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Krieg und Liebe - Irisches Exil

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Er umarmte mich ein zweites Mal und küsste mich auf meine rechte Wange. Angesichts meine Rippen- und Atemprobleme stöhnte ich unwillkürlich auf, was den Bauern sofort die Sorgenfalten ins Gesicht trieb.

„Wo tut es Ihnen weh?"

Ich schilderte ihm meine Schmerzen und dass ich insbesondere meinen linken Arm nur unter größten Schmerzen bewegen konnte.

Der Bauer überlegte kurz, dann ordnete er an, dass seine Tochter die Waffe weglegen und sofort in die nächste Ortschaft radeln sollte, um den örtlichen Arzt und den Priester der Gemeinde herbeizuholen. „Gwen, sag ihnen, dass Patrick Keanes Neffe verletzt auf meiner Farm ist und sofort Hilfe braucht", gab er ihr mit auf den Weg.

Als Gwen davon gestürmt war, machte der Bauer uns Tee und gab mir einen Becher. „Vielleicht sollte ich Ihnen erzählen, wo das Schicksal sie hin verschlagen hat", grinste er mich an, wobei er freundlicherweise wieder ins Englische mit einem heftigen irischen Akzent übergegangen war. „Patrick Keane war im Bürgerkrieg mein Kommandant. Wir haben auf der Sinn Fein-Seite für die volle Unabhängigkeit gekämpft. Aber ich bin wie er nach der Spaltung der republikanischen Bewegung in die Fianna Fáil eingetreten. Und wir haben unser Ziel der republikanischen Unabhängigkeit Irland vor vier Jahren erreicht." Er lehnte sich zurück und hob seinen Teepott wie zu einem Toast. „Unser Arzt, Dr. O'Connell und unser Priester Vater O'Leary gehören zu unserem politischen Kreis. Sie können ihnen vertrauen. Von uns wird sie niemand den Engländern ausliefern."

Mir brummte der Kopf. So viel Glück konnte ein Mensch im Krieg eigentlich nicht haben. Und nun saß ich in der Küche eines kleinen Farmcottage in der Mitte Irland und hatte mit göttlicher Hilfe Freunde und Helfer gefunden, die sogar meine Familie kannten.

Ich weiß nicht, wie lange ich mit dem Bauer, der sich mittlerweile als Conor Flynn vorgestellt hatte, geplaudert hatte. Meine Schmerzen waren zwar immer noch da, aber Tee und Freundlichkeit sowie das Gefühl, zunächst in Sicherheit zu sein, waren echt schmerzlindernd. Schließlich hörte ich das Geräusch eines vorfahrenden Automobils. „Der Doktor fährt eines der wenigen Automobile in unserem County", erläuterte Conor kurz bevor die beiden Männer und dahinter Conors Tochter wieder in die Küche traten. Conor erläuterte kurz die Situation. Bei der Erwähnung des Namens meines Onkels lächelten beide Herren plötzlich sehr freundlich in meine Richtung.

„Dann wollen wir den jungen Flieger mal eingehend untersuchen", kündigte Dr. O'Connell an und scheuchte Conors Tochter aus der Küche. Mein Arm und mein unterer Brustkorb gefielen dem Doktor überhaupt nicht. „Der Rest sind wohl Prellungen und Verstauchungen", war sein Fazit. „Tut höllisch weh, aber macht nichts. Arm und Rippen gefallen mir überhaupt nicht. Das müssen wir im Krankenhaus von Tullamore röntgen." Hiermit wusste ich wenigstens, wo ungefähr in Irland ich gelandet war.

Der Doktor stand auf und schaute Conor an. „Wir sollten die Uniformjacke von unserem Freund hier lassen. Auch alle Papiere." Er schaute mich an. „Ich glaube, ich fahre Sie selbst in Krankenhaus. Dann stellt keiner überflüssige Fragen. Wie heißen Sie eigentlich?"

„Michael Bohnkamp."

„Uhhhh. Das ist zu Deutsch. Wie hieß ihre Mutter mit Mädchenname?"

„Richardson."

