. Ich hoffe, dass mein kritischer Kommentar das nicht verschleierte. Und also spätestens jetzt ist das klar.)

CittadolenteCittadolentevor etwa 12 Jahren
@ Anonymus + Auden James

@ Anonymus: Es wäre sowohl unhöflich als auch unproduktiv, die Qualität meiner Geschichten im Rahmen der Kommentarfunktion zu einem Text der Autorin besslamess zu diskutieren.

@ Auden James: Du schießt hier mit Kanonen auf Spatzen - und dadurch zwangsläufig daneben.

1) Grundsätzlich hängt für mich die vergleichende Bewertung eines Textes zunächst einmal davon ab, in welche Textkategorie er fällt.

Für mich handelt es sich hier um eine (wundervolle) Prosaskizze, die in einer konkreten Situation das Fühlen, Verhalten und Denken eines Mannes schildert, der einer Frau hörig ist. Dem gegenüber treten alle sonstigen Bezüge und Sachverhalte - die Gäste, seine (objektiv läppische) Verfehlung, die der "Göttin" den Vorwand geliefert hat, ihn zu bestrafen, und sogar das Fühlen und Verhalten der Göttin selbst in den Hintergrund.

Man könnte eine solche Situation natürlich auch anders konstruieren, nämlich aus dem Blickwinkel der Herrin, der Gäste, eines neutralen Erzählers oder wessen auch immer. Jede Perspektive ist insoweit legitim, aber die vorliegende Skizze ist nun einmal unter demjenigen Blickwinkel zu beurteilen, den die Autorin ausgewählt hat.

Man kann diese Skizze auch zu einem Roman ausbauen (und ich fände es hochinteressant, wenn besslamess das täte). Der vorliegende Text ist aber nun einmal kein Roman, und nicht einmal eine ausgebaute Geschichte. Also ist er nach seinen Qualitäten als Prosaskizze zu beurteilen (notfalls auch als "Geschichte", darüber würde ich nicht streiten wollen).

2) Das erste Kapitel ist keine bloße Situationsbeschreibung (wie in deiner "Verbesserung"). Vielmehr hat es die Aufgabe und ist es wahrscheinlich auch sprachlich daraufhin angelegt, dem Leser zugleich die äußere Lage und den inneren Seelenzustand des (leidenden, duldenden) Sub vor Augen zu führen. Die 'Unebenheit' der Sätze - länger, kürzer - kann als Charakterisierung eines Widerstreits der Gefühle des Protagonisten zwischen Unterwerfung und Auflehnung verstanden werden, und/oder als Ausdruck seiner körperlichen und seelischen Schmerzen, die auch auf seine sprachlichen Fähigkeiten ein wenig in Mitleidenschaft ziehen. Vielleicht hätte man das besser machen können (wie, wüsste ich freilich nicht); aber für mich kommt dieser (bewusst oder intuitiv so konstruierte) Inhalt schon aus dem Sprachduktus rüber.

3) Erotik geht viel weiter als Bumserei, und Nacktheit ist weder eine notwendige noch eine zureichende Bedingung für eine erotische Situation. Hörigkeit ist erotisch gegründet, und für mich ist der Text voller prickelnder Erotik. Wenn er in dir keine solchen Assoziationen erweckt, heißt das jedenfalls nicht, dass er auch bei anderen Lesern/~innen ins Leere gehen muss. Und die mentale Bedingung des Mannes ist völlig eindeutig seine Hörigkeit. Wie es zu der Hörigkeit gekommen ist (als Prädisposition vielleicht durch Kindheitserlebnisse angelegt), und wie sie sich auf das konkrete Objekt fixiert hat: darüber mag jeder spekulieren. Man kann auch darüber schreiben. Aber der vorliegende Text wählt nun einmal einen anderen Ausschnitt aus dem endlosen Kontinuum des Seins: Blende auf und Blick auf den Dulder an der Büßerwand. Das ist absolut okay. Jeder Text blendet (fast) alles aus; die Frage ist nur, ob die Auswahl dessen, was der Text enthält, gelungen ist oder nicht. Für mich ist er das, mich bewegt dieser Text.

4) Zitat AJ: "..... wie sooft wird das Konzept „Liebe“ vorgeschoben, um dem submissiven Erleben des Protagonisten irgendetwas zu verleihen, das näherungsweise an eine 'Motivation' erinnern könnte, wobei aber [die Autorin*] .... das vorgeschobene Konzept „Liebe“ an dieser Stelle .... nicht .... artikuliert, sondern ganz und gar auf der impliziten Ebene belässt ..... , sodass ..... letztlich ihr Konzept „Liebe“ genauso wenig erklärt wie das Konzept Gott: nichts."

* Im Interesse eines erleichterten Verständnisses habe ich deinen manchmal eigenwilligen Satzbau hier mal umgestellt.

