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Der Fetisch-Bauernhof 01

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"Die Hälfte der Schläge", sagte Johanna, verzerrt lächelnd, "habe ich wegen dir gekriegt. Papa muss dich wirklich sehr liebhaben."

Klara lachte auf.

Vinzenz erstarrte, der Maßkrug auf halber Strecke zu seinem Mund. Er hatte gar nicht darüber nachgedacht, als er die Strafe bemessen hatte. Er sah seine Frau an, und seine Frau sah ihn an. Liebe? Nach all den Jahren, nach allem, was sie durchgemacht hatten? Doch das war ein Thema, das er mit ihr allein besprechen musste.

"Ich habe gehört", sagte Johanna nach ihrem ersten Schluck, "du hast etwas gegen unser Hotel." Er wollte etwas sagen, doch sie hob die Hand. "Lass mich bitte aussprechen, ja?" Er winkte ihr weiterzureden.

"Ich hoffe", sagte sie, "dass der persönliche Teil der Gründe für deine Einstellung uns gegenüber ausgeräumt sind, und wir wie zwei Geschäftspartner über den Rest verhandeln können."

Ihre Worte waren sehr sachlich, doch er meinte, ein bisschen vom Aumann-Humor in ihren Augen aufblitzen zu sehen, auf den er früher immer stolz gewesen war. "Verhandeln?", fragte er. "Gut. Verhandeln wir."

"Ich habe von der 'Aktionsgemeinschaft Sauberes Inntal' gehört, die du ins Leben gerufen hast, um uns zu boykottieren."

"Dieses sogenannte —" er legte allen Ekel, dessen er mächtig war in seine Worte "— Hotel ist ein Schandfleck sondergleichen."

"Es wird nichts dort geschehen, was gegen die Gesetze verstößt", sagte Johanna leise. "Niemand wird dort gezwungen werden, etwas zu tun, was er oder sie nicht will. Es wird eine Art Freizeitpark."

"Mit Peitschen und Folterinstrumenten", spuckte er aus.

"Mit Rohrstöcken und Reitgerten", schoss sie zurück.

Vinzenz erstarrte. Er hatte sie gerade mit dem Rohrstock geschlagen. Und sie verglich das mit dem, was in diesem Puff passieren sollte?

"Unzucht!", schrie er ihr ins Gesicht.

"Freizeitbeschäftigung", gab sie zurück.

"Perversionen!"

"Und die gibt es in anderen Hotels nicht?" Sie feixte richtiggehend.

"Hurerei!", brüllte er.

"Wenn du das in der Öffentlichkeit sagst", meinte sie scharf, "schleppen wir dich vor den Kadi. Bei uns wird es keine Prostitution geben." Sie beugte sich vor und klatschte ihre flache Hand auf die Schreibtischplatte. "Auf gar keinen Fall."

Vinzenz, der sich halb erhoben hatte, ließ sich bei dem Knall zurück in seinen Sessel fallen.

Sie grinste. "Und nachdem die Beleidigungen ausgetauscht wurden, können wir ja über die ökonomischen Themen reden. Wir sind doch keine Konkurrenz für das Hotel Aumann."

"Ja? Ihr wollt zwanzig Zimmer anbieten. Das ist mehr, als es bisher in Annabrunn gibt. Und ich habe schon Probleme, meine vollzubekommen."

"Siehst du", sagte Johanna. "Das ist doch etwas, worüber wir verhandeln können. Hast dir auch unsere Preisliste angesehen oder nur den Flyer?"

Er runzelte die Stirn. "Wieso?"

Sie zog ein Blatt aus ihrer Jeans und legte es vor ihm hin. Er warf einen Blick darauf und zuckte fast zurück. "Wieviel?", keuchte er.

"Genau. Keiner von den Leuten, die für ein Wochenende bei uns mehr bezahlen als eine ganze Familie für zwei Wochen Vollpension bei dir, wäre je ins Hotel Aumann in Urlaub gekommen."

"Wer soll das denn bezahlen? Das ist doch irre!"

