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Krieg und Liebe - Eiskalter Norden

Geschichte Info
Ein Kradunfall in Lappland und seine Folgen.
10.4k Wörter
4.75
12.5k
5

Teil 4 der 9 teiligen Serie

Aktualisiert 11/23/2023
Erstellt 06/22/2023
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JoeMo1619
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Krieg und Liebe -- Eiskalter Norden

© JoeMo1619 -- Juni 2023

Vorwort:

Die erste Geschichte unter dem Oberbegriff ‚Krieg und Liebe' hat unfassbar großes und mich glücklich machendes Feedback erfahren. Sie hat innerhalb einer Woche die für Literotica unglaublich hohe Zahl von 48 zustimmenden und ermunternden Kommentaren erhalten, dazu wunderbar hohe Bewertungen. Dies ist für mich sehr motivierend, weitere Geschichten dieser Art zu schreiben. Nachfolgende Geschichte spielt ebenfalls im 2. Weltkrieg, aber an einem vollständig anderen Ort und unter anderen Umständen. Die bereits in Recherche-Vorbereitung befindliche dritte ‚Krieg und Liebe'-Geschichte wird dann die Leser in die jüngere Vergangenheit und um die halbe Erde führen -- auf die Falkland-Inseln. Viel Spaß beim Lesen, Feedback-Kommentare sind erneut sehr willkommen.

Sommer 2019

Robert und ich saßen ein wenig ungeduldig in dem kleinen Café des Flughafens Kemi-Tornio am Nordende des botnischen Meerbusen auf der finnischen Seite der Grenze zu Schweden. Unsere zweimotorige Turboprop-Maschine der Finnair, die die Route von Helsinki nach Kemi-Tornio mit Zwischenlandung in Kokkola täglich flog, hatte leider Verspätung, was es fraglich erscheinen ließ, ob wir noch den Anschlussflug nach Deutschland erreichen würden. Genervt und gelangweilt ließ ich meinen Blick über das leere Rollfeld schweifen, während Robert sich die Abbildungen ansah, die die Rückwand des Cafés zierten und Auskunft über die Geschichte des Flughafens gaben. Zunehmend ungläubig schaute er die großformatigen Fotographien an. Sie zeigten Männer in deutschen Luftwaffenuniformen des zweiten Weltkriegs, die fröhlich lachend in einer schneeweißen Landschaft in die Kamera schauten, dahinter unverkennbar die berühmten Heinkel He111-Bomber mit ihrer gläsernen Frontkuppel. Sogar das Hakenkreuz am Leitwerk der drei Flugzeuge war nicht wegretuschiert.

„Kannst Du Dir vorstellen, dass in einem deutschen Flughafen-Café Fotographien aus der Nazi-Zeit zur Schau gestellt würden?" fragte mich Robert; wir hatten zusammen einen Geschäftstermin in einem großen Ferrochromwerk in der Nähe des Flughafens wahrgenommen.

Ich schaute mir jetzt ebenfalls die Bilder an und schüttelte den Kopf. „Ehrlich gesagt nein. Warum sind hier ganz ungeniert deutsche Soldaten auf den Fotos abgebildet?"

„Vermutlich, weil sie hier gewesen sind", spekulierte Robert. „Viele Flughäfen in Nord-Skandinavien sind während des zweiten Weltkriegs von den Deutschen gebaut beziehungsweise betrieben worden. Allerdings wusste ich nicht, dass es diese Luftwaffenstützpunkte auch in Finnland gab."

„Hm", war mein einziger Kommentar. Eines der Bilder hatte meine besondere Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Es zeigte vier junge, fröhlich lachende Männer in deutscher und in einer fremden Winteruniform, vermutlich Finnen. Dies Fotos hatte ich irgendwo schon einmal gesehen, aber mir fiel nicht ein, wo. Und der junge deutsche Soldat am rechten Bildrand kam mir irgendwie bekannt vor.

Ich erzählte dies Robert, der mich spöttisch angrinste. „Vielleicht ein Verwandter?" Er lachte dabei.

