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Der Jubilar

Geschichte Info
Friedhelms Goldhochzeit.
6.9k Wörter
4.62
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Dies ist eine Geschichte, die sich langsam vor dem Hintergrund der besonderen Situation der handelnden Personen entwickelt, also kein schneller Sex, sondern das Eintauchen und Einfühlen in eine ungewöhnliche Situation. Die Geschichte entstand als Auftragsarbeit mit vielen, klaren Vorgaben, nur leider entsprach das Ergebnis dann doch nicht den Vorstellungen der Auftraggeberin. Vielleicht findet sie ja hier Leserinnen und Leser, denen sie gerade so gefällt.

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Friedhelm Gerber war mit seinen 76 Jahren nicht irgendein unauffälliger Senior, sondern eine wahrlich imposante Gestalt. Ein Hühne von fast zwei Metern, schlank und durchtrainiert vom jahrelangen, regelmäßigen Schwimmen. Die von Jugend auf erlernte Disziplin gab ihm Halt und ließ ihn auch nach dem Tod seiner geliebten Ariane vor 4 Jahren nicht verzweifeln. Was allerdings ganz zum Erliegen gekommen war, war sein Liebesleben. Ariane und er hatten so gut zueinander gepasst, beide bis zuletzt auch sexuell aktiv und ganz aufeinander eingespielt, und Ariane wusste genau, was sie an ihrem Friedhelm hatte. Sie hatte sich gerne an seinem stattlichen und überdurchschnittlich großen Glied erfreut und es auch genossen, wenn sie ihm Lust bereiten konnte. Das alles war jetzt Vergangenheit und Friedhelm kämpfte sich stur und nur noch mit wenig Lust durch seinen Alltag. Was nützte ihm da sein durchtrainierter Körper und seine attraktive Erscheinung? Aber solche Gedanken ließ er niemals in sich groß werden, wenn sie ihn überfielen, sondern schob sie sofort weit von sich und stürzte sich in irgendwelche Arbeiten am Haus, in der Küche oder im Garten.

Gelang es Herrn Gerber auf diese Weise, seinen Alltag zu bestehen, so stand ihm in diesem Sommer ein ganz und gar nicht alltägliches Datum bevor, das ihm zunehmend Sorgen bereitete: Der 50. Hochzeitstag, den Ariane und er so gerne noch gemeinsam erlebt hätten, was ihnen aber nun nicht vergönnt war. Immer wenn er an diesen Tag dachte, wurde Friedhelm von einer diffusen Angst befallen, die er sonst von sich nicht kannte. Lange hatte er versucht auch sie einfach wegzuwischen, aber es gelang ihm immer weniger, je näher der Termin heranrückte. Was sollte er an diesem Tag nur machen? Hätten Ariane und er Kinder gehabt, sie hätten sich vermutlich um ihn gekümmert, aber trotz ihrer jahrelangen Versuche, war Ariane nie schwanger geworden und sie waren nicht die Typen, die dann irgendwelche modernen, medizinischen Experimente wagten, sondern hatten sich irgendwann in ihr Schicksal gefügt und dafür ganz bewusst den Sex genossen, der sie eng miteinander verbunden hatte.

Aber jetzt war Ariane nicht mehr da und Friedhelm musste sich alleine diesem Datum stellen: Goldhochzeit alleine! Er könnte irgendwohin wegfahren, aber er wusste genau, dass er sowieso den ganzen Tag an nichts anderes denken und sich nicht einfach ablenken könnte. Er könnte irgendwo eine Kerze aufstellen und ein Bild von Ariane, aber das würde seine Angst nicht vertreiben. Ja er hatte Angst davor, an diesem Tag mit sich und seinen Gedanken alleine zu sein. Je länger er darüber nachdachte, desto klarer wurde ihm das. Sollte er Freunde einladen und mit denen zusammen diesen Tag begehen, an Ariane erinnern, an gemeinsam Erlebtes? Eine Zeit lang schien ihm dies eine gute Lösung, doch dann spürte er immer öfter, dass seine Augen feucht wurden, wenn er sich zu intensiv seinen Erinnerungen hingab und öffentliche Tränen wollte er sich selbst und auch seinen Freunden nun wirklich ersparen. Wie er es auch drehte und wendete, er wusste keine Lösung.