"Es gibt ein ähnliches Hotel in Amerika, dort bezahlen die Leute das Dreifache. Unsere Klientel sind Leute, die aus Frankfurt, Hamburg oder Berlin mit dem Privatflugzeug kommen. Keine Familien, die sich im Golf über die A8 hierher quälen. Wir sind dabei, mit einem Taxiunternehmen zu verhandeln, damit die einen Shuttleservice vom Mühldorfer Flugplatz zum Hotel einrichten. Voller Service." Sie lehnte sich zurück. "Wer die Woche über Millionen als Aktienhändler oder Vorstandsmitglied scheffelt, für den sind die paar Tausend für ein Wochenende ... Peanuts."

"Und diese 'Zusatzleistungen' ..." Vinzenz konnte es immer noch nicht fassen.

"Aber das ist doch nicht das wirklich Wichtige", sagte Johanna. "Keiner kann von Freitagmittag bis Sonntagabend ohne Unterbrechung vögeln." Sie schien es zu genießen, dass Vinzenz bei diesem Wort leicht zusammenzuckte. "Und wenn wir noch so viele Zusatzleistungen anbieten. Diese Leute werden spazieren gehen wollen, Golf spielen, Tennis, Reiten, Gleitschirmfliegen. Wir kreieren Einkünfte für eine Menge Selbständiger hier in der Gegend. Und die Leute lernen Annabrunn und die Umgebung kennen und wollen vielleicht auch mal zurückkommen, um hier Urlaub ohne unsere Angebote zu machen."

"Aber du hast gerade gesagt ..."

"Dass die Leute nicht mit einer gutbürgerlichen Familienpension zufrieden sind? Richtig."

"Das hier ist doch nicht Sankt Moritz."

"Ja? Ich weiß nicht, wie sich das entwickelt, aber es könnte nicht schaden, auch ein paar Hotelzimmer mit mehr als zwei Sternen in Annabrunn zu haben. Vor allem, wenn der Huberhof und Hotel Aumann füreinander Reklame machen, statt gegeneinander zu kämpfen."

"Johanna", seufzte Vinzenz. "Dem Hotel geht es nicht besonders gut. Ich kann das hier nicht renovieren."

Johanna lächelte seltsam. "Was ist der größte Ausgabeposten in deiner Bilanz?"

Er runzelte die Stirn. Jedes Hotel hatte denselben Posten: Personal. Die Saisonkräfte wurden immer teurer. Mindestlohn, Versicherungspflicht, Steuer, all das wog schwer. Zumal einheimische Kräfte die Arbeit nicht mehr tun wollten, und viele Gäste Personal, das ihre Sprache nicht verstand, ablehnten. Es war eine Kostenspirale ohne Ende. Kein Hoteldirektor konnte etwas dagegen tun. Und doch saß ihm gegenüber seine Tochter mit einem Grinsen auf dem Gesicht, als hätte sie den Stein der Weisen gefunden. Der Flyer fiel ihm wieder ein. "Roboter?"

Johanna zuckte die Schultern. "Hohe Investition, aber im Unterhalt noch nicht einmal die Hälfte des normalen Lohns. Und die Kerlchen arbeiten sechzehn Stunden am Tag, sieben Tage die Woche ohne zu murren."

"Ha!", gab er zurück. "Die Dinger laufen nur, wenn man sie pflegt."

"Und das ist der Grund, warum unsere jungvermählten Damen momentan mit ihren Babys im Bauch ohne Ehemänner zurechtkommen müssen. Lukas und Georg sind bei deVille zur Ausbildung."

deVille. Das war der Mann gewesen, den man bei der Hochzeit gesehen hatte. "Was habt ihr denn mit deVille zu tun?"

Johanna lachte laut auf. "Abgesehen davon, dass Lukas eigentlich dachte, Thomas deVille wäre sein Vater? Mein zukünftiger Schwiegervater ist Entwicklungsleiter bei Thomas und schläft regelmäßig mit dessen Frau und umgekehrt. Familienanschluss nennt man das wohl."

Vinzenz erstarrte. Nur langsam konnte sein langsam aber sicher überlastetes Gehirn diese Sätze entschlüsseln und priorisieren.

Zwei Worte hoben sich aus all dem Rauschen heraus. "Zukünftiger Schwiegervater?"