Dazu

a) Ich bin heilfroh, dass die Autorin hier den Helden nicht sagen lässt: "Ich stehe hier an der Wand, weil meine Göttin es mir befohlen hat, und ich befolge ihre Befehle, weil ich sie liebe."

b) Der handlungserklärende Wert eines wie auch immer gearteten Verständnisses von Liebe ist nicht davon abhängig, ob dieser Begriff explizit oder implizit in den Text eingeführt wird.

c) Hörigkeit ist nach wohl weitgehend allgemeinem Verständnis eine spezifische Ausprägung einer Liebesbeziehung. Wie anders sollte man das Verhalten des Protagonisten deuten, wenn nicht als Ausdruck einer (exaltierten, meinetwegen sogar pervertierten) liebenden Hingabe an seine Herrin? Und wieso sollte die Autorin ausdrücklich sagen müssen, was doch mehr oder weniger jeder weiß? Das würde ihren Text banalisieren (s. oben unter a.)

d) Liebe ist keine Substanz, sondern ein manchmal in uns auftauchendes (meinetwegen auch: uns zeitweise beherrschendes) Gefühl, das gelegentlich in bestimmten Verhaltensformen (die mehr oder weniger stark auch durch gesellschaftliche Konventionen geprägt sind) für Außenstehende wahrnehmbar wird. Insofern kann Liebe sowohl Grundlage als auch Folge von Hörigkeit / hörigem Verhalten sein: wenn man sich so verhält, wie es dem eigenen Verständnis von "Liebe" (i. S. von Liebesverhalten) entspricht, verstärkt man damit die "Liebe" (als Gefühl).

5) Zitat AJ: "Was also eigentliche Bedingung(en) des ganzen Textgeschehens ist (bzw. sind) bleibt somit im Dunkeln. (Liebe ist keine hinreichende Antwort. Genauso könnte man auch jede offene Frage nicht-beantworten, indem man „Gott“ versetzte, z.B.: ‚Wieso fällt der Apfel vom Baum auf die Erde? – Weil es Gottes Wille ist!‘, was nichts erklärt.) Das laste ich dem Text hier als besondere Schwäche an, weil dies der kritische Punkt ist, an dem sich entscheiden könnte, ob der Text überhaupt Erotisma sein will und kann."

a) An eine Prosaskizze gehe ich nicht mit der Erwartung heran, dass sie weitschweifig die Bedingungen des Textgeschehens enthüllen müsste (oder auch nur könnte).

b) Die vorliegende Skizze geht von dem als selbstverständlich vorausgesetzten Vorverständnis der Leser aus, dass hier ein Hörigkeitsverhältnis vorliegt, und das wird allgemein als eine spezifische Ausprägungsform von "Liebe" verstanden.

c) Wenn ein Autor aus handlungsbegründeten Gründen einen Apfel vom Baum fallen lässt, muss er sich nicht auf Newton beziehen. Er kann den Sachverhalt unbegründet lassen, oder (wenn es die Handlung, z. B. Märchen~, erfordert) kontrafaktisch dem Walten einer Hexe zuschreiben. Oder auch dem lieben Gott. Sollte es eines Tages gelingen, "die Liebe" zu erklären, oder den Zusammenhang bestimmter Verhaltensformen mit einem bestimmten Erregungszustand des Gehirns namens "Liebe", können wir die Fakultäten für Literatur in Abteilungen der biochemischen Fakultäten überführen. Solange wir das noch nicht erreicht haben werden wir es hinnehmen müssen, dass es mehr Dinge zwischen Himmel und Erde gibt, als unsere Schulweisheit zu erklären vermag. Und für deren "Erklärung" hat unsere Gesellschaft nun einmal die Literatur hervorgebracht - ohne damit eine Erwartung an die Schriftsteller zu verbinden, dass diese das Unerforschliche gefälligst in seinen Kausalzusammenhängen darzulegen hätten.

d) Ganz allgemein zu deiner Zumutung an den vorliegenden Text, eine Erklärung für das Verhalten des Mannes liefern zu müssen: Die Erklärung in der von dir hoch gelobten BDSM-Geschichte "figging cat", warum die Studentin sich vom Professor bestrafen lässt, ist ein notdürftig zusammengeschustertes Konstrukt. Dem gegenüber wird vorliegend - absolut legitim und für die allermeisten Leser wahrscheinlich unproblematisch - auf ein konsensuelles Vorverständnis zurückgegriffen, das jede weitere Erklärung überflüssig macht. (Das übrigens unabhängig von der - belletristischen - Textsorte; selbst wenn die Skizze zu einem Roman ausgebaut würde, wäre das Verhalten des Helden nicht weiter begründungsbedürftig.)

6) Ob ein Text erotisch ist oder nicht, lässt sich ganz gewiss nicht daraus ableiten, ob er, wie er und bis zu welchem Grade er irgendwelche Zusammenhänge begründet. Vorliegend schildert der Text eine Verhaltensform, die nach meiner Einschätzung alle zumindest ein wenig belesenen Leser/innen als Ausprägung von Liebe - wenn schon nicht emotional nachvollziehen, dann doch wenigstens intellektuell erkennen können.

Bei dir mag es nicht so wirken, aber für mich enthalten (im vorliegenden Text) z. B. die Sätze:

"Eine Hand legt sich warm auf meinen Rücken, genau zwischen die Schulterblätter. Sie streicht langsam den Rücken hinunter, .... Ich falle in ihre Arme, wörtlich, denn ich kann mich nicht mehr aufrecht halten. Sie führt mich langsam zum Bett, halb trägt sie mich, beruhigende Laute, nicht einmal Worte, haucht sie. Ich liege. Ich habe die Augen geschlossen und warte, bis das Weinen vorübergeht"

mehr Erotik als etwa

"Sie greift mir zwischen die Beine, sie streichelt mir die Eier. Ich falle auf sie drauf, sie macht die Beine auf, wir bumsen voll vergnügt, was für Erotik voll genügt."

Des weiteren entschlüsselt diese Passage für diejenigen, die Augen haben zu sehen und Ohren zu hören, auch die tiefere Natur dieser Liebesbeziehung: Es ist ein pervertiertes Mutter-Kind-Verhältnis, wo sie ihn 'aufhebt' und tröstet wie eine Mutter das tun würde. Der Unterschied liegt darin, dass die Herrin ihr 'Kind' selbst in jenes Elend stürzt, aus dem sie es dann ab und an wieder errettet.

