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Dunkler Abgrund Ch. 18

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Holly runzelte leicht die Stirn und schob ihren Becher von sich. Weshalb erfüllte sie dann kein Neid? Weshalb fühlte sie sich denn hier nicht zuhause? Sie müsste von Verbitterung zerfressen sein, während sie hier saß und ihre verlorene Zukunft vor ihr sah. Doch das war sie nicht. Sie war es einfach nicht.

Ihr Blick glitt durch den Raum auf der Suche nach einer Antwort. Und sie fand sie. Holly fand die Antwort in einer kleinen Ecke unter einem Heizkörper. Die Ecke war schwer zu erreichen und irgendeine graue Pommes hatte sich vor Jahren dazwischengelegt und verrottete. Ein kleines Detail: Diese unsaubere Ecke hinter einer Sitzreihe. Mehr nicht. Und irgendein Puzzleteil in Hollys Innerem rückte an ihren Platz mit einem lauten Rums.

Die Besitzerin des Ladens war mittlerweile zu alt, um sich auf Händen und Knien nach dieser Ecke zu bücken und zu versuchen sie zu reinigen. Sie könnte eine junge Studentin aus dem örtlichen College einstellen und ihr das Putzen überlassen, doch wie Holly war sie dafür zu stolz. Sie würde niemals einer Rotzgöre mit Abschluss eingestehen, dass sie diesen Job nicht allein erledigen konnte. Genau wie Holly ihrer Kellnerin Laura immer jede Verantwortung abgenommen hatte, war auch diese Frau davon überzeugt, dass sie alles allein konnte. Denn dies war ihr Reich und hier herrschte allein sie. Und nur das machte sie glücklich: Diese Last, dieser Berg an Arbeit, durch den man sich durchwühlen musste, erfüllte sie vollkommen.

Doch mit dem Alter wurde es nicht leichter. Jeden Tag wurde der Weg die Treppe hinauf in das Apartment darüber etwas schwerer zu bewältigen und jeden Morgen würde es härter sein, die alten Knochen aus dem Bett zu heben. Die Arbeit machte sie glücklich, ja, doch sie täuschte sie nicht mehr darüber hinweg, dass sie in Wahrheit einsam war. In der Wohnung begrüßte sie niemand und niemand außer ihr selbst machte ihr das Frühstück. Sie wollte es wahrscheinlich auch gar nicht anders, aber Holly hatte es gewollt. Sie hatte sich immer tief in ihrem Inneren nach einer Familie, nach Kindern und einem Mann gesehnt.

Sie hatte ihr Leben nie aufgeben wollen und ihr Diner hatte sie nur unter Zwang zurückgelassen, doch jetzt, wo sie ihre Zukunft gerade vor sich sah, wurde ihr klar, dass sie wahrscheinlich viel zu spät erkannt hätte, dass ein Diner keine Familie ersetzte. Es war ein Trost, ja, aber für Holly, für sie persönlich, war es kein Ersatz.

Sie wollte immer jemanden, der ihr im Alter die Ecken saubermachte, wenn sie selbst nicht mehr drankam. Sie wollte jemanden, der ihr die Zeitschrift aus der Hand riss und sie leidenschaftlich küsste. Sie wollte jemanden, der ihr ein Leben nach der Arbeit bot. Eine Tür hatte sich vielleicht in ihrem Inneren zugeschlagen, weil sie nun keine Kinder mehr bekommen konnte, doch tausende neue Türen hatten sich geöffnet, die sie bis dahin nicht einmal erkannt hatte. Nun konnte sie nicht mehr an dieser Stelle verharren, an der sie sich sagte, dass ihr das Diner reichte. Denn das tat es nicht. Sie wäre niemals so zufrieden wie diese Frau geworden, sondern langsam aber sicher verbittert. Obwohl sie nie wegwollte - nie reisen, nie Welten entdecken wollte - wäre sie daheim auf Dauer niemals glücklich geworden. Nicht ohne einen Mann an ihrer Seite. Nicht ohne einen Halt.