"Bernd Schuppach, Vater von Max und seinem Zwillingsbruder Frank?"

"Max Schuppach! Der dich hier im Hotel ..." in den Arsch gefickt hat. Die Worte wollten nicht über seine Lippen.

Johanna beugte sich vor. "... anal entjungfert hat? Genau der."

"Du-du willst ihn heiraten?"

"Wir lieben uns. Er hat ganz schön lange gebraucht, bis er es sich eingestanden hat, aber ich sage es ihm so oft, dass er es inzwischen auch glaubt."

Er wollte widersprechen, wollte seiner Tochter sagen, wie schrecklich er das fand, doch er sah ihr glückliches Lächeln und schwieg.

"deVille", nahm er seinen Gedankengang von vorhin wieder auf. "Roboter. Warum sollte ich hier investieren, wenn doch keines meiner Kinder das Hotel übernehmen wird."

"Papa!", sagte Johanna vorwurfsvoll. "Das habe ich doch nie gesagt. Du und Mama ihr seid doch noch jung. Ich habe nicht vor, mein ganzes Leben auf dem Huberhof zu bleiben. Fünf Jahre vielleicht, oder zehn. Ich kann mir gut vorstellen, dich irgendwann einmal abzulösen. Aber nicht jetzt."

"Jetzt leitest du lieber eine Lasterhöhle?"

"Vater", sagte sie ernst. "Du hast doch gar keine Ahnung, was wir vorhaben. Ich bin der Meinung, dass wir mit dem neuen Hotel Schwung in die Wirtschaft der Gegend bringen können. Und das sollte dir und den Leuten in deiner Arbeitsgemeinschaft nur recht sein. Was hältst du davon, wenn wir uns einmal treffen? Du, ich, deine Freunde, und ich bringe noch ein paar Fachleute mit. Wir lassen das Thema Sex außen vor und beschränken uns auf das Thema Wirtschaft."

Vinzenz nickte langsam. "Klingt nicht schlecht."

"Und wegen des Sex —" Johanna lächelte verschmitzt. "— wir veranstalten eine Vor-Eröffnungs-Party im Hotel, und ihr seid alle eingeladen. Bringt eure Frauen mit, und ihr könnt vielleicht noch etwas lernen."

"Kind!", brauste er auf. "Hüte deine Zunge."

"Entschuldige. Ich meinte nicht, dass wir irgendwelche Sexszenen vorspielen. Nur das ganze Thema 'Sado-Maso' präsentieren und diskutieren. Zeigen, dass wir durchaus beim 'sauberen Inntal' mitmachen können."

"Ich glaube nicht, dass deine Mutter an so etwas interessiert wäre."

"Frag sie. Vielleicht kann sie dich noch überraschen."

Vinzenz schüttelte langsam den Kopf.

"Ich habe noch eine Bitte", sagte Johanna. "Es geht um Maria ..."

Die Seltsame

Marias Leben änderte sich zweimal grundlegend. Sie hatte es nicht geplant, und beim ersten Mal war sie auch nicht gefragt worden.

Der erste Einschnitt kam im Alter von zehn Jahren, als ihre Mutter sie bei Familie Aumann in Obhut gab.

"Ich halte es einfach nicht mehr aus", hatte Mama gesagt. " Ich habe mit meinen drei Söhnen schon genug Probleme. Diese Göre stellt sich dumm und taub, und tut nie, was man ihr sagt. Sie will nicht lesen und schreiben lernen und ist aufsässig in der Schule."

Maria hatte sich gefragt, wieso Mama das glaubte. Maria hatte schon längst lesen und schreiben gekonnt, als sie in die Schule gekommen war. Also war alles, was die Lehrerin über sie behauptet hatte, schlichtweg gelogen. Und mit Lügnern hatte Maria noch nie etwas zu tun haben wollen. Lieber hielt sie den Mund.

Im Hotel Aumann hatte niemand gefragt, was sie konnte. Frau Klara hatte Maria erklärt, was ihre Aufgaben waren, nämlich die Zimmer in Ordnung bringen, sobald die Gäste unterwegs waren, und nach der Abreise die Bettwäsche wechseln und putzen. Maria würde kochen lernen und das Geschirr spülen.