(Genau so macht das ja auch der liebe Gott. Wenn man sich den als allwissend und allmächtig vorstellt, dann ist er es, der alles Elend - wie natürlich auch alles Gute - zu verantworten hat. Insofern ist es ausgesprochen dreist wenn er vorgibt, dass er seinen Sohn - temporär - habe opfern müssen, um uns zu retten! Aber nicht einmal dieses Theodizeeproblem hält Leute vom Glauben ab.)

7) Da diese Prosaskizze eine bestimmte Situation und darin wiederum die Wahrnehmung dieser Situation durch eine der beteiligten Personen beschreibt, ist es völlig daneben, eine psychologische Gesamtcharakterisierung zu erwarten oder gar zu verlangen. Der Protagonist gewinnt hier durchaus eine psychologische Dimension; dass die eindimensional bleibt, liegt in der Natur der Sache. Wen interessiert es z. B., was er beruflich macht, und ob er in seinem Anlageverhalten Bausparer oder Daytrader ist (oder ein armes Schwein ohne Mäuse)?

8) Vor dem Hintergrund der Hörigkeit sind die Situationen und Handlungen vollumfänglich nachvollziehbar; welches weitere "Setting" sollte die Autorin da noch einführen? Etwa eine ökonomische Abhängigkeit: reiche Frau, armer Hansel? Das wäre in diesem Text der reinste Erotiktöter!

9) "Fehlendes Fundament": Kann ich nicht nachvollziehen - s. o.

10) 'Aussage des Textes: Liebe überwindet alles' oder 'In der Liebe wächst der Mensch über sich hinaus' - ???

Derartige Formulierungen fände ich allenfalls dann angemessen, wenn man es hier mit der Textqualität "Kitsch" zu tun hätte. (Oder wenn man einen Kitschtext erwartet hat!)

Wozu solche Aufschwünge ins Reich hoher bzw. banaler Abstrakta? Es reicht doch völlig aus, wenn man aus dem konkreten (äußeren und inneren) Geschehen die konkrete Textaussage ableitet:

"Ich (habe aufbegehrt, doch ich) werde ihr weiterhin, und noch mehr als zuvor, dienen".

D. h. die Göttin hat den Protagonisten von seinem (gewissermaßen: entfremdeten) Zustand der Rebellion gegen ihren Willen (vgl. religiös: Satans Aufbegehren gegen Gott!) zu dem ihm (auch nach seiner eigenen Meinung) angemessenen Zustand eines abgründigen Gehorsams zurückgeführt. Aus seiner Sicht ist er nun vielleicht eine Art Heiliger, zumindest aber ein bedingungslos gehorsamer Knecht der Göttin - und damit vielleicht sogar des Göttlichen.

Wer das lächerlich findet, mag das tun (und ggf. auch sagen). Ich persönlich finde diese kompromisslose, gern auch: "fanatische" Unbedingtheit absolut überwältigend, zumal in unserem Zeitalter der gottlosen Rentabilitätsberechnungen.

(Wobei ich mir angesichts ihres weiteren Textes "Göttinnenspiel" bei der Autorin selbst allerdings keineswegs sicher bin, ob diese nicht das Handeln des Mannes/Männchens kritisch sieht und ironisieren wollte. Aber dem Leser steht es ja frei, sich unter den plausiblen Interpretationen - die er allerdings zunächst einmal alle identifizieren sollte - die ihm genehmste oder plausibelste auszusuchen.)

11) Das "romantische" Frühstück ist ein Produkt deiner eigenen Phantasie, AJ, im Text ist davon nicht die Rede. Gut vorstellbar, dass der Protagonist bei diesem "romantische Frühstück" nur einige Brocken vorgeworfen bekommt, die er wie ein Hund vom Boden auffressen muss - und gerade das genießt. Wir wissen es nicht, aber (weiße; schwarze schon eher!) "Romantik" wäre jedenfalls das Letzte, was ich nach dem bisherigen Verlauf erwarten würde. Du unterstellst der Autorin Kitschniveau, ohne dass der Text dazu die geringste Veranlassung bietet.

Insoweit ist es auch unangemessen herablassend, wenn du den vorliegenden Text quasi mit dem Personalbewertung 'hat sich bemüht, den ihr gestellten Anforderungen gerecht zu werden' versiehst ("... bemüht die Autorin offensichtlich sich vom ambitionslosen Wichsvorlagen-Einerlei, das im deutschen LIT regiert, abzuheben.")

"Besser ..." ist eine köstliche Situations- und Gefühlsschilderung (und das "Göttinenspiel" der gleichen Autorin ist eine Geschichte von düsterer Faszination).

CittadolenteCittadolentevor etwa 12 Jahren
@ Anonymus + Auden James

@ Anonymus: Es wäre sowohl unhöflich als auch unproduktiv, die Qualität meiner Geschichten im Rahmen der Kommentarfunktion zu einem Text der Autorin besslamess zu diskutieren.

@ Auden James: Du schießt hier mit Kanonen auf Spatzen - und dadurch zwangsläufig daneben.

1) Grundsätzlich hängt für mich die vergleichende Bewertung eines Textes zunächst einmal davon ab, in welche Textkategorie er fällt.