Woher die Idee letztlich kam, wusste Friedhelm im Nachhinein nicht mehr, vielleicht war es die Erinnerung an einen Radiobericht, den er einmal zusammen mit Ariane gehört hatte oder eine Anzeige, die ihm in einer Zeitung aufgefallen war, jedenfalls fuhr er eines Tages seinen alten Computer hoch und gab in der Suchmaschine das Wort 'Escort' ein. Zahlreiche Agenturen wurden ihm angezeigt, aber auch unterschiedliche Artikel zu dem Thema. Eine Weile stöberte er, las hier einen kleinen Text und schaute sich dort die setcard einer der Damen an. Schließlich stand er wieder auf, machte sich einen Kaffee und überlegte: Vielleicht wäre das wirklich eine Lösung für sein Problem. Er könnte den Abend des Hochzeitstages in angenehmer Gesellschaft verbringen, er müsste nur die Richtige dazu finden und von Anfang klar machen, dass es ihm nur um die Gesellschaft ging, und nicht darum, als alter Knacker nochmal bei einer jungen Frau die Sau raus zu lassen. Dass ihn das eine Stange Geld kosten würde, störte ihn nicht, er gab doch sonst kaum etwas aus, da konnte er es sich zu so einem Anlass ruhig etwas kosten lassen.

Er ging wieder zurück zum Computer und begann die Bilder und Beschreibungen zu unterschiedlichen Frauen bei verschiedenen Agenturen zu sichten. Als sich die Seite mit den Bildern einer gewissen Christina auf dem langsamen Computer öffnete, zuckte er innerlich zusammen. Diese 35 Jahre alte Frau erinnerte ihn sofort an seine Ariane! Natürlich war die auch als junge Frau nie so aufreizend gekleidet gewesen, aber die blonden Haare, die Gesichtszüge, die ansehnliche Oberweite und auch die sonstigen weiblichen Rundungen, die genau da waren, wo sie sein mussten und die ihm an seiner Frau immer so gut gefallen hatten, all das passte perfekt.

Da Friedhelm Gerber nicht der spontane Typ war, brauchte er ein paar Tage Bedenkzeit, bis er sich wieder an den Computer setzte. Er hatte sich gefragt, was Ariane wohl dazu sagen würde, aber sie hätte nicht gewollt, dass er an so einem Abend allein mit sich und seinen traurigen Gedanken war. Und dass es eine Frau sein sollte, die ihn an sie erinnerte, das hätte ihr eher geschmeichelt als dass es sie gestört hätte. Erst als er sich in diesen beiden Punkten sicher war, setzte Friedhelm sich hin und schrieb eine email an Christinas Agentur.

„Sehr geehrte Damen und Herren," bei der Anrede hatte er gezögert, aber ihm war keine bessere eingefallen, „ich suche für einen mir persönlich sehr wichtigen Anlass eine attraktive Dame als Gesellschaft, und falls sie sich das vorstellen kann, wäre ich besonders an Christina interessiert, weil sie mich an jemanden erinnert, der mir viel bedeutet. Nun muss ich vorab ein paar Dinge über mich und darüber sagen, worum es mir genau geht. Ich bin bereits 76 Jahre alt und Witwer, aber ich glaube sagen zu können, dass ich immer noch eine stattliche Erscheinung bin, da ich regelmäßig Sport treibe und mit meinen 1,98 cm doch recht groß bin. Da ich außerdem über gute Manieren verfüge und mich in Gegenwart einer Dame durchaus zu benehmen weiß, müsste Christina sich nur auf einen ruhigen Abend in meiner Gesellschaft, ein gepflegtes Abendessen in privater Umgebung sowie auf hoffentlich gute Gespräche einstellen, an sexuellen Dienstleistungen bin ich nicht interessiert. Als Zeitrahmen schwebt mir 19 bis 24 Uhr vor."

