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Familie Undercover 01/12: Bewerbung

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„Statistisch gesehen arbeiten Frauen mehr als Männer. Vielleicht deshalb." Ich warf einen kritischen Blick auf sie. „Im Durchschnitt, zumindest."

Sie nahm mir das nicht krumm, sondern kicherte geschmeichelt. Erneut staunte ich über mich selbst. Mir war klar, warum Mike eine weibliche Praktikantin suchte. Warum lenkte ich die Überlegungen seiner Tochter in eine andere Richtung, anstatt sie unauffällig über meinem Verdacht zu informieren?

Ja, der Job. Wenn seine Frau ihn gerade in flagranti erwischt hätte, dann wäre das Thema Praktikantin wohl erst mal gestrichen gewesen im Hause Linnemann, und meine Bewerbung von vorneherein chancenlos. Doch das war es nicht, das sagte mir mein Gefühl. Aber was dann?

„Siena?"

Ich sah auf. Mike lehnte sich an die Ecke des Burganbaus und winkte mir zu. „Wir können starten. Gehen wir ins Büro."

„Gut", war das Einzige, das mir als Antwort einfiel. Ich stemmte mich hoch mit einem Gefühl wie Atlas. Als laste das Gewicht der kompletten Welt auf meinen Schultern.

„Du machst das schon!" Mara nickte mir aufmunternd zu und hielt beide Daumen nach oben. „Ich würde mich freuen, wenn du den Job kriegst."

„Danke! Ich gebe mein Bestes", lächelte ich zurück und marschierte los.

Zwei Minuten später führte Mike mich ins Büro und wies auf den runden Besprechungstisch. Ich schob mich auf den Stuhl in der Ecke und sah mich um. Überall türmten sich Papiere, Pläne und Bücher. Entweder hatte er fürchterlich viel zu tun, oder er kam gut ohne allzu viel Ordnung aus.

Er ließ sich mir gegenüber nieder und blätterte in einigen Ausdrucken. Ich erkannte die Bewerbungsunterlagen, die ich ihm vor einigen Tagen zugeschickt hatte. Mit einem guten Foto von mir. Wahrscheinlich war das der Grund, warum ich überhaupt eingeladen worden war.

„Also gut. Siena Wahrs", murmelte er vor sich hin.

„Nein, ich war´s nicht", gab ich automatisch zurück.

„Was?" Er blinzelte hoch.

Ich lachte, unangenehm berührt von meinem eigenen, völlig unbewussten Verhalten. „Äh, sorry. Das war ein Running Gag an der Schule", erläuterte ich ihm und kam mir völlig blöd dabei vor. „Wenn ein Lehrer fragte: Wer war das?, dann hat immer die ganze Klasse gerufen: Siena Wahrs."

„Aha." Er lachte, aber jetzt sah er mich wenigstens aufmerksam an. Ich schluckte hart. Seine Augen! Sie sahen genauso aus wie meine. Flaschengrün, mit einem schwarzbraunen Ring drum herum.

Er stutzte. Der Blick ruhte auf mir. Durchdringend.

„Du kommst mir... irgendwie bekannt vor, Siena", sagte er da auch schon und rieb sich das Kinn beim Nachdenken. Verdammt!

Natürlich hatte ich das vorausgeahnt. Als er meine Mutter kennenlernte, war sie fast doppelt so alt gewesen wie ich jetzt, aber wahrscheinlich hatte er Bilder von ihr in jüngeren Jahren gesehen. Mit achtzehn sah sie praktisch so aus wie ich heute. Zeit für die falsche Spur.

„Manche sagen, ich würde der jungen Dove Cameron ähneln", lächelte ich ihn an. „Der Filmschauspielerin."

„Dove Cameron?" Er runzelte die Stirn. „Nie gehört."

„Sie ist noch nicht so bekannt, aber sie hat in einigen Serien mitgespielt. In „Liv und Maddie", oder in „The Mentalist". Wahrscheinlich haben sie sie mal im Fernsehen gesehen, oder auf Netflix."

„Unwahrscheinlich. Ich sehe kaum fern."