Für mich handelt es sich hier um eine (wundervolle) Prosaskizze, die in einer konkreten Situation das Fühlen, Verhalten und Denken eines Mannes schildert, der einer Frau hörig ist. Dem gegenüber treten alle sonstigen Bezüge und Sachverhalte - die Gäste, seine (objektiv läppische) Verfehlung, die der "Göttin" den Vorwand geliefert hat, ihn zu bestrafen, und sogar das Fühlen und Verhalten der Göttin selbst in den Hintergrund.

Man könnte eine solche Situation natürlich auch anders konstruieren, nämlich aus dem Blickwinkel der Herrin, der Gäste, eines neutralen Erzählers oder wessen auch immer. Jede Perspektive ist insoweit legitim, aber die vorliegende Skizze ist nun einmal unter demjenigen Blickwinkel zu beurteilen, den die Autorin ausgewählt hat.

Man kann diese Skizze auch zu einem Roman ausbauen (und ich fände es hochinteressant, wenn besslamess das täte). Der vorliegende Text ist aber nun einmal kein Roman, und nicht einmal eine ausgebaute Geschichte. Also ist er nach seinen Qualitäten als Prosaskizze zu beurteilen (notfalls auch als "Geschichte", darüber würde ich nicht streiten wollen).

2) Das erste Kapitel ist keine bloße Situationsbeschreibung (wie in deiner "Verbesserung"). Vielmehr hat es die Aufgabe und ist es wahrscheinlich auch sprachlich daraufhin angelegt, dem Leser zugleich die äußere Lage und den inneren Seelenzustand des (leidenden, duldenden) Sub vor Augen zu führen. Die 'Unebenheit' der Sätze - länger, kürzer - kann als Charakterisierung eines Widerstreits der Gefühle des Protagonisten zwischen Unterwerfung und Auflehnung verstanden werden, und/oder als Ausdruck seiner körperlichen und seelischen Schmerzen, die auch auf seine sprachlichen Fähigkeiten ein wenig in Mitleidenschaft ziehen. Vielleicht hätte man das besser machen können (wie, wüsste ich freilich nicht); aber für mich kommt dieser (bewusst oder intuitiv so konstruierte) Inhalt schon aus dem Sprachduktus rüber.

3) Erotik geht viel weiter als Bumserei, und Nacktheit ist weder eine notwendige noch eine zureichende Bedingung für eine erotische Situation. Hörigkeit ist erotisch gegründet, und für mich ist der Text voller prickelnder Erotik. Wenn er in dir keine solchen Assoziationen erweckt, heißt das jedenfalls nicht, dass er auch bei anderen Lesern/~innen ins Leere gehen muss. Und die mentale Bedingung des Mannes ist völlig eindeutig seine Hörigkeit. Wie es zu der Hörigkeit gekommen ist (als Prädisposition vielleicht durch Kindheitserlebnisse angelegt), und wie sie sich auf das konkrete Objekt fixiert hat: darüber mag jeder spekulieren. Man kann auch darüber schreiben. Aber der vorliegende Text wählt nun einmal einen anderen Ausschnitt aus dem endlosen Kontinuum des Seins: Blende auf und Blick auf den Dulder an der Büßerwand. Das ist absolut okay. Jeder Text blendet (fast) alles aus; die Frage ist nur, ob die Auswahl dessen, was der Text enthält, gelungen ist oder nicht. Für mich ist er das, mich bewegt dieser Text.

4) Zitat AJ: "..... wie sooft wird das Konzept „Liebe“ vorgeschoben, um dem submissiven Erleben des Protagonisten irgendetwas zu verleihen, das näherungsweise an eine 'Motivation' erinnern könnte, wobei aber [die Autorin*] .... das vorgeschobene Konzept „Liebe“ an dieser Stelle .... nicht .... artikuliert, sondern ganz und gar auf der impliziten Ebene belässt ..... , sodass ..... letztlich ihr Konzept „Liebe“ genauso wenig erklärt wie das Konzept Gott: nichts."

* Im Interesse eines erleichterten Verständnisses habe ich deinen manchmal eigenwilligen Satzbau hier mal umgestellt.

Dazu

a) Ich bin heilfroh, dass die Autorin hier den Helden nicht sagen lässt: "Ich stehe hier an der Wand, weil meine Göttin es mir befohlen hat, und ich befolge ihre Befehle, weil ich sie liebe."

b) Der handlungserklärende Wert eines wie auch immer gearteten Verständnisses von Liebe ist nicht davon abhängig, ob dieser Begriff explizit oder implizit in den Text eingeführt wird.

c) Hörigkeit ist nach wohl weitgehend allgemeinem Verständnis eine spezifische Ausprägung einer Liebesbeziehung. Wie anders sollte man das Verhalten des Protagonisten deuten, wenn nicht als Ausdruck einer (exaltierten, meinetwegen sogar pervertierten) liebenden Hingabe an seine Herrin? Und wieso sollte die Autorin ausdrücklich sagen müssen, was doch mehr oder weniger jeder weiß? Das würde ihren Text banalisieren (s. oben unter a.)

d) Liebe ist keine Substanz, sondern ein manchmal in uns auftauchendes (meinetwegen auch: uns zeitweise beherrschendes) Gefühl, das gelegentlich in bestimmten Verhaltensformen (die mehr oder weniger stark auch durch gesellschaftliche Konventionen geprägt sind) für Außenstehende wahrnehmbar wird. Insofern kann Liebe sowohl Grundlage als auch Folge von Hörigkeit / hörigem Verhalten sein: wenn man sich so verhält, wie es dem eigenen Verständnis von "Liebe" (i. S. von Liebesverhalten) entspricht, verstärkt man damit die "Liebe" (als Gefühl).