Die Agentur hatte die mail ohne Kommentar an Christina weiter geleitet. Das kam nicht oft vor. Als Christina sie las, konnte sie sich vorstellen, wie man sich im Büro die Mäuler darüber zerrissen hatte. Wahrscheinlich dachten sie, es sei ein heimlicher Verehrer, aber Christina hatte keine Ahnung wer dieser Friedhelm Gerber war. Trotzdem überlegte sie nicht lange, schließlich war das genau der Grund weshalb sie als Escort arbeitete: Sie konnte in wenigen Stunden ein Vielfaches von dem verdienen, was sie sonst als Krankenschwester in Nachtwachen mühsam erarbeitete und auf diese Weise mehr freie Abende für sich und ihre Tochter herausarbeiten. Wenn es dann tatsächlich mal nur ein Abendessen und die Unterhaltung mit einem einsamen alten Mann war, sollte ihr das nur recht sein. Mit alten Leuten konnte sie gut, das hatte sie bei ihren Großeltern gelernt. Ohne zu zögern meldete sie der Agentur, dass sie bereit sei, die Anfrage von Friedhelm Gerber anzunehmen.

Schon in den Tagen davor hatte Friedhelm eingekauft und seinen Wohnbereich einer ordentlichen Reinigung und Aufräumaktion unterzogen. Ohne darüber nachzudenken, hatte er ganz automatisch auch das Schlafzimmer mit gemacht, die Betten frisch bezogen und ordentlich gelüftet. Als er dann an seinem Hochzeitstag erwachte, nahm er sich einen Moment, um sich in Gedanken mit Ariane zu verbinden. Dann sprang er wie ein aufgeregter Schuljunge aus dem Bett und begann mit den Vorbereitungen für den Abend. Er war zwar kein herausragender Koch, aber im Laufe seines Lebens hatte er sich ein paar Gerichte zu eigen gemacht, die er mehr als passabel zubereiten konnte. Heute sollte es coq au vin geben, so wie an manch einem Hochzeitstag zusammen mit Ariane.

Viel mehr als das Essen bereitete ihm das Drumherum Sorgen. Für das „Schöne" war immer Ariane zuständig gewesen und Friedhelm hatte keinen Sinn dafür, einen Tisch schön zu decken oder einem Raum einen besonders festlichen Ausdruck zu geben. Zuerst hatte er deswegen überlegt, auswärts essen zu gehen, aber es passte nicht zu ihm und er wollte auch auf gar keinen Fall von irgend jemandem zusammen mit einer so jungen Begleitung gesehen werden. Er würde sich wie ein alternder Gigolo vorkommen und sich in Grund und Boden schämen. Nein, seine Fähigkeiten mussten ausreichen, um ein edles Abendessen in dazu passender Umgebung zuzubereiten.

Den ganzen Tag über war Friedhelm beschäftigt gewesen und hatte keine Zeit für Angst oder Gefühle der Einsamkeit gehabt. Als er schließlich frisch geduscht und in einen guten Anzug mit Krawatte gekleidet einen letzten Blick über sein Reich schweifen ließ, war er zufrieden. „Unser Hochzeitstag," sagte er in den Raum zu Ariane, „ich vermisse dich!" Dann wischte er sich einmal durch die Augen und ging in die Küche, um nach dem Essen zu sehen und den Champagner aus dem Kühlschrank zu holen, den er gleich zur Begrüßung reichen würde.