„Das passt schon besser. Also Michael Richardson, dann lassen sie mal ihre Uniformjacke zurück. Conor wird ihnen eine seiner Jacken geben. Sie haben fast dieselbe Größe. Und dann fahren wir direkt ins Krankenhaus." Er schaute den Priester an. „Bleibst Du hier oder kommst Du mit?"

„Ich glaube, ich fahre mit. Wenn jemand dumm fragt, werde ich ihm passend antworten."

So fuhren wir drei die wenigen Meilen auf engen, auf beiden Seiten von grünen Hecken umsäumten Straßen nach Tullamore. Des Doktors Befürchtungen bewahrheiteten sich. Ich hatte einen doppelten Unterarmbruch links als auch zwei gebrochene und noch mehr geprellte Rippen, erfreulicherweise jedoch ohne unmittelbare Bedrohung der Lunge.

„Wird ein Weilchen dauern, bis Sie wieder marschfähig sind", merkte der Doktor an, nachdem mein Arm eingegipst war und ich einen Stützverband um meinen unteren Brustkorb erhalten hatte.

„Kannst Du unseren jungen Freund eine Zeit bei Dir behalten und gesund pflegen?" fragte er nach unserer Rückkehr den Farmer.

„Klar, Doktor. Wie früher. Er muss ja gesund werden, bevor er wieder gegen die Engländer kämpfen kann."

Dr. O'Connell grinste. „Genauso ist es. Deine Gwen soll sich um ihn kümmern. Krankenpflege ist Frauendienst."

Damit war ich vorläufig in Sicherheit und im Haushalt der Familie Flynn aufgenommen. Meine Krankenpflegerin, Gwen Flynn war gerade achtzehn geworden, war nach dem frühen Tod ihrer Mutter die einzige Frau im Hause und wartete auf ihre Zukunftsbestimmung.

Die nächsten vier Wochen verliefen Tag-für-Tag nach einem einheitlichen, aber verdammt eintönigen Rhythmus. Gwen versorgte mich hervorragend, kümmerte sich um meinen Stützverband am unteren Brustkorb genauso wie der Doktor sie angewiesen hatte. Mir gegenüber verhielt sie sich schüchtern-freundlich, hielt aber fühlbar Abstand. Streng katholisch folgte sie allen kirchlichen Pflichten.

„Ich wäre gern in einen Orden eingetreten", gestand sie mir nach einigen Wochen. „Aber meine Mutter ist im Kindbett mit meiner Schwester zusammen gestorben. Ein paar Jahre hat mein Vater alles allein gemacht, aber nach der Erstkommunion bin ich dann von Jahr zu Jahr mehr in die Rolle der Hausfrau hineingewachsen. Ich kann hier nicht weggehen, Vater will nicht wieder heiraten, er braucht mich."

Mit dieser Erklärung riss ich mich zusammen und machte bewusst keine weiteren Annäherungsversuche, auch wenn es mir schwerfiel. Gwen war eine absolute Schönheit. Aber sie wirkte ständig ein wenig traurig. Sie hatte sich wohl ihr Leben etwas anders vorgestellt.

Nach vier Wochen nahm mit Dr. O'Connell den Gipsverband ab und inspizierte durch ein zweites Röntgenbild den Stand der Heilung. Er war zufrieden, was er mir anhand des Bildes auch erklärte. Dann bekam ich für zwei weitere Wochen noch einen leichteren Verband, der meinen Unterarm zusammenhalten sollte. Immerhin hatte dies den Vorteil, dass ich Conor jetzt wenigstens ein bisschen zur Hand gehen konnte, nachdem ich zunächst nur ein zu pflegender, nutzloser weiterer Esser gewesen war.

„Was willst Du machen, wenn der Verband abkommt und Du wieder ein vollwertiger Mensch geworden bist?" fragte Conor eines späten Juniabends, während wir vor seinem Cottage saßen und zusammen rauchten.