Mich traf aber in diesem Moment ein geistiger Hammer. Ich wusste, wer der Mann war: mein eigener Großvater Gregor Albert Mayer. Und genau dies Foto hing über seinem heimatlichen Schreibtisch in Bremen. Diese Erkenntnis behielt ich aber in diesem Moment für mich. Ich wollte meinem Geschäftspartner nichts über die soldatische Geschichte meiner Familie erzählen.

Leider war mein Großvater zehn Jahre zuvor im stolzen Alter von achtundachtzig Jahren verstorben, nachdem er meine deutlich ältere Großmutter Aila um fast zwanzig Jahre überlebt hatte. Ich hatte meine Großeltern sehr geliebt und war in den Schulferien immer gern in Bremen gewesen. wusste aber nur sehr wenig von ihrer Vergangenheit. Mein Großvater hatte bei den Vereinigten Flugtechnischen Werken (VFW) im Vertrieb gearbeitet, was für einen technikinteressierten Jungen höchst faszinierend war. Und er konnte wunderbare Flugzeuggeschichten erzählen, die aber alle erst nach dem Krieg begannen.

Ich wusste, dass meine Großeltern einen Bezug zu Finnland hatten, denn sie besaßen irgendwo in den finnischen Wäldern eine Holzhütte, wie sie es bezeichneten. Aber ich war nie mit ihnen in Finnland gewesen. Den einzigen Bezug, den ich zu Finnland hatte, war mein mittlerer Vorname. Ich hieß Matthias Airis Mayer, diesen Zweitvornamen hatte bereits mein Vater und ich hatte lange angenommen, dass ich ihn von ihm übernommen hatte. Ich war bereits Maschinenbaustudent an der TU Braunschweig gewesen, als mich meine Großmutter aufklärte, dass dies der Vorname ihres Vaters gewesen sei und er deshalb an ihren Sohn und ihren Enkel als Zweitnamen durchgereicht worden wäre. Mehr hatte ich mir dabei nicht gedacht. Und jetzt sah ich fast zweitausend Kilometer von meinem norddeutschen Zuhause entfernt ein Foto meines jungen Großvater. Ich nahm mir vor, diesen Punkt näher zu erforschen und meinen jetzt dreiundsiebzigjährigen Vater bei meinem nächsten Besuch auf dieses Foto hin anzusprechen.

Die Zeit des Zweiten Weltkriegs und danach

Unterfeldwebel Gregor Albert Mayer war nun schon seinen dritten Sommer auf dem Militärflughafen von Kemi-Tornio im Norden Finnlands stationiert. Er liebte die Landschaft am Südrand des so genannten finnischen Lapplands kurz unterhalb des Polarkreises zu allen vier Jahrzeiten. Er hatte bis zu diesem Sommer 1944 ausgesprochenes Glück mit seinem Dienst in der deutschen Luftwaffe gehabt. Geboren am 21. April 1921 hatte er in seiner Heimatstadt Rostock die Realschule besucht und mit der Mittleren Reife abgeschlossen und war dann als Flugzeugmechaniker bei den in Rostock-Marienehe beheimateten Heinkel-Flugzeugwerke in die Lehre gegangen, die er im Kriegsfrühjahr 1940 als Jahrgangsbester abschloss. Unmittelbar danach trat er seinen Dienst als Kriegsfreiwilliger in der Luftwaffe an, wo er nach der sechsmonatigen Grund- und Fachausbildung auf den neu eroberten norwegischen Fliegerhorst Bardufoss versetzt, wo, neben den ihm sehr vertrauten Heinkel He 111-Bombern, die verschiedensten Flugzeugtypen von Jagd- über Aufklärungs- bis zu viermotorigen Langstreckenbombern stationiert waren, die sowohl Angriffe in den Norden Großbritanniens als auch Angriffe auf die im Nordmeer und in der nördlichen Nordsee operierenden Marine- und Handelsschiffe flogen.