Christina war genau so, wie Friedhelm es sich erhofft hatte. Sie hatte ein elegantes, fast knielanges, bordeauxrotes Kleid angezogen, das ihre Figur betonte, die Beine in schlichten Nylons und Pumps. Festlich aber nicht zu sexy, fand er. Jedenfalls hatten ihre Bilder im Internet nichts vorgegaukelt, was sie nicht durch ihre reale Erscheinung auch abdeckte. Doch, da gab es etwas, was ihn unerwartet traf: Der Duft, der sie begleitete, als sie Friedhelms Reich betrat, blumig und frisch aber in gar keiner Weise aufdringlich oder süßlich. Friedhelm kannte sich mit Blumen nicht aus, aber er hatte sofort Bilder von Frühling und frischem Grün im Kopf. Höflich erwiderte Christina seinen etwas steifen Händedruck zur Begrüßung. So wie er dort stand, wäre nicht nur wegen seiner Größe ein Küsschen auf die Wange absolut unangemessen gewesen. Im Gegensatz zu Friedhelm, war sie trotz seiner Angaben in der mail nicht wirklich auf seine Erscheinung vorbereitet gewesen. Die übertraf bei Weitem, was sie sich vorher ausgemalt hatte. Ja, ihr Kunde war ein alter Mann, aber dabei wirkte er so kraftvoll und aufrecht, mitten im Leben stehend, mit wachen Augen und charmantem Lächeln, dass sie ihn vermutlich mindestens 10 Jahre jünger geschätzt hätte, wenn nicht noch mehr.

Es passierte Christina nicht oft bei ihren Aufträgen, dass sie einen Mann so attraktiv fand, dass sie sich selber zu ihm hingezogen fühlte. Wenn es gut lief, waren ihre Kunden freundlich und aufmerksam und sie konnte sich in ihrer Gegenwart entspannen, sich ihnen auch ohne inneren Widerstand hingeben, ja, sie hatte auch immer mal wieder wirklich Spaß dabei. Aber Friedhelm Gerber zog sie vom ersten Moment an in seinen Bann. Wahrscheinlich lag es an dem gesamten äußerst ungewöhnlichen setting, mit dem sie konfrontiert war, versuchte sie sich ihre verwirrenden Gefühle zu erklären. Wann passierte es schon, dass sie zu einem so alten Mann kam, von ihm selbst in seinem eigenen Haus bekocht wurde und von vorneherein keinerlei sexuelle Absichten im Raum standen. Sie hatte sich innerlich auf einen eher eintönigen Abend bei einem großväterlichen Typen eingestellt, dem sie mit freundlicher Zuwendung für ein paar Stunden die Einsamkeit vertreiben und dabei so ganz nebenbei gut verdienen würde. Und jetzt das! Hätte Herr Gerber sie zu einem erotischen date eingeladen, er hätte nichts anders machen müssen.

Wie eine Prinzessin behandelte er sie vom ersten Augenblick an und doch in keiner Weise unterwürfig. Er war ganz klar der Herr im Haus und sie war sein Gast, nein eher seine Geliebte, der er die Welt zu Füssen legte, ohne sie allerdings in irgendeiner Weise zu bedrängen oder ihr nahe zu kommen. Christina musste an die Minnesänger im Mittelalter denken, die die Erfüllung ihrer Liebe darin fanden, die Angebetete mit den schönsten Worten zu umgarnen, ohne sie je zu erreichen. Friedhelm umgarnte Christina mit seiner Gastfreundschaft, mit seinem Charme, mit seinem Witz und auch seiner Kochkunst. Von dem Augenblick an, an dem er ihr ein Glas Champagner zur Begrüßung gereicht hatte, führte er sie durch den Abend und sie ließ sich führen, beeindruckt, in seine Augen und Worte versunken, vom guten Essen und edlen Wein zunehmend ein wenig berauscht. In den wenigen Augenblicken, in denen sie sich fragte, was hier eigentlich geschah und vor allem, was mit ihr selbst los war, kam sie sich vor, wie ein anderer, ihr ganz fremder Mensch. Aber die Situation hatte absolut nichts Bedrohliches, im Gegenteil, Christina genoss den Abend in vollen Zügen, so dass sie ihre Gedanken einfach wegwischte und sich wieder ganz ihrem Kunden zuwandte.