5) Zitat AJ: "Was also eigentliche Bedingung(en) des ganzen Textgeschehens ist (bzw. sind) bleibt somit im Dunkeln. (Liebe ist keine hinreichende Antwort. Genauso könnte man auch jede offene Frage nicht-beantworten, indem man „Gott“ versetzte, z.B.: ‚Wieso fällt der Apfel vom Baum auf die Erde? – Weil es Gottes Wille ist!‘, was nichts erklärt.) Das laste ich dem Text hier als besondere Schwäche an, weil dies der kritische Punkt ist, an dem sich entscheiden könnte, ob der Text überhaupt Erotisma sein will und kann."

a) An eine Prosaskizze gehe ich nicht mit der Erwartung heran, dass sie weitschweifig die Bedingungen des Textgeschehens enthüllen müsste (oder auch nur könnte).

b) Die vorliegende Skizze geht von dem als selbstverständlich vorausgesetzten Vorverständnis der Leser aus, dass hier ein Hörigkeitsverhältnis vorliegt, und das wird allgemein als eine spezifische Ausprägungsform von "Liebe" verstanden.

c) Wenn ein Autor aus handlungsbegründeten Gründen einen Apfel vom Baum fallen lässt, muss er sich nicht auf Newton beziehen. Er kann den Sachverhalt unbegründet lassen, oder (wenn es die Handlung, z. B. Märchen~, erfordert) kontrafaktisch dem Walten einer Hexe zuschreiben. Oder auch dem lieben Gott. Sollte es eines Tages gelingen, "die Liebe" zu erklären, oder den Zusammenhang bestimmter Verhaltensformen mit einem bestimmten Erregungszustand des Gehirns namens "Liebe", können wir die Fakultäten für Literatur in Abteilungen der biochemischen Fakultäten überführen. Solange wir das noch nicht erreicht haben werden wir es hinnehmen müssen, dass es mehr Dinge zwischen Himmel und Erde gibt, als unsere Schulweisheit zu erklären vermag. Und für deren "Erklärung" hat unsere Gesellschaft nun einmal die Literatur hervorgebracht - ohne damit eine Erwartung an die Schriftsteller zu verbinden, dass diese das Unerforschliche gefälligst in seinen Kausalzusammenhängen darzulegen hätten.

d) Ganz allgemein zu deiner Zumutung an den vorliegenden Text, eine Erklärung für das Verhalten des Mannes liefern zu müssen: Die Erklärung in der von dir hoch gelobten BDSM-Geschichte "figging cat", warum die Studentin sich vom Professor bestrafen lässt, ist ein notdürftig zusammengeschustertes Konstrukt. Dem gegenüber wird vorliegend - absolut legitim und für die allermeisten Leser wahrscheinlich unproblematisch - auf ein konsensuelles Vorverständnis zurückgegriffen, das jede weitere Erklärung überflüssig macht. (Das übrigens unabhängig von der - belletristischen - Textsorte; selbst wenn die Skizze zu einem Roman ausgebaut würde, wäre das Verhalten des Helden nicht weiter begründungsbedürftig.)

6) Ob ein Text erotisch ist oder nicht, lässt sich ganz gewiss nicht daraus ableiten, ob er, wie er und bis zu welchem Grade er irgendwelche Zusammenhänge begründet. Vorliegend schildert der Text eine Verhaltensform, die nach meiner Einschätzung alle zumindest ein wenig belesenen Leser/innen als Ausprägung von Liebe - wenn schon nicht emotional nachvollziehen, dann doch wenigstens intellektuell erkennen können.

Bei dir mag es nicht so wirken, aber für mich enthalten (im vorliegenden Text) z. B. die Sätze:

"Eine Hand legt sich warm auf meinen Rücken, genau zwischen die Schulterblätter. Sie streicht langsam den Rücken hinunter, .... Ich falle in ihre Arme, wörtlich, denn ich kann mich nicht mehr aufrecht halten. Sie führt mich langsam zum Bett, halb trägt sie mich, beruhigende Laute, nicht einmal Worte, haucht sie. Ich liege. Ich habe die Augen geschlossen und warte, bis das Weinen vorübergeht"

mehr Erotik als etwa

"Sie greift mir zwischen die Beine, sie streichelt mir die Eier. Ich falle auf sie drauf, sie macht die Beine auf, wir bumsen voll vergnügt, was für Erotik voll genügt."

Des weiteren entschlüsselt diese Passage für diejenigen, die Augen haben zu sehen und Ohren zu hören, auch die tiefere Natur dieser Liebesbeziehung: Es ist ein pervertiertes Mutter-Kind-Verhältnis, wo sie ihn 'aufhebt' und tröstet wie eine Mutter das tun würde. Der Unterschied liegt darin, dass die Herrin ihr 'Kind' selbst in jenes Elend stürzt, aus dem sie es dann ab und an wieder errettet.

(Genau so macht das ja auch der liebe Gott. Wenn man sich den als allwissend und allmächtig vorstellt, dann ist er es, der alles Elend - wie natürlich auch alles Gute - zu verantworten hat. Insofern ist es ausgesprochen dreist wenn er vorgibt, dass er seinen Sohn - temporär - habe opfern müssen, um uns zu retten! Aber nicht einmal dieses Theodizeeproblem hält Leute vom Glauben ab.)