„Ich habe in den vergangenen Wochen zwei Alternativen überlegt", legte ich ihm meine Gedanken offen. „Ich kann versuchen, mich zu der Kontaktstelle in Dublin durchzuschlagen, die mich dann, wann und auf welchem Weg auch immer, nach Deutschland zurückbringt. Soll aber gefährlich sein, weil englische Spione wohl unseren Kontakt überwachen."

Conor grinste. „So haben die Engländer das auch mit uns jahrzehntelang gemacht. Die haben ziemlich Übung mit ihrer Überwachung. Und wenn sie dich erst einmal haben, verschleppen sie dich nach Nordirland und nehmen dich da gefangen, verhören dich und stecken dich in irgendein Lager. Möglicherweise sogar in Übersee."

„Das befürchte ich auch. Die Alternative wäre, dass ich mich auf den Weg zur Familie meiner Tante bei Sixmilebridge mache und von dort aus auslote, wie ich zurück auf den Kontinent komme."

„Mit Sicherheit die bessere Alternative", bewertete Conor meine Lage. Dann dachte er bestimmt zehn Minuten lang stumm nach. „Wenn dein Verband endgültig ab ist, lassen wir Dich von Vater O'Leary zivil einkleiden", sagte er schließlich. „Dann kaufe ich Dir ein Fahrkarte nach Sixmilebridge und Du machst Dich auf den Weg." Er nahm einen tiefen Schluck aus seinem Bierkrug und schaute mich nachdenklich an. „Wenn ich Dir als alter republikanischer Soldat einen Rat geben darf", sprach er dann mit langsamen Worten. „Du hast irisch-republikanisches Blut in Dir und bist ein gut ausgebildeter Fliegeroffizier. Die Republik hat nicht viele Männer von Deinem Format und Deiner Ausbildung. Überlege Dir bitte eingehend, ob Du nicht in Irland bleibst. Wenn Du oder Deine Tante Hilfe brauchen, Dich hier geräuschlos zu etablieren und Dir Arbeit zu verschaffen, kannst Du auf uns Helfer aus Tullamore zählen."

Ich nahm die Worte und das Hilfsangebot meines Gastgebers mit sehr freundlichen Worten zur Kenntnis. Aber selbst als ich abends im Bett darüber noch einmal nachdachte, hatte ich Hemmungen. „Wenn ich hier in Irland untertauche, ist das eindeutig Fahnenflucht", murmelte ich kurz vor dem Einschlafen zu mir selbst. „Und das wäre absolut unehrenhaft."

Diesen Gedanken hatte ich auch noch am darauffolgenden Morgen. Aber ich hatte zumindest eine Übergangsentscheidung getroffen. „Ich will zunächst zu meiner Tante fahren und von dort die nächsten Schritte planen", verkündete ich Conor.

„Sehr gut", stimmte er mir für seine Verhältnisse ausgesprochen fröhlich zu. „Absolut richtige Entscheidung. Ich kümmere mich umgehend um alles Weitere."

Conor hielt Wort. Am 19. Juni brachten Dr. O'Connell und Conor Flynn mich gemeinsam zum Bahnhof nach Tullamore und blieben wie alte Freunde noch so lange auf dem Bahnsteig stehen, bis mein Zug den Bahnhof verlassen hatte. Ich fuhr zum zweiten Mal in meinem Leben nach Sixmilebridge, mit einer einzigen, von der Kirche gestifteten Herrenausstattung, deutschen Militärstiefeln und meiner Piloten-Uniform als einzigem Gepäck.

Aus Sicherheitsgründen hatte ich meiner Tante nur wenige Tage zuvor eine Postkarte geschickt. Der Text war einfach und unverdächtig: „Dein Neffe Michael wird Dich am 19. Juni besuchen. Ich komme mit dem Zug um 2.35pm in Sixmilebridge an." Jetzt war ich mehr als gespannt, was und wer mich erwarten würde.

In Sixmilebridge angekommen, sah ich zunächst niemanden, dessen Antlitz mir bekannt vorkam. Erst als der Zug bereits weiterfuhr und die Plattform sich weitgehend gelehrt hatte, stand am Eingang eine junge Frau mit langen roten Haaren, die zu zwei Zöpfen geflochten waren. Wir schauten uns kurz an, dann sprach mich die Frau an. „Michael? Tante Marys Sohn?"