Der Gefreite Gregor Mayer machte sich schnell bei den verantwortlichen Offizieren des Fliegerhorstes mit seiner Sachkenntnis, aber auch seiner Einsatzbereitschaft und seiner Improvisationsgabe beliebt, so dass er im vierten Quartal bereits zum Unteroffizierslehrgang auf die Fliegerschule geschickt wurde. Auch dort als Lehrgangsbester ausgezeichnet, versetzte man ihn nach der Beförderung zum Unteroffizier im Winter 1942 auf den neu eingerichteten Flughafen Kemi-Tornio. Dieser Flughafen hatte nach dem im vorherigen Sommer begonnenen Russlandfeldzug erheblich an Bedeutung gewonnen, da in der engen militärischen Kooperation zwischen Finnland und Deutschland die 20. Gebirgsarmee den Krieg auf die Kola-Halbinsel und den für die Sowjetunion extrem wichtigen Hafen Murmansk ausdehnte.

Der in unmittelbarer Nähe des Kemijöki-Flusses gelegene Flughafen war für die nächsten zweieinhalb Jahre Gregors Heimat; richtige Heimat sogar, da er sich schnell mit den finnischen Soldaten am Flughafen anfreundete. Insbesondere Mika Hirvonen, Unteroffizier der finnischen Luftwaffe und wie er Flugzeugmechaniker, wurde in den ersten Wochen ein enger Freund. Und mit Mika, der ihn auch ohne Zurückhaltung in seine im Kemi ansässige Familie und in seinen persönlichen Freundeskreis einführte, verband ihn schnell eine enge Freundschaft. Die beiden Männer teilten sich eine Leidenschaft: Angeln. Und so verbrachten die beiden Freunde nur zu zweit oder mit weiteren Freunden viel Freizeit entlang des Flusses und an den Seen der Umgebung auf der Angeljagd nach Äschen, Zander, Forellen, Hechten und Maränen, die dann häufig direkt gegrillt und verspeist wurden. Dabei war Gregors günstiger Zugang zu den Biervorräten der deutschen Soldaten sehr willkommen.

Gregor gefiel es sowohl in der durchgehend hellen Jahreszeit des Sommers als auch in den knackigen, dunklen Wintern so gut, dass er in den zweieinhalb Jahren nur einmal auf Heimaturlaub nach Deutschland fuhr. Sein Rostocker Elternhaus war bei dem schweren Bombenangriff im April 1942 getroffen worden und ausgebrannt, seine Eltern hatten aber den Angriff überlebt und waren zu Verwandten nach Nordhausen am Harz umgezogen, wo sein Vater an einem Gregor unbekannten Großprojekt der Luftwaffenindustrie weiterarbeitete. Gegen die Zustände in seiner Heimatstadt, aber auch in anderen deutschen Städten, die mittlerweile von immer stärkeren Bombenangriffen betroffen waren, war das Leben in Nord-Finnland ruhig, geordnet und friedlich. Die in Kemi-Tornio stationierten Flugzeuge, die bei ihren Einsätzen über der Kola-Halbinsel selten feindlichen Jägerangriffen oder Flakbeschuss ausgesetzt waren, mussten regelmäßig gewartet und für neue Einsätze ausgerüstet werden, was insbesondere in den kalten Wintern mit Temperaturen unter 30°C durchaus eine Kunst war. Aber Gregor und seine Mannschaft hatten sich und ihr Material gut auf die vor Ort herrschenden Verhältnisse eingestellt.

Im Sommer 1944 dämmerte auch am Flughafen Kemi-Tornio, dass das friedliche deutsch-finnische Zusammenarbeiten und Zusammenleben dem Ende zuging. Die seit Stalingrad permanenten Niederlagen der Wehrmacht in Russland hatten das Vertrauen der finnischen Staats- und Armeeführung in ihren Verbündeten zerbröckelt, obwohl noch einmal in einer gemeinsamen Verteidigungsanstrengung ein sowjetischer Angriff in Karelien zum Stillstand gebracht worden war. Finnland wollte nach sechsundzwanzig Jahren Unabhängigkeit von Russland genau diese Unabhängigkeit unter allen Umständen bewahren und verhandelte über einen Separatfrieden.