„Schauen sie doch mal nach." Ich wies auf seinen Bildschirm.

Er schnaubte und tippte schnell, starrte auf den Bildschirm. „Stimmt wirklich." Sein Blick ging zwischen mir und seinem Suchergebnis hin und her. „Sie sehen ihr wirklich ähnlich. Die großen Augen. Und die Haare. Ein richtiges Elfengesicht."

„Sehen sie?" Ich strahlte, als hätte ich einen unschlagbaren Beweis geliefert.

„Hm." Er nickte abwesend und blätterte wieder in meiner Bewerbung. Siena Wahrs -- Douze Points! Ich entspannte ein wenig.

„Geboren am 24. Mai 2001 in München", murmelte er vor sich hin. Für eine Sekunde hielt ich die Luft an. Wenn er das Datum noch wusste, an dem er meine Mutter verlassen hatte, und knapp neun Monate dazu rechnete, dann würde er beim 24. Mai 2001 rauskommen. Doch wie erhofft hatte er keinen Anlass, jetzt an eine Geliebte aus seiner Jugend zu denken.

„Grundschule. Gymnasium", fuhr er fort. „Ab der siebten Klasse im Internat. Erfahrung mit Bauarbeiten aller Art, haben sie geschrieben. Was meinen sie denn damit, Fräulein Wahrs. Oder ist es ihnen lieber, wir gehen gleich zum Du über? Das ist beim Bau ja so üblich."

„Gerne." Ich nickte eifrig und verdrängte die Szene, als er das Valerie vorgeschlagen hatte. „Das Internat war auch ein alter Bau, und die Schüler mussten überall mit anpacken, als Teil des didaktischen Konzepts. Ich habe viel in der Schreinerei gearbeitet und kann sägen, fräsen, hobeln und schleifen. Geschweißt habe ich auch, aber den Schein habe ich nicht gemacht."

„Interessant." Er musterte mich aufmerksam und ich hielt dem Blick mit Mühe stand. Den Schweißapparat hatte ich genau ein einziges Mal in der Hand gehalten.

„Gemauert haben wir auch. Backsteine und Hohlblockelemente", fügte ich hinzu.

„Du wirkst nicht allzu stark, Siena." Er hob abwehrend die Hände. „Rein körperlich, meine ich. Denkst du wirklich, du kannst die harte, körperliche Arbeit auf einer Baustelle bewältigen? Dich richtig schmutzig machen?"

„Schmutzig machen?" Ich lachte so rau, dass er zusammenzuckte, und hielt einen Finger an meine rechte Armbeuge. „Bis hierher", sagte ich.

„Was, bis hierher?"

„Bis hierher steckte dieser Arm in der Scheiße, wenn die Rohre im Untergeschoss mal wieder verstopft waren", erklärte ich ihm ruhig. „Das kam meistens im Frühjahr vor, wenn es viel geregnet hatte. Ich denke, ich kann mich richtig schmutzig machen, Mike."

„Oh. Verstehe." Er verarbeitete das Bild und nickte widerstrebend. Ich lehnte mich zurück. Die Abflussrohre waren nur der erste Kreis der Hölle gewesen in Wikkelsheide. Die Neuen wurden immer dafür eingeteilt. Auch ein Teil des didaktischen Konzepts. Speziell nützlich für zwölfjährige, weinende Dinger mit Goldhaar, die zum ersten Mal weg von zuhause waren. Das machte hart, und zwar ganz schnell.

„Kannst du auch kochen?", fuhr er fort. „Waschen? Hausarbeit?"

„Klar. Wir hatten jede Woche Dienst. In der Küche, in der Wäscherei, beim Hausmeister oder im Garten, immer im Wechsel."

„Scheint eine gute Schule gewesen zu sein, dieses Internat." Er blätterte weiter. Ich biss die Zähne zusammen. Klar. Eine Wahnsinnsschule!

„Was sagt dein Vater dazu, dass du dieses Praktikum machst?", wollte er wissen. Als Eltern hatte ich angegeben „Martina und Konrad Wahrs". Der Geburtsnamen der Mutter fehlte wohlweislich. An „Martina Retzenbichler" hätte er sich sofort erinnert.