Ich nickte und ging auf die Frau, die in einem weiblichen Reitdress gekleidet war, zu. Sie streckte mir die Hand entgegen. „Eireen Keane, deine jüngste Kusine." Sie erkannte mein Erstaunen, denn ich hatte sie noch als dreizehnjähriges kleines Mädchen in Erinnerung. „Ich habe mich seit damals ein wenig verändert", lächelte sie mich an.

„Unglaublich!" fand ich meine Worte wieder. „Eileen! Ich hätte Dich wirklich nicht wiedererkannt." Weitere bewundernde Worte schluckte ich erst einmal herunter. Sie wären sicherlich in diesem Moment nicht angemessen gewesen.

„Ich habe zwei Pferde dabei", sagte sie und verwies mit der Hand auf die beiden Braunen, die am Seiteneingang des Bahnhofs auf uns warteten. „Benzin ist rationiert und furchtbar teuer, so dass wir derzeit nicht Auto fahren."

„Ist in Ordnung. Ich bin bei Euch fast täglich ausgeritten. Bin ein bisschen aus der Übung, aber das wird bestimmt schon gehen."

Es ging. Nach einem gemütlichen Ritt durchs sommerliche County Clare erreichten wir eine Dreiviertelstunde später die Farm von Tante Shauna.

„Hier herrscht tatsächlich der totale Frieden", sagte ich nach der überaus herzlichen Begrüßung durch meine Tante. Im ersten Moment dachte ich, dass sie immer noch Trauerkleidung trug. Aber wenn man im Sonnenlicht genau hinschaute, war ihr altmodisches Kleid nicht schwarz, sondern tiefdunkelgrün. Ein raffinierter Kompromiss.

„Wir haben genug eigene Kriege gehabt", antwortete sie mir zögernd. „Ich habe oft genug um meinen Patrick gezittert, wenn ich wusste, dass die IRA wieder einen Einsatz gegen die Engländer hatten. Und im Bürgerkrieg war es eigentlich noch schlimmer. Da gab es nur eine unsichtbare, graue Front. Wie in einem Dauernebel. Genug Menschen sind auf ihren Feldern, ihren Höfen oder ihren Stadthäusern getötet worden. Auf beiden Seiten."

Meine Tante hatte die Teatime vorgezogen und bat mich direkt in ihren Salon. Dann fragte sie mich aus wie ein militärischer Verhörspezialist, nach meinen zweijährigen Kriegserfahrungen und besonderen Erlebnissen, nach meinen Eltern und Geschwistern. „Noch unverheiratet?" fragte sie plötzlich wie aus dem heiteren Himmel.

„Ja. Die Luftwaffe bevorzugt unverheiratete Piloten in den unteren Offiziersrängen."

„Und da hast Du Dich dran gehalten?"

Ich grinste. „Im Prinzip ja. Aber in Deutschland, gerade im Umfeld von Wehrmacht und Luftwaffe sind die Sitten und Verhaltensweisen nicht so streng wie beispielsweise hier."

„Aha." Meine Tante hatte meine Antwort in all ihrer mehrfachen Tiefschichtigkeit sofort verstanden. „Das Soldatenleben war immer schon etwas anders. Selbst hier." Sie sah mich mit einem fast durchdringenden Blick an. „Aber hier ist Frieden. Und bleibt es hoffentlich auch."

Ich hatte ihre stille Botschaft verstanden.

Unser Gespräch wendete sich den irischen Verhältnissen unserer Familie zu. „Riona und Sinéad haben noch vor Ausbruch Eures Krieges geheiratet. Beide haben je eine gesunde Tochter zur Welt gebracht, Sinéad erwartet sogar bereits ihr zweites Kind. Meine Keeva ist in einen Convent eingetreten. Sie ist jetzt als Novizin dort und wird als Krankenschwester ausgebildet." Sie schaute zu ihrer jüngsten Tochter herüber. „Und Eileen ist ebenfalls herangewachsen. Mal sehen, was die Zukunft für sie parat hält."