Diese Nachrichten hatten Mitte August auch Kemi-Tornio erreicht und zu einigen erregten Diskussionen zwischen den bisher friedlichen zusammenarbeitenden Soldaten beider Seiten geführt.

„Ich glaube, wir sollten am Sonntag noch einmal angeln gehen", schlug Mika seinem Freund Gregor vor. „Ist vielleicht die letzte Gelegenheit, bevor uns diese blöden Politiker zu Feinden machen."

Gregor hatte sehr wohl den bitteren Unterton in den Worten seines Freundes verstanden. „Es wäre mehr als bitter, wenn uns die Generäle irgendwann befehlen, aufeinander zu schießen, nur weil die Politiker ihre eigene Suppe kochen."

Gregor machte sich echte Sorgen. Der Flughafen war, da weit von der russischen Grenze entfernt liegend, wenig von Infanterie geschützt, Verteidigungsstellungen waren anders als weiter im Osten praktisch nicht vorhanden. „Unsere Flugzeuge können ja einfach verlagert werden. Die werden aufgetankt, starten und sind weg. Aber wir am Boden, ich weiß nicht? Ich habe von den Heeresverbänden bisher nichts gehört, dass wir einpacken sollen."

Mika lachte. „Ihr sollt nichts einpacken. Wir brauchen das Zeug auch in Zukunft. Oder glaubst Du, dass die Russen uns nur einen Rubel Wohlwollen geben?"

Voller Sorgen, aber mit dem Entschluss, sich den gemeinsamen Angelsonntag nicht zerstören zu lassen, verabredeten sich die beiden Freunde am Ostufer des Kemijöki etwa zehn Kilometer nördlich vom Flughafen. Mika würde mit seinem Fahrrad von zuhause dorthin radeln, Gregor beabsichtigte - wie immer - sein Krad zu nehmen.

Wie geplant machte sich Gregor in den frühen Morgenstunden auf den Weg zum vereinbarten Angelpunkt. Er hatte ein wenig verschlafen, die weißen Nächte waren vorüber, aber es wurde immer noch um halb fünf hell, so dass man gute Angelbedingungen erwarten konnte. Somit gab Gregor Gas, um seinen Freund, den eine bestechende Pünktlichkeit auszeichnete, nicht zu lange warten zu lassen. Das war sein Fehler. Gregor fuhr durch einen recht dicht bewaldeten Streckenabschnitt in einer langgezogenen Rechtskurve als wie aus dem Nichts ein riesiger Elch mitten auf der Straße stand, sein Geweih in seine Richtung drehte und das schnell näher kommende Krad mit großen Augen anglotzte. Gregor richtete sich aus seiner Seitenlage schlagartig auf, um den Zusammenstoß mit dem sicher über 500 Kilogramm wiegenden Koloss zu vermeiden, kam dabei von der Schotterstraße ab, versuchte vergeblich sein Krad durch die ersten Bäume am Straßenrand durchzudirigieren und flog im hohen Bogen von seiner Maschine ins Unterholz. Dann wurde es dunkel um ihn und er verlor das Bewusstsein.

Gregor wusste nicht, wie lange er im geistigen Dunkel verharrt hatte. Er wusste auch nicht, wo er war, aber es war immer noch oder schon wieder sehr dunkel. Was er mühsam registrierte war, dass er nicht mehr in der freien Natur herumlag. Er lag in einer Art Kojenbett, bis auf seine Unterhose ausgezogen, auf weichen Fellen als Unterlage und von Decken zugedeckt. Aus der Ferne hörte er zwei Frauenstimmen, die in einer fremdartigen Sprache redeten und sangen. Als er sich mühsam auf die Seite umdrehte, um in die Richtung der Stimmen zu schauen, ächzte sein ganzer Körper und tat höllisch weh. Am linken Unterarm registrierte er einen strammen Verband, in die einige Längshölzer als Schiene eingewickelt waren. Seine linke Hand war irgendwo auf halbem Weg zwischen ausgestreckt und zur Faust geballt stehengeblieben und ließ sich nur unter größten Schmerzen bewegen. Dazu kamen gewaltige Kopfschmerzen, die ihn beinahe direkt wieder in die Bewusstlosigkeit sinken ließen.