7) Da diese Prosaskizze eine bestimmte Situation und darin wiederum die Wahrnehmung dieser Situation durch eine der beteiligten Personen beschreibt, ist es völlig daneben, eine psychologische Gesamtcharakterisierung zu erwarten oder gar zu verlangen. Der Protagonist gewinnt hier durchaus eine psychologische Dimension; dass die eindimensional bleibt, liegt in der Natur der Sache. Wen interessiert es z. B., was er beruflich macht, und ob er in seinem Anlageverhalten Bausparer oder Daytrader ist (oder ein armes Schwein ohne Mäuse)?

8) Vor dem Hintergrund der Hörigkeit sind die Situationen und Handlungen vollumfänglich nachvollziehbar; welches weitere "Setting" sollte die Autorin da noch einführen? Etwa eine ökonomische Abhängigkeit: reiche Frau, armer Hansel? Das wäre in diesem Text der reinste Erotiktöter!

9) "Fehlendes Fundament": Kann ich nicht nachvollziehen - s. o.

10) 'Aussage des Textes: Liebe überwindet alles' oder 'In der Liebe wächst der Mensch über sich hinaus' - ???

Derartige Formulierungen fände ich allenfalls dann angemessen, wenn man es hier mit der Textqualität "Kitsch" zu tun hätte. (Oder wenn man einen Kitschtext erwartet hat!)

Wozu solche Aufschwünge ins Reich hoher bzw. banaler Abstrakta? Es reicht doch völlig aus, wenn man aus dem konkreten (äußeren und inneren) Geschehen die konkrete Textaussage ableitet:

"Ich (habe aufbegehrt, doch ich) werde ihr weiterhin, und noch mehr als zuvor, dienen".

D. h. die Göttin hat den Protagonisten von seinem (gewissermaßen: entfremdeten) Zustand der Rebellion gegen ihren Willen (vgl. religiös: Satans Aufbegehren gegen Gott!) zu dem ihm (auch nach seiner eigenen Meinung) angemessenen Zustand eines abgründigen Gehorsams zurückgeführt. Aus seiner Sicht ist er nun vielleicht eine Art Heiliger, zumindest aber ein bedingungslos gehorsamer Knecht der Göttin - und damit vielleicht sogar des Göttlichen.

Wer das lächerlich findet, mag das tun (und ggf. auch sagen). Ich persönlich finde diese kompromisslose, gern auch: "fanatische" Unbedingtheit absolut überwältigend, zumal in unserem Zeitalter der gottlosen Rentabilitätsberechnungen.

(Wobei ich mir angesichts ihres weiteren Textes "Göttinnenspiel" bei der Autorin selbst allerdings keineswegs sicher bin, ob diese nicht das Handeln des Mannes/Männchens kritisch sieht und ironisieren wollte. Aber dem Leser steht es ja frei, sich unter den plausiblen Interpretationen - die er allerdings zunächst einmal alle identifizieren sollte - die ihm genehmste oder plausibelste auszusuchen.)

11) Das "romantische" Frühstück ist ein Produkt deiner eigenen Phantasie, AJ, im Text ist davon nicht die Rede. Gut vorstellbar, dass der Protagonist bei diesem "romantische Frühstück" nur einige Brocken vorgeworfen bekommt, die er wie ein Hund vom Boden auffressen muss - und gerade das genießt. Wir wissen es nicht, aber (weiße; schwarze schon eher!) "Romantik" wäre jedenfalls das Letzte, was ich nach dem bisherigen Verlauf erwarten würde. Du unterstellst der Autorin Kitschniveau, ohne dass der Text dazu die geringste Veranlassung bietet.

Insoweit ist es auch unangemessen herablassend, wenn du den vorliegenden Text quasi mit dem Personalbewertung 'hat sich bemüht, den ihr gestellten Anforderungen gerecht zu werden' versiehst ("... bemüht die Autorin offensichtlich sich vom ambitionslosen Wichsvorlagen-Einerlei, das im deutschen LIT regiert, abzuheben.")

"Besser ..." ist eine köstliche Situations- und Gefühlsschilderung (und das "Göttinenspiel" der gleichen Autorin ist eine Geschichte von düsterer Faszination).

CittadolenteCittadolentevor etwa 12 Jahren
Doppelkommentar

Sorry, dass mein Kommentar (wieso?) doppelt erscheint.

Vielleicht kann bessamless einen löschen? Danke!

rosettenfreakrosettenfreakvor etwa 12 Jahren
@Cittadolente/@AJ

Geht es noch kuerzer??? (Lach)

Und vor allem: Wieso hast du deinen langen Kommentar hier gleich dreimal eingestellt?

Inhaltlich enthaelt dein Kommentar viel Richtiges, und ich sag spaeter noch etwas dazu.

Zur Story: Man kann natuerlich immer das Haar in der Suppe suchen, und wenn man lange genug sucht, wird man es auch finden.

Es ist eine der besten Stories seit langem, grade in dieser Kategorie.

lg

LIT-RANICKI "rosi"(Johannes)

CittadolenteCittadolentevor etwa 12 Jahren
"Obedience in all" ...

... ist ganz gewiss eine außerordentlich zarte und anrührende "5-Punkte-" Liebesgeschichte.

Erotisch ist der Text absolut nicht (rein faktisch, nicht als Kritik von mir gemeint!), und als BDSM-Geschichte ist er sogar extrem dürftig: Sie lädt ihn zum Abendessen ein, trägt nackig auf und sagt: Hey Boy, jetzt beherrsch mich mal. (Dafür würde ich, wenn ich eine Bewertung abgegeben wollte, wieder einen Punkt abziehen.)