Beim nachfolgenden Abendessen wurde meine Tante dann schon neugieriger. „Ich bin unendlich froh, Dich gesund und auch mit auskurierten Verletzungen bei mir zu haben. Ich kann mir gut vorstellen, dass Mary sich Riesensorgen um Dich macht. Wie soll ich ihr schreiben, dass Du wohlbehalten bei uns bist und wir auf Dich achtgeben?"

Ich dachte nach, denn eigentlich wollte ich erst einmal meine Anonymität bewahren, bevor ich wusste, wie ich wieder um Kontinent zurückkehren konnte. „Schreibe ihr doch einfach, dass Du Dich freust, dass Dein Neffe zur Hilfe auf die Farm gekommen ist und er bis auf weiteres Dich unterstützen wird. Du kannst gerne noch dazu schreiben, dass er Dir mit seiner Kraft und seiner Gesundheit sehr willkommen ist."

Shauna grinste. „Den Text verstehen Deine Eltern sofort. Und damit die Zensur auch richtig zu arbeiten hat, schreibe ich auf Gälisch. Das kann Mary dann Deinem Vater übersetzen."

„Wie bekommt ihr überhaupt Post nach Deutschland?"

„Weiß ich nicht so genau. Ich glaube, die Post geht über Spanien oder Portugal. Wird ein Weilchen dauern, bis sie bei Mary ankommt. Ihr letzter Brief hat fast einen Monat gebraucht. Aber wir sind neutral, das hat seine echten Vorteile."

Der Brief meiner Tante kam tatsächlich in Sodingen an, wie wir einer Antwortpostkarte entnehmen konnten, die Anfang August bei meiner Tante eintraf. Dem sehr überlegt geschriebenen Wortlaut konnte ich entnehmen, dass es meinen Eltern gut ging und sie erfreut von dem Besuch von Shaunas Neffen gehört hatten. Als diese Postkarte die westirische Farm der Familie Keane erreicht hatte, hatte sich die Welt und ihr Krieg grundsätzlich geändert. Die Wehrmacht hatte zwei Tage nach meiner Ankunft in Sixmilebridge mit mehreren Millionen Soldaten in Heer und Luftwaffe die Sowjetunion angegriffen und rückte jeden Tag tiefer in Russland und der Ukraine vor.

Meine Tante hatte neben einer örtlichen Zeitung seit Jahren die Irish Times abonniert. „Patrick sagte immer, dass man auch die Presse der Gegner lesen muss", hatte sie mir bereits bei meinem ersten Sommeraufenthalt erklärt. Für mich war diese mit der Nachmittagspost kommende Tageszeitung mit ihrem Korrespondenten-Netzwerk eine Offenbarung an Information. Und das in einer Darstellungsweise, die mir als vormaligem deutschen Gymnasiasten und jetzigen Offizier nicht bekannt war. Die Irish Times stütze sich stark auf Kooperationen mit amerikanischen Journalisten, die ebenfalls den Vorteil hatten, Teil einer neutralen Nation zu sein. Und so erfuhr ich viele Dinge, die trotz des offenkundig erfolgreichen Vormarsch der Wehrmacht zum Nachdenken anregten. Spätestens ab Mitte Juli stellte ich mir mehrfach täglich die Frage, ob ich tatsächlich nach Deutschland zurückkehren wollte, um an diesem Feldzug gegen den Hort allen Übels, der kommunistischen Sowjetunion, teilzunehmen.

Meine Tante hatte meine Grübeleien mit sehr viel Einfühlungsvermögen beobachtet und ging nun mit viel Fingerspitzengefühl vor. Sie war zusätzlich durch eine zweite Postkarte meiner Mutter motiviert, die sie mir aus gutem Grund vorenthalten hatte. Ich habe diese Karte erst viele Jahre später zum Lesen bekommen; in ihr stand mehr oder weniger unmissverständlich, dass meine Tante mich unter allen Umständen in Irland behalten sollte.

