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Krieg und Liebe - Luftbrücke Berlin

Geschichte Info
Ein Flugboot-Pilot verliebt sich in eine dt. Kriegswitwe.
10.8k Wörter
4.75
11.1k
4

Teil 6 der 9 teiligen Serie

Aktualisiert 11/23/2023
Erstellt 06/22/2023
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Krieg und Liebe -- Die Berliner Luftbrücke und die Sunderland-Flugboote

© JoeMo1619 -- August 2023

Die Berliner Luftbrücke war die größte Versorgungsoperation aus der Luft aller Zeiten. In einer Zeit, in der alle westlichen Alliierten ihre Luftwaffen gegenüber dem 2. Weltkrieg massiv reduziert hatten, musste praktisch aus dem Nichts eine ausschließlich Lufttransportversorgung West-Berlins mit seinen 2,2 Millionen Einwohnern aufgebaut werden. Es mangelte an Transportflugzeugen, es mangelte an Piloten, es mangelte an Bodenlogistik sowohl in den westlichen Besatzungszonen als auch in West-Berlin. Trotzdem gelang es in einer beispiellosen Operation im Verlauf der 11 Monate anhaltenden Blockade West-Berlins die tägliche Transportleistung von wenigen hundert auf fast 7.500 Tonnen pro Tag zu steigern und somit den sowjetischen Versuch, die West-Berliner Bevölkerung auszuhungern und erfrieren zu lassen und einen Rückzug der Westalliierten aus ihren Stadtteilen zu erzwingen, scheitern zu lassen.

Die großen, viermotorigen Short Sunderland Flugboote spielten bei der Luftbrücke eine kleine, aber aufgrund ihre spezifischen Fähigkeiten sehr wichtige Rolle.

Hamburg-Finkenwerder, August 1948

RAF-Flight Lieutenant Fred Miller ging mit seinem Co-Piloten Harry MacIntosh die vorgeschriebene Startroutine seines Flugbootes durch, legte dann von der Pier des von der RAF besetzten alten deutschen Luftwaffen- und Marinestandortes in Hamburg-Finkenwerder ab und steuerte seine Short S.25 Sunderland Mark V ins freie Wasser der Elbe, um zum ersten Mal mit mehr als 10 Tonnen Ladung Richtung Berlin abzuheben. Er war erst zwei Tage zuvor mit fünf weiteren, ähnlichen Flugbooten der 205. Squadron der Royal Air Force von Singapur kommend in Hamburg gelandet. Diese riesigen Flugboote sollten möglichst schnell das Transportvolumen für die vor fünf Wochen begonnene Luftbrücke zur Versorgung West-Berlins steigern, insgesamt hatte die RAF dem die gesamte Luftbrückenoperation kommandierenden amerikanischen General William H. Tunner zwölf der riesigen Flugboote zugesagt, die sie gerade aus allen verfügbaren Stützpunkten des Empires nach Hamburg verlegten.

Beim ersten Briefing in Finkenwerder konnte Fred Miller eine ganze Reihe von ehemaligen Kameraden aus Kriegszeiten begrüßen, die zum Teil mittlerweile als Zivilpiloten bei verschiedenen britischen und ausländischen Fluggesellschaften flogen und sich auf den Aufruf der RAF nach erfahrenen Flugbootpiloten freiwillig zum Einsatz gemeldet hatten. Immerhin sollten die Flugboote im dreischichtigen Einsatz rund um die Uhr geflogen werden. Viele dieser Piloten-Kameraden waren im Krieg wie Fred Miller mit der zweimotorigen Catalina geflogen, hatten aber auch Flugerfahrung mit der deutlich größeren, viermotorigen Sunderland.