Für Maria bedeutete Ordnung ihr Leben. Diese Aufgaben konnte sie erfüllen. Das war angenehm. Als sie älter wurde, bemerkte sie, dass die anderen Menschen anders waren als sie. Viel weniger ordentlich, das kannte sie schon von ihrer Mutter. Die anderen Menschen sagten aber auch oft Sachen, die sie gar nicht meinten. Sie gaben Antworten auf andere Fragen, als die, die gestellt worden waren. Und sie sagten die Unwahrheit.

Maria sah manchmal, wie andere Menschen ihre Gesichter verzogen, wenn sie etwas gefragt wurden. Oft war das der Moment, wo die Antwort nicht zur Frage passte. Sie hatte schon gelegentlich versucht, herauszufinden, was diese Grimassen bedeuteten, doch keiner hatte ihre Fragen verstanden. Irgendwann hatte sie es aufgegeben.

Maria hatte mit den Kindern der Familie Aumann gespielt, als sie noch ganz klein waren. Kinder waren viel leichter zu verstehen. Sie sagten immer, was sie dachten. Doch die Kinder wurden älter. Fräulein Johanna hatte mit sechs Jahren versucht, an ein hochstehendes Glas mit Marmelade zu kommen. Hätte sie Maria gefragt, hätte die ihr geholfen. Doch das tat sie nicht. Sie kletterte auf einen Stuhl, von da auf den Absatz des Küchenschranks und wollte mit einem Kochlöffel das Glas dorthin schieben, wo sie leichter drankam.

Bei dem lauten Knall kam Frau Klara hereingestürzt. "Was ist passiert?", rief sie.

Fräulein Johanna wies mit dem Finger auf sie. "Maria hat die Marmelade heruntergeworfen."

Maria starrte das Mädchen mit offenem Mund an. Wieso hatte sie das gesagt?

"Maria", sagte Frau Klara leise. "Geh bitte auf dein Zimmer."

"Ja, Frau Klara." Maria knickste und ging.

Als sie Fräulein Johanna das nächste Mal begegnete, rieb die sich den Hintern und fauchte Maria an: "Du bist schuld." Maria verstand das Verhalten nicht.

Fräulein Johanna wurde älter, ihre Handlungen noch unverständlicher. Sie blickte manche Hotelgäste seltsam an, ihr Lächeln wurde breiter, ohne dass es bis zu ihren Augen kam. Männliche Hotelgäste waren es, stellte Maria fest, und nur welche, die alleine im Zimmer wohnten.

Maria wollte sie fragen, doch Fräulein Johanna schickte sie immer weg.

Dann kam der Morgen, wo Maria Zimmer zwölf aufschloss, um es zu putzen, weil der Gast abgereist war. Das Licht funktionierte nicht. Das passierte manchmal. Maria öffnete die Vorhänge und verstand nicht, wie es kam, dass Fräulein Johanna nackt in dem Bett lag.

Sie verstand auch nicht, was Fräulein Johanna ihr sagen wollte, aber sie verstand, dass es an dem seltsamen Tuch über ihrem Mund lag. Maria hätte ihr es ja weggemacht, aber Fräulein Johanna wollte lieber, dass sie ihre Hände befreite, die auch mit diesem Tuch gefesselt waren. Fräulein Johanna war sehr unangenehm gewesen, als Maria ihr dann das Tuch abgemacht hatte.

Doch das war nicht der Tag gewesen, der Marias Leben zum zweiten Mal veränderte. Einhundertsieben Tage später war es geschehen. Maria hatte gerade ihre Arbeit beendet und war auf ihr Zimmer gegangen. Es klopfte.

"Maria, bist du da?" Das hörte sich wie Fräulein Johanna an, doch die war doch weg seit jenem Tag.

"Ja, ich bin hier."

"Darf ich reinkommen?"

Eine sehr seltsame Frage. Wenn das wirklich Fräulein Johanna war, hätte sie doch einfach die Tür aufmachen können. Sollte Maria jetzt "ja" oder "nein" sagen? Stattdessen stand sie auf und öffnete die Tür.