Meine Tante feierte an einem Sonntag Mitte August ihren 45. Geburtstag. Zu diesem Anlass hatte sie ihre drei auswärtigen Töchter mit ihren Familien zum Sonntags-Roast und zur Geburtstagsfeier in ihr Farmhaus eingeladen. In ihrer Einladung hatte sie Riona, Sinéad und Keeva zum ersten Mal über meine Anwesenheit informiert und instruiert. „Ich stelle Michael Euren Familien als Neffen zweiten Grades vor, der mir bei der Führung unserer Farm hilft. Bitte lasst sicherheitshalber kein Wort darüber fallen, woher er kommt. Die englischen Ohren sind überall."

Entsprechend zivilisiert fiel die Begrüßung zwischen meinen Kusinen und mir aus, als wir vor dem Eingang unserer Dorfkirche zum ersten Mal seit fünf Jahren aufeinander trafen. Nur Riona konnte sich ein „Oh Gott, Du bist ja ein richtiger Mann geworden", nicht verkneifen. Meine Tante stellte mich formal ihren Schwiegersöhnen vor, die mich neugierig beobachteten. Aber mein unüberhörbarer irischer Akzent in meinem Englisch machte mich über jeden Zweifel erhaben.

„In Amerika gewesen?" fragte mich Rionas Ehemann Liam Doyle, der in der Familienfirma geschäftlich viel mit Amerikanern zu tun hatte.

„Leider nein", war meine ehrliche Antwort. „Ich bin die letzten Jahre im Irak und Mittleren Osten gewesen, wo ich Post und andere Luftfracht für Ölgesellschaften geflogen habe." Dies war die Tarnstory, die ich mir mit meiner Tante ausgedacht hatte, um neugierige Nachfragen halbwegs glaubwürdig beantworten zu können.

Liam hatte seine Augenbrauen hochgezogen. „Du bist ein richtiger Pilot? Was hast Du denn geflogen?"

„Einmotorige, zuletzt Zweimotorige, weil die mehr Fracht tragen." Ich nannte ihm ein paar gängige, etwas ältere britische Modelle, von denen ich annahm, dass diese den Luftverkehr in dieser Region bedienten."

Liam schien meine Antwort zu gefallen. „Schon mal ein Flugboot geflogen?"

„Leider nein. Muss ein ganz besonderes Gefühl sein, mit diesen Riesendingern zu starten und zu landen."

„Ist es wohl." Er lächelte mich an. „Ich kann nicht fliegen, aber unsere Firma betreibt ein Versorgungsterminal für die amerikanischen Clipper-Flugboote am Shannon River und ein Luftfrachtterminal am Shannon Airport. Es ist erstaunlich, was für Mengen die Amerikaner mit ihren Flugbooten über den Atlantik fliegen können. Die werden bei uns gelöscht, gelagert, aufgeteilt und dann vom Airport aus mit normalen Maschinen nach England weitergeflogen."

„Ein einträgliches Geschäft für Euch?"

„Und ob", lachte Liam. „Dass am stärksten wachsende Geschäft in unserer ganzen Firma."

Erfreulicherweise kam jetzt Riona hinzu. „Dein Cousin ist Pilot. Wusstest Du das?"

Riona reagierte blitzschnell. „Ja, mein Schatz. Irgendwo in Übersee." Sie schaute mich mit einem ganz merkwürdigen Blick an. „Wo warst Du?"

„Irak und Mittlerer Osten", war meine blitzschnelle Antwort.

„Ach ja, hatte ich ganz vergessen." Dann zog sie ihren Mann erst einmal fort von mir.

Tante Shaunas Geburtstagsfeier war wunderbar. Es war überhaupt die erste Familienfeier für mich seit vielen Jahren. Und ich fühlte mich rundum wohl.

„Mein lieber Michael", sagte abends meine Tante etwas erschöpft, aber glücklich, nachdem ihre drei älteren Töchter mit ihren Familien wieder abgereist waren. „Es wird Zeit, dass Du ein richtiger Ire wirst. Sonst wird das noch gefährlich."