„Es ist ihm recht so." Ich zuckte mit den Schultern und sah zum Fenster raus. „Wir verstehen uns nicht besonders gut. Er hat mich nach dem Tod meiner Mutter ins Internat abgeschoben, und jetzt, da ich volljährig bin, will er mich höchstens an Weihnachten sehen. Wenn überhaupt."

„Tut mir leid."

„Kein Problem." Ich sah ihn direkt an. „Ist mir auch ganz recht so."

„Also gut." Er ließ die Papiere sinken und betrachtete mich, von Kopf bis Fuß. Mir wurde heiß, blitzartig. Prüfte er jetzt, ob ich seinem Geschmack an Mädchenfleisch entsprach?

„Du scheinst mehr handwerkliche Erfahrung zu haben als die meisten Mädchen in deinem Alter. Kennst du dich auch mit historischer Architektur aus?"

„Ein wenig", zuckte ich die Schultern. „Die Burg stammt ursprünglich aus dem elften Jahrhundert, aber nur das Fundament des Bergfrieds kommt aus dieser Zeit. Der Rest wurde im vierzehnten Jahrhundert erbaut. Im Hundertjährigen Krieg. Das Hauptgebäude stammt aus dem fünfzehnten Jahrhundert. Der Querbau ist eine Fachwerkkonstruktion von 1745."

„Das hast du auf der Website gelesen", grinste er.

„Natürlich. Aber ich weiß auch, was es bedeutet. Die Fenster des Hauptgebäudes sind moderner, scheint mir. Sie wurden später eingebaut. Achtzehntes Jahrhundert?"

„1755", nickte er, erkennbar beeindruckt. „Gut erkannt. Wir wechseln nach und nach die Fensterrahmen, aber im originalen Stil. Interessierst du dich für mittelalterliche Gebäude?"

„Ich will im Oktober Architektur studieren." Mein Blick ging gerade in seine Augen. „Meine Bewerbung läuft, bei der Universität der Künste, Berlin. Eine Zusage erhalte ich hoffentlich im August."

„Architektur, hm?" Ein rätselhafter Ausdruck trat in seine Pupillen. Ich hatte ihn, das sah ich! Er konnte damals sein eigenes Architekturstudium nicht abschließen, aus Geldmangel. Sein wunder Punkt, laut meinen Überlegungen.

„Ich dachte, das Praktikum hier wäre sicher eine gute Vorbereitung. Die Ausschreibung klang jedenfalls interessant", setzte ich harmlos hinzu.

Mike lehnte sich zurück, ohne den Blick von mir zu lösen. Dann stand er plötzlich auf. „In Ordnung", sagte er. „Komm mit. Ich führe dich einmal rum, damit du siehst, auf was du dich einlässt. Wenn du dann willst, kriegst du den Vertrag. Den Rucksack kannst du solange hier liegen lassen."

Mein Mund öffnete sich schon, um artige Dankesworte zu äußern. Da machte es „Klick" in meinem Kopf.

Er wollte mir zeigen, auf was ich mich einließ? Das wusste ich doch schon genau. Idiotischerweise hatte ich nicht daran gedacht, dass er mir wahrscheinlich dieselbe Überprüfung zuteilwerden lassen würde wie meiner Vorgängerin. Er würde mich einstellen, weil ich mehr Ahnung hatte als Valerie. Aber bestimmt nur, falls ich auch damit einverstanden war, mit ihm „eng im Team zusammenzuarbeiten".

„Äh -- nicht nötig", lächelte ich verzweifelt und bleib sitzen. „Ich habe mich, hrm, ja schon vorher umgesehen. Mir gefällt es hier."

„Von außen sieht man nicht viel." Er lächelte breit, ganz der gute Onkel. „Was die Bausubstanz wirklich taugt, das kann man nur von innen feststellen. Komm schon, das ist spannend."

Ich erhob mich und folgte ihm, wie auf Watte balancierend. Mein Gott -- was sollte ich nur tun? In meinem Kopf hatte sich ein schwarzes Loch gebildet und saugte die Gedanken schneller ab, als sie entstehen konnten. Mir blieb nur, ihm hinterher zu trotten. So also fühlte sich ein Lamm auf dem Weg zur Schlachtbank.