Also komm, AJ, wenn DAS dein literarischer Fixstern ist ..... .

Auden JamesAuden Jamesvor etwa 12 Jahren
@ Cittadolente

Vielen Dank für deine ausführliche Antwort, allerdings würde ich die weitere Diskussion über meinen Kommentar lieber dahin verlagern, wo sie, denke ich, eher hingehört: ins Forum.

Oder findest du nicht, dass das PCB anderer Autoren in erster Linie Kommentaren vorbehalten sein sollte, die zum Text des Autors Stellung nehmen, statt den Kommentaren, die Stellung nehmen zu Kommentaren anderer Nutzer zum Text des Autors?

Vielleicht liest man sich also im Forum!

–AJ

rosettenfreakrosettenfreakvor etwa 12 Jahren
@Auden (@"Cittadolente" von "AJ")

Gute Idee von dir, die thematisch wirklich interessante Diskussion in das "Diskussionsforum" zu verlegen.

Ich denke der Thread von "KrystanX" "Um was geht es bei Literatur?" koennte passend sein?

Ich sag dort heut oder morgen (relativ) kurz, wie ich die Dinge sehe.

lg

LIT-RANICKI "rosi" (Johannes)

CittadolenteCittadolentevor etwa 12 Jahren
@ rosettenfreak & AJ

@ rosettenfreak:

naja, ich dachte, weil ich ja nicht so häufig schreibe, dürfte es zum Ausgleich mal etwas länger werden. ;-)

Und wenn ich eine(n) Autor(in) gefunden habe, dessen/deren Geschichte ich für absolute Spitze (im Lit-Rahmen) halte, dann lege ich mich schon mal wortreich ins Zeug für ihn/sie. Dass ich hier finde, was ich für eine Perle halte, kommt selten genug vor; auf meine Art bin ich nämlich mindestens genauso wählerisch wie AJ.

@ Auden James:

Grundsatzdiskussionen über Kriterien, die uns veranlassen, Texte als gut oder schlecht, erotisch oder nicht-erotisch usw. zu bewerten, gehören zweifellos ins Forum.

Aber vorliegend diskutieren wir ja doch (zumindest momentan noch) konkret über den "Besser ...."-Text von bessamless. Du hast begründet, warum du ihn für unterdurchschnittlich hältst. Ich habe, mit Bezugnahmen teils auf deinen Kommentar und teils auf den Geschichteninhalt begründet, warum ich ihn für ausgezeichnet halte.

Insoweit erscheint es mir nebensächlich, ob man seinen Standpunkt mehr im Gegensatz zu (bzw. ggf. auch in Übereinstimmung mit) einem anderen Kommentar entwickelt, oder mehr oder weniger rein aus einer Betrachtung der Geschichte selbst ableitet. Entscheidend ist für mich, ob sich die Debatte (noch) um den jeweiligen Text dreht. Das tut sie aus meiner Sicht und deshalb würde ich es für unzweckmäßig halten, sie im Forum sozusagen zu "verstecken". Da schauen wohl nur die wenigsten Leser rein, zumal ja auch niemand dort eine Diskussion erwarten würde, die sich konkret um eine Geschichte dreht.

Auch der Umstand, dass man seine Position in der konkreten Diskussion teilweise mit Rückgriffen auf allgemeinere Überlegungen, Wertvorstellungen usw. wird begründen müssen, ändert daran nichts, solange das Hilfsargumente bleiben, um die jeweilige Geschichte zu beurteilen.

Da du bessamless die "Obedience in all" als vorbildlich empfohlen hast, erscheint es mir auch angemessen, dass ich meine (kurze) Einschätzung auch dieser Geschichte hier gepostet habe.

rosettenfreakrosettenfreakvor etwa 12 Jahren
@Auden & Cittadolente

"Cittadolente" bringt in seinm letzten Kommentar gute Gruende vor, warum man das Ganze auch hier diskutieren kann.

"AJ" schreibt in seinem ersten Kommentar: "Wie so oft wird das Konzept Liebe vorgeschoben um dem submissiven Erleben des Protagonisten irgend etwas zu verleihen, das naehrungsweise an eine Motivation erinnern koennte."

"AJ" haelt diese Motivation fuer nicht glaubwuerdig und nicht ueberzeugend.

Wie wollen wir entscheiden, ob eine Liebe "glaubwuerdig" ist?

Liebe IST einfach, ebenso wie Hoerigkeit, die man aus gutem Grund als eine Form der Liebe ansehen kann.

Reicht es nicht, wenn der Protagonist einfach feststellt,, dass er die Frau liebt?

Gruende braucht er dafuer nicht.

Er versteht sein Verhalten doch nicht einmal selbst wirklich, wie er im Text in einem laengeren inneren Monolog deutlich macht.

Er schuettelt den Kopf ueber sein Unverstaendnis, beschliesst, "seine Goettin" zu verlassen.

Er wird es nicht schaffen.

Liegt der Reiz fiktiver Texte nicht grade in der Mehrdeutigkeit? In den Dingen, die eben nicht schluessig erklaert werden? Vielleicht, weil sie gar nicht schluessig erklaert werden koennen?

Koennte man Hoerigkeit erklaeren, dann waere sie wohl leicht zu beenden.

Zwischenmenschliches wie Liebe, starke Anziehung, Faszination, Sex, etc... zeichnet sich doch grade sehr oft durch Irrationalitaet aus.

Es ist der vehemente unmittelbare, unerwartete und unkontrollierbare Einbruch des Irrationalen in unsere ach so geordnete (Gefuehls)Welt.