Ganz langsam und steif lehnte sie sich in dem Sitz zurück und schloss die Augen. Eine seltsame Energie erfüllte sie plötzlich und ließ sie am ganzen Körper erschaudern. Vor ihrem inneren Auge verwandelten sich das Diner und ihr Leben dort irgendwie zu einer Altlast, die sie endlich abstreifen konnte. Die Zeit dort würde sie immer in guter Erinnerung behalten und würde immer noch bei dem Geruch von Bratenfett, Kaffee und billigem Parfum an ihren Vater denken, aber ohne Sehnsucht. Ohne Verbitterung und... ohne Ausgleich.

Urplötzlich brach eine Welle der Einsamkeit über ihr zusammen, als sie sich nun ihre Zukunft vorstellte. Sie hatte immer noch Lust ein Diner zu führen und ihn einfach die ganze Nacht geöffnet lassen, aber sie wollte nicht noch einmal dasselbe Spielchen spielen. Sie wollte es als Hobby, nicht als Lebensinhalt. Vielleicht in einer Großstadt. Aber sie würde nicht wieder dieselben Kreise drehen, denn das reichte ihr plötzlich nicht mehr. Es hätte ihr niemals gereicht.

Während sie mit geschlossenen Augen dasaß und langsam durchspielte, wie sie nun ihr Leben in den Griff bekommen sollte und diese markerschütternde Einsamkeit abstreifen konnte, spürte sie eine Bewegung vor sich. Sie öffnete ihre Augen.

Ein Mann stand neben ihr und zeigte auf den freien Sitzplatz gegenüber von ihr. „Darf ich?"

Holly nickte stumm und griff nach ihrem mittlerweile kalte Kaffee. Das Diner hatte sich nun zur Gänze gefüllt, sodass kein freier Platz mehr übrig war. Seufzend sah Holly in die Kaffeesuppe in ihrem Becher und warf einen Blick zu der Besitzerin. Sie würde eine Weile brauchen, bis sie an diesem Tisch Kaffee nachschenkte.

„Lange Nacht?", fragte ihr Tischnachbar.

Holly blickte auf. „Ziemlich." Er trug einen perfekt sitzenden Anzug, der mit Sicherheit ein Vermögen gekostet hatte und eine makellos geschnittene Frisur. Seine Fingernägel waren gepflegt, aber nicht so gepflegt, dass sie manikürt aussahen. Ein Bartschatten auf seinen Wangen und ein feines Netz aus roten Äderchen in seinen Augen bewiesen, dass er die ganze Nacht durchgearbeitet hatte. Er senkte halb die Lider, doch nicht aus Müdigkeit, sondern weil er sie musterte. Langsam und gründlich.

Vielleicht lag es an der plötzlichen Einsamkeit, die sie empfand. Vielleicht ergriff sie auch einfach eine unbestimmte Sehnsucht nach Nähe. Vielleicht lag es aber auch einfach an diesen raubtierhaften Instinkten, die sich neuerdings in ihr regten. Woran es auch lag, ihr gefiel dieser Blick. Sogar so sehr, dass sich eine Wärme in ihrem Bauch regte. Diese Wärme, die einen erfüllt, wenn einem bewusst wird, dass der Gegenüber einen anziehend findet.

Früher war sie nie so angesehen worden. Nicht einmal von Lukan. Bei ihm lag immer ein kühler, kalkulierender Ausdruck in den Augen. Doch die Augen dieses Mannes waren nur erfüllt von Begehren.

Sie hatte bereits gemerkt, dass sie mittlerweile anders auf Männer wirkte. Sogar auf Frauen. Das erste Mal in ihrem Leben war sie keine Außenseiterin mehr, sondern gehörte zu dem erlesenen Kreis an Menschen, zu denen man sich auf der Straße unverhohlen umdrehte. Sie machte sich keine Illusionen darüber, dass es an irgendetwas anderem lag, außer an ihrem Dasein als Vampir. Es wirkte anziehend auf die Menschen. Dieses Übermenschliche. Aber sie selbst war immer noch derselbe Mensch wie vorher. Irgendwie zumindest.