„Da drüben stand früher mal ein Schildhaus", erklärte er mir leutselig, als wir in die Sonne traten, und legte mir vertraulich eine Hand auf den Rücken. Ich nickte hastig. Meiner Stimme traute ich nicht. Ebenso wenig den Ohren. Er sprach weiter, doch ich nahm die Worte nicht mehr richtig wahr. Er berührte mich, das erste Mal, und das ließ mein Puls in Sekundenschnelle durch die Decke gehen.

So führte er mich hinter die Burg. Er nahm also exakt denselben Weg wie mit Valerie. Fuck! Was tun? Was tun? Ein Ohnmachtsanfall? Eine Tobsuchtsattacke? Wortlos gehen, mit einem letzten, vernichtenden Blick? Einen supercoolen Spruch bringen? „Ach übrigens, ich bin deine Tochter. Nett, dich kennen zu lernen, Papi. Ach, und nimm doch die Hand bitte von meinen Titten, ja?"

Ich fühlte mich paralysiert. So als ob mich jemand in ein unsichtbares Gestell gesperrt hätte. Gehen und bewegen, das funktionierte. Doch ich kam mir rettungslos eingekerkert vor. In welchen Wahnsinn hatte ich mich da nur hineinbegeben, und warum?

„Auf dieser Seite finden noch Fassadenarbeiten statt", wies er mich auf das Gestell hin, das ich schon vorhin gesehen hatte.

„Ja, und da oben werden die Fenster ausgetauscht", warf ich schnell ein und versuchte, die Initiative irgendwie zurückzukriegen. „Gibt es eigentlich einen Gesamtplan für diesen Umbau?"

„Na klar." Er blieb stehen. „Botho, also der Freiherr von Strackenfels, hat das Anwesen vor drei Jahren geerbt, als sein Vater starb. Das Museum und das Café liefen überhaupt nicht mehr, alles war hoch defizitär. Wohnen wollte auch niemand mehr in der Bruchbude, außer dem alten Herrn. Das einzige, was noch taugte, war das Gutshaus. Er bot mir einen dreijährigen Vertrag. Ich renoviere ihm das Ding und bekomme nicht nur Geld dafür, sondern kann solange mit der ganzen Familie hier wohnen. Nächstes Jahr kommt er aus Kanada zurück und rüstet das Museum neu aus. Möglicherweise kauft er auch ein Hotel unten im Dorf."

„Verstehe. Das ist billiger so, als wenn er eine Baufirma verpflichten würde", nickte ich altklug und verschränkte die Arme unter der Brust. Das war vielleicht ein Fehler, es lenkte seinen Blick auf mein Dekolleté. Verdammt -- ich spürte, wie hart meine Nippel vor Aufregung und Beklommenheit aufragten.

„Genau." Er riss mit Mühe seine Augen hoch und blinzelte mir zu. „Botho ist clever. Und er kennt mich. Er weiß, was ich draufhabe." Mit einem Lachen ging er weiter. Ich folgte, mit einem Hals, der sich anfühlte wie die Sahara.

„Komm, ich zeige dir die Ruine von innen."

Mike stieß seinen Schlüssel in das Schloss der Seitentür. Als sie aufging, schien mir das den Zugang zur Unterwelt zu öffnen. Letzte Chance!, sagte ich mir. Doch Mike winkte nur ungeduldig und ich stakte an ihm vorbei, ins Halbdunkel, und in die kühle Burg, gemauert aus massivem Stein. Ein Zittern überlief mich. Was sollte ich nur machen?

„Der Maschinenpark." Diesmal schloss er die Tür hinter sich mit einem finalen Knall. „Wir haben hier eine Kreissäge, eine Hobelbank, und verschiedene andere nützliche Dinge. Drüben im Gutshaus ist noch eine große Werkstatt mit mehr Möglichkeiten, aber ich will nicht alle Sachen rüberschleppen."

„Toll!" Ich sah mich um, ohne etwas wahrzunehmen.