Erst als das Abendessen sich dem Ende zuneigte, veränderte sich Friedhelms Verhalten. Es wirkte fast so, als habe er all sein Pulver verschossen und sei jetzt am Ende seiner Kräfte angekommen. Und genauso war es ja auch. Er hatte für sich selbst ein perfektes Schauspiel vorbereitet und aufgeführt einzig und allein, um die Gefühle der Einsamkeit und Trauer nicht in sich hochkommen zu lassen. Er hatte den Goldhochzeitstag inszeniert, wie er ihn sich mit seiner Ariane immer vorgestellt hatte und Christina war wunderbar in deren Rolle geschlüpft, hatte sich bedienen, umgarnen, schmeicheln und bestens unterhalten lassen, so wie Friedhelm das bei solchen Anlässen immer gerne gemacht hatte, um seiner Frau seine Liebe zu zeigen. Nach dem kulinarischen Vorspiel waren sie sich dann langsam körperlich näher gekommen, bis sie den Festtag schließlich mit herrlichem Sex abgerundet hatten, bei dem meist Ariane wie von selbst die Führung inne hatte. Ein perfekt eingespieltes team, die Eheleute Gerber! Heute würde es diesen zweiten Teil nicht geben, aber Friedhelm hatte das nicht bedacht. Er hatte es einfach ausgeblendet und sich ganz auf das konzentriert, was er beherrschte. Und jetzt war dieser Teil zu Ende und er hatte absolut keine Ahnung, wie der Abend weiter gehen sollte.

Zum Glück hatte Friedhelm mit Christina eine sehr einfühlsame Frau gebucht, die sofort begriff, dass sich gerade etwas veränderte. Als Krankenschwester, als Escort, als Mutter, als Tochter hatte sie in ihrem Leben einfach genug Erfahrung sammeln können, wie Menschen sich in Ausnahmesituationen verhielten, nur um sich nicht ihren wahren Gefühlen stellen zu müssen. Wie manche sich an ihre Selbstbilder, die längst zerbrochen waren oder nie wirklich existiert hatten klammerten, wie andere sich selbst und ihrer Umwelt etwas vormachten, nur um sich nicht eingestehen zu müssen, wie es wirklich um sie stand. Sie spürte, dass jetzt sie die weitere Führung durch den Abend übernehmen musste und es machte ihr überhaupt nichts aus. Nein, sie fühlte sich nicht betrogen, auch wenn ihr klar wurde, dass er ihr etwas vorgespielt hatte, dazu war er einfach zu perfekt und der bisherige Abend zu schön gewesen, aber jetzt würde sie den Teil von Friedhelm Gerber entdecken, den er bisher so meisterhaft vor ihr verborgen hatte. Und Christina spürte, dass sie wirklich neugierig war.

„Du hast in Deiner mail geschrieben, Friedhelm," begann sie vorsichtig -- sie waren schon früh zum Du übergegangen, „dass du mich als Gesellschaft für einen dir persönlich wichtigen Anlass willst, weil ich Dich an jemanden erinnere, der dir viel bedeutet," sie machte eine kleine Pause: „Magst Du mir davon erzählen? Ich würde gerne mehr über den Mann erfahren, der so fantastisch kochen und eine Frau so wunderbar unterhalten kann." Friedhelm lächelte schief bei diesen Worten, antwortete aber nicht sofort. Doch dann straffte sich sein ganzer Körper, er stand auf, nahm die Flasche Wein und sein Glas und sah Christina direkt an: „Es tut mir leid, Christina, du bist genau die Gesellschaft, die ich mir für heute gewünscht habe und deshalb hast du auch ein Recht darauf zu erfahren, was für ein Affentheater ich dir hier vorspiele. Aber dazu sollten wir uns etwas gemütlicher hinsetzen, meinst du nicht auch?"