„Arbeiten Sie für gewöhnlich nachts?", fragte der Mann und lächelte charmant. Er war wirklich attraktiv. Nicht übermenschlich schön, aber durchaus anziehend. Seine grünen Augen funkelten auf eine unglaublich humorvolle Weise und um seinen Mund spielte ein nettes Lächeln.

Sie lächelte spontan zurück. „Nein, ich bin nur ein Nachtmensch und habe mir für eine Weile frei genommen." Das war wohl die ehrlichste Antwort von allen möglichen Lügen. „Und Sie?"

Mit einem ironischen Zwinkern zeigte er auf seinen Anzug. „Anwalt." Er verzog leicht das Gesicht. „Aber einer von den guten."

„Von den guten?" Es interessierte sie nicht wirklich, aber irgendetwas an seiner Art ließ in ihr den Wunsch erwachen, ihn am Sprechen zu halten. Vielleicht war es seine angenehme, warme Stimme.

Er lächelte sie an und zeigte eine Reihe perlenweißer, gerader Zähne. „Ich bin Staatsanwalt. Ich verdiene zwar nicht so viel wie meine Kollegen, aber ich verteidige dafür auch keine Mörder und Vergewaltiger." Er zögerte. „Kein angenehmes Thema. Was ist mit Ihnen?"

Holly seufzte abgrundtief. „Ich bin die Inhaberin von einem Diner."

„Einem wie diesen?"

Holly lachte leise. „Irgendwie sind sie ja doch alle gleich, oder?"

Sein Lächeln wurde breiter und zauberte helle Sprenkel in seine grünen Augen. „Wahrscheinlich." Er legte den Kopf leicht zur Seite und betrachtete sie ein weiteres Mal gründlich. „Wie kommt es, dass Sie sich freigenommen haben?"

Holly verzog leicht das Gesicht und zuckte mit den Schultern. „Nennen wir es mal... Lebenskrise. Ich habe ein paar Freunden beim... Umzug geholfen und danach habe ich irgendwie entdeckt, dass ich nicht zurück will."

„Warum?", fragte er schlicht. Seine Augen wurden ernst, als interessiere ihn wirklich, was sie nun sagte.

Holly klappte den Mund auf und sagte ebenso spontan, wie sie ihn angelächelt hatte: „Ich war dort einsam. Trotz all den Freunden und den Gästen in meinem Laden, war ich nach Ladenschluss einsam." Sie holte tief Luft und versuchte das Gesagte mit einem Lächeln abzutun. Den Ernst aus ihren Worten zu nehmen. Es gelang ihr nicht.

„Es kommt mir ziemlich falsch vor, wenn eine so attraktive Frau sich einsam fühlt." Er sagte es ohne jeden Anflug von Anzüglichkeit. Ohne das Gespräch in eine Richtung drängen zu wollen, die ihr nicht gefiel. Und deshalb tat das Kompliment so unglaublich gut.

Ihre Wangen röteten sich geschmeichelt und sie wandte unsicher den Blick ab.

Er lachte plötzlich auf und schüttelte dann den Kopf. „Sie erröten bei einem einfachen Kompliment." Er grinste diesmal schamlos und betrachtete sie mit deutlich glühenden Augen. „Ist Ihnen denn nicht klar, wie unglaublich sexy Sie sind?"

Die Röte vertiefte sich, doch sie winkte ab. „Das liegt nur an diesem", sie stockte, „Make-Up."

Er lachte auf, doch diesmal nicht kurz, sondern er schüttelte sich röhrend vor Lachen, dass sich einige Leute um sie herum zu ihnen umdrehten. Es fiel ihm auf und er versuchte sich zu beruhigen, doch dann wieherte er erneut los. Es dauerte eine ganze Weile, bis er sich wieder im Griff hatte und sich mit einer schnellen Bewegung Lachtränen aus den Augen wischte. „Ihre Bescheidenheit ist ja ganz süß, aber vollkommen..." Er lachte wieder und schüttelte den Kopf. „Wissen Sie, was sexy an Ihnen ist? Nicht ihr unglaublich gutes Aussehen", er hob die Hand, um ihren unwillkürlichen Protest zu unterbrechen, „sondern die Art wie Sie sich bewegen. Wie sie lächeln. Man sieht ihnen an, dass Sie sich in ihrer Haut wohl fühlen. Und so will man sich auch fühlen und in Ihrer Nähe sein. Deshalb sind Sie so anziehend und sexy."