"Guten Tag, Fräulein Johanna", sagte sie.

"Maria, Liebes, es tut mir so leid."

Maria runzelte die Stirn. Liebes? Und "es tut mir leid" war ein Satz, den die anderen Menschen untereinander verwendeten. Zu Maria hatte das noch niemand gesagt. "Ich verstehe nicht."

"Darf ich reinkommen?"

Wieso wiederholte Fräulein Johanna die seltsame Frage? Oh! Maria hatte sie noch gar nicht beantwortet. Sie trat zur Seite. "Ja."

"Danke. Ich ..." Fräulein Johanna kam herein und schloss die Tür hinter sich. "Ich möchte mich entschuldigen." Sie verzog das Gesicht. "Du weißt wohl gar nicht, was ich will."

"Eine Entschuldigung", antwortete Maria, "oder Verzeihung ist im Wortsinne eine Ent-Schuld-igung, eine Form von Vergebung. Mit der Bitte um Entschuldigung gesteht jemand ein, dass eine Tat von ihm eine Verfehlung war. Im allgemeinen Sprachgebrauch ist eine Entschuldigung allerdings ebendiese Bitte."

"Was? Wo hast du das her?"

"Hatetepe-ess de-ee Punkt Wikipedia Punkt Org Schrägstrich Wiki Schrägstrich Entschuldigung."

Fräulein Johanna ließ sich auf das Bett plumpsen. "Du kannst die Wikipedia auswendig?"

"Nur einundzwanzigtausend und sechsundachtzig Artikel von drei Mill—"

"Ist schon gut. Ich kann mir die Zahl sowieso nicht merken. Du hast doch gar keinen Computer."

Maria wusste nicht, ob sie bestraft würde, wenn sie Fräulein Johanna die Wahrheit sagte, doch Maria hatte immer nur die Wahrheit gesagt.

"Ich gehe manchmal hinunter zum Nachtportier, wenn ich nicht schlafen kann. Er hat mir gezeigt, wie es geht."

Johanna hatte einen seltsamen Gesichtsausdruck. Maria hatte noch nie eine Antwort bekommen, wenn sie danach gefragt hatte, aber Fräulein Johanna hatte sich auch noch nie so benommen.

"Fräulein Johanna, was bedeutet dein Gesichtsausdruck?"

"Was?" Sie schluckte. "Ich ... Ich bin erstaunt über dich. Ich ... Ich wusste nicht ..." Sie holte tief Luft. "Maria, ich habe dich schlecht behandelt."

"Ja." Ein kleines Wort, und Maria wusste, dass es unangenehm werden konnte, diesen Satz zu bestätigen. Doch Fräulein Johanna hatte nicht ihr Gesicht verzogen, als sie das sagte.

"Kannst du mir vergeben?"

"Ja." Der Herr Pfarrer sprach immer von Vergebung. Deswegen hatte Maria auch das Wort in der Wikipedia gesucht. Und all die anderen Worte gefunden, die dazugehörten. Sie hatte vierundsiebzig Artikel lesen müssen, bevor die Aussagen Sinn ergeben hatten. Vergebung war etwas Richtiges. Fräulein Johanna war ein kleines Mädchen gewesen, das hatte damals Frau Klara versucht zu erklären, und nicht verstanden, dass zu lügen falsch war. Heute war sie eine Frau und verstand es nun wohl.

"Ich habe einen Wunsch", sagte Fräulein Johanna. "Kennst du den Unterschied zwischen Wunsch und Anweisung?"

"Ja." Und das, obwohl der Artikel in der Wikipedia sie mehr verwirrt hatte als ihr zu helfen.

"Ich wohne jetzt auf dem Huberhof. Kennst du den?"

"Oberer Weg Acht."

"Richtig. Wir ... Janina Huber bekommt ein Kind und Susanne Huber auch. Willst du auch auf dem Huberhof wohnen und dich um die Kinder kümmern, sobald sie da sind?"

"Ja."

"Einfach so?"

"Ich finde es angenehm, mich um Kinder zu kümmern, solange sie nicht lügen."