Konnte HENRY MILLER erklaeren, warum er JUNE MANSFIELD verfiel? Nein, und er versuchte es erst gar nicht, und es war ihm auch ziemlich schnuppe.

Diese hoerige Liebe war einfach.

Konnten BURTON/TAYLOR ihre jahrzehntelange Achterbahn-Liebe erklaeren? Wohl auch nicht.

Auch diese gegenseitige emotionale Abhaengigkeit war einfach.

Ich glaube, der vorliegende kurze Text will gar nicht erotisch sein,und er will erst Recht nichts erklaeren.

Er will etwas DARSTELLEN, er will einfach etwas ZEIGEN und zwar die schlichte Tatsache, dass ein Mann einer Frau hoerig ist.

Und ich finde, das gelingt ihm auf dieser kurzen Strecke recht ueberzeugend.

LG

LIT-RANICKI "rosi" (Johannes)

Auden JamesAuden Jamesvor etwa 12 Jahren
@ Textdiskussion & Cittadolente...

Aufgrund des detaillierten Kommentars Cittadolentes zu meiner Kritik und meiner nicht weniger detaillierten Antwort auf seinen Kommentar bitte ich darum, eine etwaige weitere Diskussion zu den Kommentaren zum Text bzw. dessen Qualität im Forum fortzuführen. Ich habe dort unter „Schreiben/ Lesen / Rezensionen“ das Thema „Textdiskussion: ‚Besser sogar als ich Selbst‘ von besslamess“ erstellt und im ersten Beitrag meine Antwort auf Cittadolentes Kommentar zu meiner Kritik eingestellt.

Danke.

@ Rosettenfreak

Zur Liebe- und Motivationsfrage äußere ich mich auch in jenem Thema, genauso wie zur Ambiguität. Du bist also eingeladen, ebenfalls an einer weitergehenden Diskussion im Forum im genannten Thema teilzunehmen.

*

Möge anderen Lesern hier der Raum gegeben sein, selbst ihre Meinung zum Text zum Besten zu geben, ohne sich in unübersichtlichen diskutablen Nebenschauplätzen zu verlieren.

Beste Grüße

–AJ

CittadolenteCittadolentevor etwa 12 Jahren
Erotisch oder nicht?

Teile deine Meinung im Wesentlichen, rosi. Glaube aber nicht, dass der Text nicht erotisch sein will. Wäre schön, wenn sich noch andere Leser, wie natürlich ganz besonders auch die Autorin, hier äußern würden.

Ansonsten habe ich jetzt, auch wenn ich diese Platzierung für unglücklich halte, mich dennoch im Forum geäußert.

Letztlich kann man zur Qualitätsdebatte um diesen Text aber wohl nur sagen:

Wenn ihr's nicht fühlt, ihr werdet's nicht erjagen! Sitzt ihr nur immer und leimt zusammen, braut ein Ragout aus eurem eig'nen Schmaus .... (JWG, leicht modifiziert).

rosettenfreakrosettenfreakvor etwa 12 Jahren
@Cittadolente

"Erotisch" ist eine sehr subjektive Kategorie.

Der Eine findet die Schilderung eines Spaziergangs am Strand bei Sonnenuntergang "erotisch", also Sexuell anregend.

Der Andere findet gar eine harte Gruppensexszene noch zu soft und bleibt dabei kalt.

Ich denke, eine Diskussion, ob ein Text nun erotisch sein will oder nicht, fuehrt nicht weiter.

Stattdessen sollten wir uns darauf konzentrieren, herauszufinden, was die Intention des Textes ist, und versuchen, dafuer Belege im Text zu finden.

Nun, die Standpunkte sind im PCB inzw. wohl hinreichend deutlich gemacht. Jeder, der die Kommentare liest, ist dann auf dem aktuellen Stand.

Und nun gehts in den Thread von "AJ."

LG

LIT-RANICKI "rosi" (Johannes)

CittadolenteCittadolentevor etwa 12 Jahren
Widersprüchlich

Mir scheint, Johannes, dass dein Satz

"Ich denke, eine Diskussion, ob ein Text nun erotisch sein will oder nicht, fuehrt nicht weiter"

in einem kontradiktorischen Widerspruch zum Folgesatz steht:

"Stattdessen sollten wir uns darauf konzentrieren, herauszufinden, was die Intention des Textes ist".

Ich zumindest kann keinen Unterschied zwischen 'wollen' und 'Intention' erkennen.

Für mich ist es die Absicht des vorliegenden Textes / der Autorin, ihre Leser(innen) erotisch aufzuladen. Welche andere Intention (außer natürlich der, gut zu schreiben) sollte sie haben?

Bei mir ist ihr das gelungen. Ob auch bei anderen: das würde ich gern einmal wissen. Ich könnte mir aber vorstellen, dass dieser Text den allermeisten Lit-Lesern zu anspruchsvoll ist, dass sie irgendwie davor zurückschrecken, sich zu äußern, weil sie instinktiv spüren, dass es schwer ist, einem solchen Text mit einem Kommentar gerecht zu werden.

"Geil, ich habe gleich abgewichst" geht hier einfach nicht, und das ist gut so!

Man darf also hier durchaus darüber spekulieren, dass gerade die Nicht-Äußerungen ein Qualitätszeugnis darstellen.

rosettenfreakrosettenfreakvor etwa 12 Jahren
@Cittadolente

Welche konkreten Hinweise gibt dir der TEXT; dass er erotisch aufladen moechte???

lg

LIT-RANICKI "rosi" (Johannes)

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