Holly klappte den Mund auf, stockte und schloss ihn wieder. Für einen Moment versuchte sie in Worte zu fassen, dass es nur an ihrem neuen Leben als Vampir lag, ohne das Wort Vampir zu erwähnen, bevor sie erstarrte. Er... Er hatte Recht. Nicht, weil sie sich als sexy empfand oder gutaussehend oder anziehend, sondern weil sie sich tatsächlich wohl in ihrer Haut fühlte. Das erste Mal in ihrem Leben dachte sie nicht darüber nach, wie sie ein paar Kalorien sparen konnte. Oder wie sie abnehmen sollte. Es spielte keine Rolle für sie mehr, wie sie aussah oder sich verändern könnte, um auf die Welt attraktiver zu wirken. Und nicht nur das. Es war auch mehr. Sie hatte ihren Platz noch nicht richtig in dieser Welt gefunden, doch sie war auf einem guten Weg dahin. Sie hatte einen Plan für die Zukunft. Keinen guten und auch keinen ausgereiften, aber sie trat nicht auf der Stelle.

Sie bemitleidete sich auch nicht mehr und jede Art von Verbitterung war irgendwie aus ihr gewichen, weil sie gegen ihren Willen zu einem Vampir gemacht worden war. Sie war nun ein Vampir und das fühlte sich gut an. Rundum gut. Es war vielleicht ein bisschen gewöhnungsbedürftig, aber wenn sie jetzt, in diesem Moment, die Wahl hätte, würde sie sich für das Leben und gegen den Tod in einem Bunkerbadezimmer entscheiden. Denn dieses Leben als Untote war unglaublich frei und voller offener Türen. Voller Möglichkeiten.

Ein Lächeln legte sich auf ihre Züge und vergrößerte sich, bis sie glücklich vor sich hinstrahlte. Ihr gefielen ihr Leben, ihr Dasein, ihr Aussehen, ihre Zukunft. Sie fühlte sich wirklich einfach nur wohl in ihrer Haut. Sie war für viele Männer sexy und sie musste sich nicht mehr irgendwelchen Einschränkungen unterwerfen. Sie hatte Geld auf der Bank, das ihr eine ganze Weile dabei helfen konnte, nicht mehr arbeiten zu müssen, weil sie sowieso nur für Kleidung aus dem Internet und ihr Hotelzimmer bezahlen musste. Bis zu diesem Moment hatte sie irgendwie am Startblock gestanden und ihn verwirrt angestarrt, aber jetzt würde sie losrennen. Sich nehmen, was sie wollte. Einfach, weil sie es konnte und auf niemanden Rücksicht nehmen musste. Ihre Finger begannen vor Aufregung zu zittern, während sie versuchte zu entscheiden, in was sie zuerst diese überbordende Energie stecken sollte.

„Hätten Sie vielleicht mal Lust sich mit mir auf einen Kaffee zu treffen?", fragte der Mann immer noch lächelnd und betrachtete offensichtlich hingerissen ihren Mund.

Sie strahlte immer noch und schüttelte den Kopf. „Nein, tut mir leid." Trotz seines enttäuschten Gesichtsausdruckes, lächelte sie ihn weiter an. „Aber ich habe jetzt nichts weiter vor." Ihr wurde schwindelig von ihrer eigenen Spontaneität, als sie herausplatzte: „Ich habe ein Hotelzimmer hier in der Nähe." Sie hatte keine Ahnung, woher das kam. Sie wusste es wirklich nicht. Aber es fühlte sie verdammt gut an, einfach zu sagen, wozu sie gerade Lust hatte. Und Lust hatte sie wirklich. Seit sie verwandelt wurde, lauerte in ihr ein wollüstiges Wesen, das sich besonders beim Trinken kaum zügeln ließ. Eine heimliche Holly in ihr drin, die sich an den warmen Menschen, von denen sie trank, reiben wollte.