Am schlimmsten war ein ungeheurer Durst, so dass er leise stöhnte. „Wasser, Wasser bitte." Dann verließ ihn erst einmal die Kraft, die Augen offen zu halten.

Die drei Worte lösten tatsächlich eine Reaktion aus und er fühlte, mehr als er sah, dass sich Menschen zu seiner Koje bewegten.

„Oh, wie schön", hörte er plötzlich auf Deutsch, „hier erwacht jemand." Die andere Frauenstimme antwortete in einer anderen Sprache, die Gregor nicht verstand.

„Wasser bitte", wiederholte Gregor.

„Sollst Du haben." Gregor hörte, dass eine der beiden Frauen kurz wegging und dann anscheinend mit einer Flasche zurückkehrte. „Ganz frisch", kommentierte die deutsche Frauenstimme, griff hinter seinen Kopf, um ihn ein wenig aufzurichten und hielt ihm die Flaschenöffnung an den Mund. Es war tatsächlich glasklares, kühles und ungemein wohlschmeckendes Wasser. Gregor trank in kleinen Schlucken, immer wieder unterbrochen zum Luft holen, aber sicherlich eine gute Menge. Dann sank er zurück auf sein Lager, seufzte tief stöhnend und streckte sich auf seinem Rücken aus. Eine Bewegung zur Seite war mit zu großen Schmerzen verbunden. Dann wurde es wieder dunkel in seinem Kopf.

Die nächsten Stunden, oder waren es gar Tage, wachte Gregor immer wieder kurz auf, um zu trinken. Sein Durst war anscheinend der einzige Zustand, der ihn zumindest halbwach werden ließ. Er spürte die Anwesenheit der zwei Frauen, dachte darüber nach, ob dies Engel seien, verwarf diesen Gedanken aber wieder, weil es dunkel und nicht himmlisch hell war.

Gregor hatte jegliches Zeitgefühl verloren. Immerhin nahmen im Laufe der Zeit seine heftigen Kopfschmerzen ab. Und er begann Hunger zu bekommen.

In einer seiner zunehmenden Wachphasen äußerte er sich erstmals in dieser Richtung. „Ich habe Hunger."

„Na endlich. Darauf haben wir lange gewartet."

Die Antwort der Deutsch sprechenden Frau erstaunte Gregor so sehr, dass er noch wacher wurde. Er konnte mit zunehmend klarem Blick erkennen, dass die beiden Frauen auf der anderen Seite des großen Raumes mit Kochgeschirr hantierten, dann kam die Größere von beiden zu seinem Kojenbett zurück. Sie hatte eine Suppenschüssel in der Hand, aus der es verführerisch köstlich duftete.

„Dann wollen wir mal sehen, ob Du Dich ein wenig aufrichten kannst." Als Gregor versuchte, dies selbst zu tun, wurde er sofort gestoppt. „Warte, ich muss Dir helfen." Die Frau hatte recht. In dem Moment, in dem sich Gregor selbständig aufrichten wollte, schossen an mehreren Stellen heftige Schmerzen durch seinen Körper. Die Frau schob ein paar Kissen am Kopfteil des Kojenbettes zusammen und griff Gregor dann unter die Arme. „Jetzt!" war das klare Kommando. Mit vereinten Kräften konnte Gregor sich tatsächlich in eine halb sitzende Position manövrieren.

Gregor sah sich im Halbdunkel zum ersten Mal die Frau näher an, die begann, ihn mit einem tiefen Löffel aus dem Suppenteller zu füttern. Die sämische Geflügelbrühe schmeckte unendlich gut. Die Frau war nicht mehr ganz jung, sah aber verdammt gut aus. Sie hatte lange blonde Haare, die sie zu zwei Zöpfen geflochten und in einer Gretchenfrisur um ihren Kopf geschlungen hatte. Ihre Augen waren anscheinend strahlend blau, sofern man das im Halbdunkel richtig erkennen konnte. Dazu hatte sie einen Mund, der schon beim Hinschauen verlockend wirkte.