„Hier geht es vor zum Haupteingang." Er trat an mir vorbei und übernahm die Führung. „Links sind weitere Lagerräume und der Zugang zu den Kellergeschossen. Wir gehen erst mal hoch, in den Rittersaal."

Die Treppe nach oben. Ich hielt den Blick gesenkt und kämpfte mit den gegensätzlichen Impulsen, die meine Brust auseinanderzureißen drohten. Seine Schuhe erklommen Stufe auf Stufe. Er hatte brandneue Sneakers an, registrierte ich abwesend. Edle Markenware. So schlecht konnte es den Linnemanns nicht gehen, rein finanziell gesehen.

„Hier bitte. Das Prachtstück des Hauses und der Kern des Museums."

Ich betrachtete den Rittersaal und die angelaufenen Rüstungen, die ich schon kannte. Mein Mund machte die richtigen Geräusche, Oh und Ah. Das Maximum meiner Möglichkeiten, im Moment.

„Das Zeug arbeiten wir über den Winter auf, wenn wir außen durch sind." Mike klopfte gegen einen Harnisch und erzeugte ein hohles Metallgeräusch. „Das muss alles blitzen und strahlen. Wie frisch aus einem Ritterfilm aus Hollywood, das wollen die Leute so."

Er lachte dröhnend, und ich setzte ein Grinsen auf. Gut, dass es so finster war in dem alten Gemäuer. Sonst hätte er mir die Verzweiflung wahrscheinlich angesehen.

„Dahinter liegt noch die Küche, aber die ist leer und uninteressant. Man müsste den originalen Kamin wiederherstellen. Nächstes Jahr, vielleicht." Er wedelte nach rechts. „Jetzt schauen wir uns erst mal den Dachstuhl an. Da sieht man genau, wie das alles konstruiert ist. Und als Bonus hat man einen herrlichen Ausblick, wenn man die Ziegel anhebt."

„Auf einem Fass vielleicht?", lag mir schon auf der Zunge. Der Druck auf meiner Brust nahm zu, ich bekam kaum noch Luft. Oh Gott -- er hatte mir tatsächlich exakt dieselbe Behandlung zugedacht wie Valerie. Mein Gesicht drohte zu entgleisen, deshalb wandte ich mich ab und stieg die Holztreppe hoch. Er kam dicht hinter mir, und mein Po brannte von dem Blick, den er jetzt mit Sicherheit darauf geheftet hatte. Scheiße -- warum hatte ich nur die Jeans mit den vielen Löchern angezogen? Meine Beine mussten halbnackt vor ihm tänzeln.

Oben erklärte er mir erst des langen und breiten den Aufbau des Dachstuhls. Ich nickte und tat interessiert, doch meine komplette Aufmerksamkeit war durch das Fass gebunden, das dort drüben im Dunkel brütete. Er würde mir gleich da rauf helfen, und dann die Finger um meine Taille legen. Zum Stützen und Sichern, offiziell. Und dann...

„Ich sehe schon, das reicht wohl für den Moment." Er warf mir einen schrägen Blick zu. Offenbar hatte er meine Ablenkung erkannt. „Das hier wollte ich dir noch zeigen. Komm mit."

Ich stolperte hinter ihm zum Fass. Wie lange konnte man eigentlich ohne Luft auskommen? Der Druck auf meiner Brust erlaubte nur noch quälend flache Atemzüge. Der Magen hatte sich zu einem harten Knoten geschlungen und versuchte gerade, sich selbst zu verdauen, so fühlte es sich an. Nein! Nicht weiter!

„Stell dich mal hier auf das Fass und schau unter den Ziegeln durch. Keine Angst, ich passe auf, dass du nicht runterfällst."

Er reichte mir eine Hand. Ich nahm sie mit tauben Fingern, stieg erst auf eine daneben hochkant stehende Kiste, und dann auf das Fass. Meine Hände gingen zu einer rissigen Querlatte, ich klammerte mich daran und ignorierte die Spreißel, die sich in die Haut gruben. Mit dem Kopf drückte ich gegen einen Ziegel und er hob sich mit einem Schnarren. Draußen lag greller Sonnenschein über dem Fluss, das Wasser blitzte und blinkte wie ein Strom aus Silbermünzen. So ähnlich musste sich der Graf von Monte Christo gefühlt haben, wenn er aus seinem Kerker auf das Meer hinaussah.