Christina zuckte zusammen bei seiner Wortwahl. „Ich habe nicht den Eindruck, dass das hier ein Affentheater ist," beruhigte sie ihr Gegenüber, „ich jedenfalls hatte schon lange nicht mehr einen so schönen Abend und einen so charmanten Gastgeber." Wieder musste Friedhelm lächeln, aber es war kein fröhliches und stolzes Lächeln, und als sie endlich im Wohnzimmer auf den Sofas Platz genommen hatten, erfuhr Christina auch, weshalb. Es war als öffnete Friedhelm einfach alle seine Schleusen und heraus kam, was ihn wirklich bewegte. Er erzählte von der Goldhochzeit und welche Gedanken er sich darum gemacht hatte. Er erzählte von Ariane und wie gut sie zusammen gepasst hatten. Er erzählte und immer wieder rollten vereinzelt Tränen über sein Gesicht. Er beachtete sie überhaupt nicht und Christina wagte auch nicht, ihn darauf anzusprechen, um ihn nicht in seinem Redefluss zu unterbrechen. Sie hörte einfach nur zu, fragte manchmal vorsichtig nach, wenn er zu schnell von einem Ereignis zum nächsten oder durch die Jahre und Jahrzehnte sprang, ließ sich mit hinein ziehen in Friedhelms Erinnerungen. Irgendwann fragte sie nach einem Foto von Ariane, um sich selber ein Bild davon machen zu können, wie ähnlich sie ihr wirklich war.

Danach saßen sie direkt nebeneinander auf einer couch und schauten gemeinsam ein paar der Fotoalben, die Friedhelm herbeigeholt hatte: Bilder von der grünen Hochzeit vor 50 Jahren und von Urlauben in Spanien, wohin die Eheleute immer wieder gefahren waren. Zuletzt zeigte Friedhelm noch ein paar Bilder von Ariane, als sie schon krank gewesen war. Er hatte aus dieser Zeit nicht viele Fotos und es fiel ihm spürbar schwer, die bereits vom Krebs gezeichnete Frau anzusehen. Ganz automatisch legte Christina ihren Arm um Friedhelm und drückte ihn. Er ließ es zu und sie schwiegen und er weinte ein wenig. Dann straffte er sich plötzlich wieder, wischte die Tränen mit dem Ärmel fort und räusperte sich: „Da gebe ich mir so viel Mühe, einen schönen Abend vorzubereiten und dann sitze ich hier und heule wie ein Schlosshund und verderbe alles, tut mir leid, Christina."

Doch das konnte Christina nicht einfach so stehen lassen. Ohne nachzudenken nahm sie Friedhelms Gesicht zwischen beide Hände und sah ihm tief in die Augen, vielleicht so, wie eine Mutter das bei einem Kind tat, das etwas angestellt hatte: „Rede nicht so einen Unsinn, Friedhelm, du hast überhaupt nichts verdorben, ganz im Gegenteil. Was glaubst Du, wo ich mich wohler fühle: Bei irgend so einem reichen Geschäftsmann, der mich zum Vorzeigen und für sein Vergnügen bucht oder bei einem herzensguten Mann, der ehrlich um seine Frau trauert und mich zudem herrlich bewirtet und unterhält?" Und noch ehe der verdutzte Friedhelm auf ihre Frage reagieren konnte, drückte sie sanft ihre Lippen auf seine und küsste ihn, nicht lüstern und verführerisch aber zärtlich und liebevoll. Und obwohl er völlig überrascht war und sich innerlich etwas versteifte, sträubte sich Friedhelm nicht, sondern erwiderte den Kuss. Es war einfach zu lange her, dass er geküsst worden war und er war noch ganz von seinen Gefühlen überwältigt.

Schließlich lösten sie sich wieder voneinander und eine etwas peinliche Stille trat ein, während sie sich ansahen. Christina war von sich selbst irritiert. So unprofessionell hatte sie sich noch nie verhalten, zumindest empfand sie es als unprofessionell, einen Mann, der um seine Ehefrau trauerte und ganz klar gemacht hatte, dass er an keinen sexuellen Dienstleistungen Interesse hatte, einfach so zu küssen. Das war gar nicht ihre Art. Sie sah auf die Uhr. Wenn sie jetzt professionell wäre, würde sie freundlich und einfühlsam noch ein paar Worte mit diesem Mann wechseln und dann ihren Abgang vorbereiten, aber sie spürte genau, dass dieser Abend schon längst nicht mehr in professionellen Bahnen lief, nicht nur des Kusses wegen.

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