„Oh, die Suppe schmeckt himmlisch", freute sich Gregor und aß mit einer Begierde, die nur wirklich hungrigen Menschen zu eigen ist.

„Stopp", sagte die ihn fütternde Frau plötzlich. „Sonst wird Dir nach der langen Fastenzeit noch schlecht und Du musst erbrechen." Damit stellte sie die Suppenschüssel weg und gab Gregor noch Wasser zu trinken.

Gregor fühlte, wie er schon wieder müde wurde. Trotzdem musste er die ihn bedrängende, wichtigste Frage stellen. „Wo bin ich?"

„Auf einem kleinen, einsamen Waldhof östlich des Kemijöki."

„Und wer seid ihr?"

„Die Familie, die diesen Hof bewirtschaftet."

Das reichte Gregor fürs Erste. Er rutschte wieder in eine liegende Position und rollte auf die Seite, von der er aus in den Raum blicken konnte. Es tat nicht mehr so weh. „Danke. Danke für alles." Dann schlief er wieder ein.

Gregors Lebensgeister kamen langsam wieder zurück. Er hatte registriert, dass sein linker Arm anscheinend gebrochen gewesen und so fachmännisch wie möglich geschient und ruhig gestellt worden war. Auch hatte er wahrgenommen, dass an zwei Körperstellen anscheinend ehemals blutende Wunden versorgt worden waren, dazu hatte man sich seiner äußeren Kopfverletzungen fachmännisch angenommen.

„Was ist mit mir passiert?" fragte er einige Wachmomente später die andere Frau, die genauso hübsch, anscheinend jünger und kleiner als die erste Frau war. Diese andere Frau zuckte mit den Schultern und rief anscheinend in der Ursprache der im Norden lebenden Samen nach der ersten Frau.

„Was willst Du wissen?" Diese Frau kam wieder auf Deutsch, irgendwie mit einem Berliner Akzent.

„Was mit mir passiert ist und warum ich hier bin und Ihr Euch anscheinend mit großer Liebe und Fürsorge um mich kümmert?"

„Ich habe Dich vor rund drei Wochen im Unterholz des Waldes zwischen der Straße und dem Fluss gefunden."

„Drei Wochen?" Gregor schrie regelrecht auf.

„Ja. War reiner Zufall. Ich wollte frühmorgens am Fluss angeln. Ist die beste Tages- und Jahreszeit, gute Fische zum Räuchern für den Winter zu fangen. Jedenfalls hörte ich einen Riesenkrach, dann nur noch einen Motor, der nicht aufhörte, zu laufen und Lärm zu machen. Das Motorrad habe ich zuerst gesehen, weil man es gut hören konnte. Du hast nicht weit davon entfernt im Unterholz gelegen und Dich nicht mehr gerührt."

Gregor erinnerte sich plötzlich. „Da stand plötzlich ein riesiger Elch mitten auf der Straße. Und ich habe versucht, auszuweichen."

„Und dabei bist Du von der Straße abgekommen, in den Wald gefahren und wie ein Reiter von seinem Pferd abgeworfen worden. Dein Stahlhelm hat Dir vermutlich das Leben gerettet, denn Du musst irgendwo kräftig mit dem Kopf gegengeschlagen sein."

„Daher die Kopfschmerzen."

„Immer noch so stark? Oder langsam besser werdend?"

„Danke. Meinem Kopf geht es langsam besser. Ich hatte die ersten Male echte Probleme, klar zu sehen. War alles total verschwommen. Das ist jetzt klarer geworden." Gregor grinste schwach. „Und ich sehe hier im Halbdunkel zwei sehr schöne Frauen. Ich dachte zuerst, ihr seid Engel."

Die Frauen lachten. „Dazu fehlen uns die Flügel." Die Deutsch sprechende Frau wurde wieder ernster. „Wir haben Deine Ausweise bei Dir gefunden. Du bist Gregor Mayer?"

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