Alles zog sich in mir zusammen, ich krümmte mich, schnappte nach Luft.

„Vorsicht, festhalten!" Seine Stimme, wie durch Watte. „Ich halte dich!"

Zwei starke Hände griffen um meine Mitte. Sie stabilisierten mich. Doch ich spürte genau, wie sich die Fingerspitzen neugierig in mein Fleisch pressten, und wie er die Kontur der Beckenknochen wahrnahm. Mein eigener Vater erforschte, wie ich mich anfühlte. Als Frau. Als weibliches Fleisch, das er haben wollte.

Aaaahhh!!!

Mein Kopf wirbelte. Chaos.

Was nun? Was sollte ich tun? Wie...

Eine Erinnerung stieg in mir auf. Machtvoll, unwiderstehlich. Eine Blase, die aus der schattigen Tiefsee meines Hirns hochquoll...

***

Ich, mit dreizehn Jahren, Ende Mai 2014. Bayern München war gerade Deutscher Fußballmeister geworden, die Jungs sprachen in den Pausen kaum von etwas anderem. Eine Woche vorher waren wir im Kino gewesen, in „Divergent". Nachmittagsvorstellung. Im Radio lief ständig „Happy" von Pharrell Williams. Mit jedem Mal, das ich das hörte, fühlte ich mich erbärmlicher.

Vor ein paar Tagen hatte ich Geburtstag gehabt. Der erste nach dem Tod meiner Mutter und nach knapp einem Jahr im Internat. Kein Anruf von Konrad. Keine Karte, nichts. Von niemand. Den anderen in meiner Klasse hatte ich mein Geburtsdatum nicht verraten, aus Angst vor blöden Sprüchen und bösen Scherzen. Davon hatte ich schon mehr als genug erlebt.

Prügel von Gerda aus der neunten Klasse, die mich besonders auf dem Kieker hatte. Im Schlaf abgeschnittene Haare, keine Ahnung von wem. Nachsitzen, weil mir mal wieder jemand das Heft zerrissen hatte. Sonderdienste in der Wäscherei, weil mir das Bügeleisen nach zwei Stunden zu schwer wurde und ich eine Brandspur auf einer Bluse hinterließ. Gefühlt alle trampelten auf mir herum, dem dünnen Ding aus der Siebten, das nie etwas sagte und allen auswich.

Meine Träume, wenn ich abends die dünne Decke über den Kopf zog, bestanden zur Hälfte aus Rachefantasien, zur anderen Hälfte aus Selbstmordgedanken. Im März hatte sich einer aus der Elften vor den Zug geworfen. „Liebeskummer", hieß es offiziell, doch alle kannten die Wahrheit.

Unter den Schülern hieß das Internat „Wikkelshölle", und das mit gutem Grund. Hier saßen nur Kinder, die von ihren Familien möglichst weit weggehalten und vergessen werden sollten. Das beste Verkaufsargument war die Ganzjahresbetreuung, über sämtliche Ferien hinweg. Die meisten von uns fuhren niemals heim, nicht mal zu Weihnachten.

An diesem Mittag saß ich in der Kantine und hatte das verkochte Gemüse heruntergewürgt. Nun stocherte ich in den Kartoffeln herum und wartete darauf, dass die nächste Stunde begann. Da setzte sich zwei Mädchen aus der Zehnten neben mich, Birgit und Hanna. Nicht direkt neben mich, zwei Plätze weiter. Doch ich konnte hören, was sie redeten. Sie beachteten mich nicht.

„Doch! Ich sage es dir, ich habe es selbst mit angehört!", zischte Birgit und warf nervöse Blicke umher. „Die haben sich so gestritten! Und am Schluss hat Derek geschrien: „Lass mich in Ruhe, du dumme Fotze. Ich will dich nie mehr sehen, klar?" Ich meine -- das ist doch eindeutig, oder?"