Fräulein Johanna zuckte zusammen. Dann lächelte sie. Sehr breit, und diesmal lächelten ihre Augen mit. "Das habe ich wohl verdient."

"Nein. Ich habe dir schon vergeben."

Fräulein Johanna holte tief Luft. "Das ist gewöhnungsbedürftig. Ich wusste nicht, dass du so gesprächig bist."

"Ich antworte, wenn man mich fragt. Die anderen Menschen fragen mich selten etwas. Du hast mir viele Fragen gestellt und ich habe sie alle beantwortet."

*

Am nächsten Tag zog Maria um.

Ihr neues Zimmer war seltsam. Das Haus, in dem es lag, war seltsam. Die Wände waren aus Glas. Johanna — Maria sollte sie nicht mehr "Fräulein Johanna" nennen — hatte es "Smartglas" genannt. Der Wikipedia-Artikel — Maria hatte jetzt einen eigenen Computer — war sehr technisch, aber Maria verstand, dass sie mit den Fingern an einer Stelle der Wand drücken und drehen konnte, um die Farbe zu verändern. Meistens hatte Maria ein ganz großes Fenster in ihrem Zimmer und eine rosa Wand außen herum. Maria mochte ganz große Fenster und sie mochte rosa, aber auch hellblau und grün. Die ganze Wand zum Fenster zu machen, war auch schön gewesen, doch Johanna hatte gesagt, es mache ihr Angst.

In Marias Zimmer gab es zwei Betten. Maria hatte auch im Hotel Aumann ein Zimmer mit zwei Betten gehabt, doch das zweite war immer leer gewesen. Maria hatte auch verstanden wieso. Andere Menschen fanden es anstrengend in Marias Nähe zu sein, genau wie es für Maria anstrengend war, in der Nähe anderer Menschen zu sein. Frau Klara hatte das auch verstanden, und so war das zweite Bett immer leer gewesen.

Im Glashaus gab es eine "Robotküche" und "Haushaltsroboter". Maria hatte die Artikel gelesen und verstanden. Sie hatte auch die "Gebrauchsanleitungen" gelesen, die Johanna auf ihren Computer geschickt hatte. Es war viel anstrengender gewesen als die Wikipedia, weil die Texte lang und kompliziert waren und es keine Links zum Anklicken gab. Aber Maria hatte auch diese Texte verstanden.

Sie brauchte jetzt nicht mehr zu kochen. Sie brauchte auch nicht mehr das Essen auf den Tisch zu bringen, aber sie tat es gerne. Sie war schneller als "Robert" oder "Susi". Und sie blieb nicht stehen, wenn ihre Batterie leer war. Robert hatte das einmal getan. Er hatte das Tablett fallen gelassen und alle Menschen hatten laut gelacht.

Niemand lachte über Maria. Die neuen Menschen, mit denen sie zu tun hatte, waren sehr freundlich, und keiner von ihnen verzog das Gesicht, wenn Maria eine Frage stellte. Janina hatte einen Jungen bekommen, der Paul hieß. Janina war sehr froh, wenn Maria sich um ihn kümmerte. Susanne wurde immer dicker. Sie würde auch bald ihr Kind bekommen, und dann hatte Maria sogar zwei kleine Kinder, um die sie sich kümmern durfte.

Es gab auch noch Doro. Doro war auch schwanger, aber bis zu ihrer Geburt würde es noch länger dauern. Doro hatte eine Ehefrau mit dem Namen Jessica. Jessica war auch schwanger. Maria hätte fast nicht gewagt zu fragen, wie das funktionierte ohne Mann. Sie kannte den Artikel über Schwangerschaft, und hätte beinahe den Text korrigiert. Doch Doro hatte es ihr erklärt. Jede von ihnen hatte einen anderen Mann gefragt, und der hatte die Befruchtung durchgeführt. Ganz einfach. Maria verstand, dass sie noch vieles nicht wusste, und weil sie keine Betten mehr machen musste und nicht putzen und nicht kochen, hatte sie viel mehr Zeit für die Wikipedia als früher. Inzwischen hatte sie elftausendachthundert weitere Artikel gelesen.