Und plötzlich sprach nichts mehr dagegen, mit diesem Mann zu ins Bett zu gehen. Er war gutaussehend, charmant und er begehrte sie. Ohne böswillige Hintergedanken und ohne den Wunsch sie zu demütigen und ihr wehzutun. Er wollte mit ihr schlafen und sie fand keinen Grund, weshalb sie es nicht tun sollte. Und sie wollte auch keinen finden. Sollte er in ihr doch eine Schlampe sehen. Sollte er in ihr doch ein leicht zu habendes Flittchen erkennen. So fühlte sie sich jetzt auch. Energiegeladen, wollüstig und verdammt leicht rumzukriegen.

Der Anwalt lachte wieder; ein wirklich angenehmer Laut ohne jeden Hohn und Spott, wie sie es von Lukan gewöhnt war. Er strahlte sie an, als das Lachen endete und biss sich auf die Unterlippe. „Wenn ich dieses Angebot nicht annehme, werde ich wahrscheinlich von der Vereinigung der Männer kastriert."

Holly kicherte. „Gibt es so eine Vereinigung?"

Er nickte ernst, doch in seinen Augen funkelte der Schalk. „Selbstverständlich. Die VdM hat auch festgelegt, dass echte Männer niemals frieren dürfen."

„Klingt diktatorisch."

Er seufzte schwer. „Du hast ja keine Ahnung." Er warf einen Blick durch den Raum und blieb kurz an der Dinerbesitzerin hängen, die durch den Laden huschte. „Ich glaube, das wird heute nichts mehr mit meinem Kaffee..." Er lächelte sie an. „Wie wäre es, wenn..."

„Ja", platzte Holly hervor und kicherte dann unsicher. „Ich bin übrigens Holly", versuchte sie möglichst selbstbewusst hinzuzufügen, während sie erneut errötete.

„Michael", gab er zurück und rutschte aus der Sitznische. Galant reichte er ihr eine Hand und zog sie nahe an sich, als sie aufstand. Die Wärme seines Körpers lag zwar kaum über ihrer eigenen Temperatur, doch seine Nähe erhitzte sie sofort. Ein Gemisch aus Wagemut, Erregung und Nervosität ließ sie wieder kichern, obwohl sie keinen Grund dafür sah, als er sie langsam aus dem Diner geleitete.

Vor der Tür blieben sie einen Moment stehen und Holly sah sich um. Immer noch war Holly von ihrem Schritt überzeugt, als könne sie damit ihre Unabhängigkeit feiern, aber sie wusste für einen Moment nicht, in welche Richtung ihr Hotel lag. Während sie noch versuchte sich zu orientieren, schlossen sich warme Hände um ihre Taille und Michael trat vor sie. Sie sah zu ihm auf, betrachtete sein anziehendes Gesicht, das amüsierte Glitzern in seinen grünen Augen. Dies hier war einfach. So unglaublich einfach. Einfach ein Mann und eine Frau ohne große Komplikationen.

Sie ließ den Blick zu seinem Mund schweifen und legte einladend den Kopf in den Nacken. Er reagierte sofort und senkte seine Lippen auf ihre. Sein Mund war warm und weich und der Kuss an sich war schön, aber irgendwie...

Bevor sie dieses Irgendwie näher definieren konnte, waren Michaels Lippen plötzlich verschwunden. Holly blinzelte und hob den Blick. Die Straße war leer. „Was zum Teufel...?" Erst als sie sich umdrehte, sah sie die beiden. Lukan drückte Michael gerade gegen eine Wand des Diners, seinen Unterarm gegen seine Kehle gepresst und zischte etwas. Sie hörte die Worte zwar nicht, doch sie nahm den warnenden Tonfall sehr wohl wahr.

Für einen Moment stand sie einfach verdattert auf dem Bürgersteig und starrte die beiden an. Michaels grüne Augen hatten sich geweitet, doch ein harter Zug um seinen Mund zeigte, dass er bei weitem nicht so ängstlich war, wie Holly bei ihrem ersten Treffen mit Lukan. Mit beiden Händen drückte er fest gegen den Unterarm an seiner Kehle und versuchte ihn fortzuschieben. Ein zweckloses Unterfangen.

Lukan versteifte sich nur noch mehr und rammte den Anwalt regelrecht in die Wand hinein.

„Lukan!", brüllte Holly plötzlich und ihre Erstarrung verpuffte. Wut erfüllte ihr Innerstes und ließ ihren Blick flackern, während sie auf den dunkelhaarigen Vampir zustürzte und ihn versuchte wegzureißen. „Hast du deinen Verstand verloren? Was zur Hölle tust du da?!"

Lukan warf ihr nur einen kurzen Blick zu und starrte sie dann an. Holly wich unwillkürlich zurück, als sie blanken Hass in seinen Augen sah. Seine sonst karamellbraunen Pupillen glühten fast gelb vor Wut und zeigten das fast tierische, instinktive Verlangen zu töten. Nichts kontrollierte seine Aggression, der er einfach freien Lauf ließ. Er würde Michael umbringen. Jetzt sofort.

Oh Gott.

„Lu-Lukan?", brachte sie schließlich mit zitternder Stimme hervor. Sie hatte schon zuvor Angst vor ihm gehabt, doch diese schneidende Panik, die jetzt durch ihren Körper rauschte war so absolut, dass sie sich zwingen musste stehen zu bleiben. Ihr Selbsterhaltungstrieb brach gewaltsam durch, als die den Mordwunsch in seinen Augen las. Ihre Beine begannen zu zittern, doch sie schaffte es, nach einem kleinen Schritt wieder stehen zu bleiben. „Lass ihn los", flüsterte sie stockend.

Lukan starrte sie immer noch bewegungslos an. „Er wird dich nicht anrühren", entschied er mit vibrierender Stimme. Sie klang dunkel und tierisch, als müsste er sich zwingen, die Worte aus seiner Kehle zu reißen.

Holly schluckte die Angst hinunter. „Okay", gab sie schnell zurück und hob die Arme. „Lass ihn einfach los."

Für einige Augenblicke rührte er sich nicht. Ein Schauer durchlief seinen Körper, als er schließlich den Blick auf den Mann richtete und ihn für einen Moment tief in die Augen sah. Alle Farbe wich als Michaels Gesicht, bevor Lukan ihn losließ und sein Körper an der Wand zusammensackte.

Holly wagte nicht nachzusehen, ob er in Ordnung war, sondern blieb stehen und starrte Lukan an. Der dunkelhaarige Vampir blickte einige Momente auf den Mann vor seinen Füßen herunter, als wolle er abschätzen, ob seine Warnung angekommen war, dann trat er langsam zurück. Mit jedem Schritt flaute Hollys Angst etwas ab, bis sie in der Lage war, wieder ruhig zu atmen. „Lukan?"

Er hob langsam den Kopf und öffnete seine Fäuste, während seine Schultern zusammensackten. Ein schmerzlicher Ausdruck legte sich auf seine Züge, der Hollys Herz zusammenkrampfen ließ. „Das ertrag ich nicht", flüsterte er erstickt und atmete zitternd durch. „Ich kann das einfach nicht, Holly. Ich hab's versucht."

Verwirrt sah Holly ihn an. „Was?" Wovon redete er?

„Kannst du... Kannst du vielleicht in der nächsten Zeit noch nicht..." Lukans Gesichtausdruck wurde noch gequälter, bis er verstummte. „Ich kann das noch nicht", begann er erneut und zeigte auf den Mann. „Bitte, Holly. Ich weiß, ich hab's nicht verdient, aber... Bitte..." Seine Stimme wurde noch rauer und Holly sah, wie sich Tränen in seinen Augen sammelten.