Während er sein fast 26 Tonnen schweres Flugboot auf die Mitte der Elbe steuerte, zuckten gleich eine ganze Reihe von Gedanken durch Freds Kopf. Er hatte fast fünf Kriegsjahre mit seinen Flugbooten gegen deutsche Ziele auf dem Atlantik und später japanische Ziele auf dem Indischen Ozean und im Pazifik gekämpft. Jetzt sollten er und sein Geschwader mithelfen, die über 2 Millionen eingeschlossenen und von jeglicher Landversorgung abgeschnittenen Berliner mit überlebenswichtigen Gütern aller Art zu versorgen. Am 24. Juni hatte die Sowjetunion nach sich steigernden Auseinandersetzungen mit den Westalliierten veranlasst, die Straßen-, Schienen- und Binnenwasserverbindungen West-Berlins mit den drei westlichen Besatzungszonen zu blockieren. Endgültiger Auslöser war die wenige Tage zuvor durchgeführte Währungsreform in den westlichen Zonen, die die bis dahin existierende, weitgehend wertlose Reichsmark durch eine kaufkräftige neue Währung, die Deutsche Mark, ersetzte und im Gegenzug die Verwaltung der sowjetischen Besatzungszone zwang, ebenfalls eine eigene Währung für ihr Gebiet einzuführen. Da die Westalliierten die neue, westdeutsche D-Mark auch in ihren Berliner Besatzungszonen einführten und die Anerkennung der neuen ostdeutschen Währung auf West-Berlin Gebiet ablehnten, kam es zur Blockade.

Fred Miller wusste von diesen Hintergründen an diesem strahlenden Augustmorgen noch relativ wenig. Seine Einweisungen durch die britische RAF-Generalität waren primär flugbezogen gewesen. Von West-Berlin und der beginnenden Luftbrücke wusste er zu diesem Zeitpunkt seinen Landepunkt auf der Havel sowie die unbedingt zu berücksichtigenden Randbedingungen der Luftkorridore von Hamburg nach Berlin auf dem Hinweg und von Berlin nach Hannover auf dem Rückweg. Und er wusste, dass er aufgrund der herausragenden Reichweite seines Flugbootes in Berlin nicht auftanken musste. Auch für seinen Co-Piloten war es der erste Flugeinsatz über Deutschland, nur ihr Navigator kannte Berlin aus der Luft von verschiedenen Bombereinsätzen während des Krieges.

Als Pilot von Catalinas und Sunderlands war Fred Miller ein absolutes Glückskind. In den langen Jahren seiner Fliegerpartnerschaft mit Flight Lieutenant Charles M. Watts als auch nach seiner eigenen Beförderung zum Flight Officer hatte er während des zweiten Weltkriegs nicht ein Besatzungsmitglied verloren. Auch in den drei Nachkriegsjahren, in denen er im Wesentlichen mit Hauptstandort in Koggala auf Ceylon und dann in Singapur in Süd-Ost-Asien geflogen war, hatte er keine Havarie verursacht, obwohl einige schwierige Landungen und Starts im offenen Ozean als auch bei den zahllosen Inseln der Region zu absolvieren waren. Hingegen war sein privates Glück eher bescheiden. Anders als Charles, der mit der ATA-Pilotin Patricia Justin, der einzigen britisch-kanadischen Catalina-Überführungspilotin, sein privates Glück gefunden hatte, war Fred den Krieg über ungebunden geblieben. Eine kurze Nachkriegsehe mit einer Jugendliebe scheiterte nach nur eineinhalb Jahren, weil er auch in Friedenszeiten mit seinem Flugboot ständig in der Luft und so gut wie nie zu Hause war.

Jetzt war Fred Miller 32 Jahre alt und hatte viele tausend Flugstunden in seinem Logbuch stehen. „Ich bin mit meinen Flugzeugen verheiratet", hatte er seinem Squadron Leader geantwortet, als dieser die Piloten für den Einsatz in Deutschland zusammensuchte. „Wo mein Flugzeug stationiert ist, bin ich zu Hause." Das war nun Hamburg, wobei er ähnlich wie alle Pilotenkameraden davon ausging, dass dieser Einsatz nur wenige Wochen dauern würde.

„Berlin den ganzen Winter über aus der Luft zu versorgen, dürfte unmöglich sein." Diese Beurteilung hörte er in den ersten Tagen oft genug. „Die Politiker müssen vorher eine Lösung finden."

Die erste Landung auf der Havel war genauso unkompliziert wie der Start auf der Elbe. Da die Marschgeschwindigkeit im Luftkorridor von Hamburg nach Berlin für alle Flugzeuge, egal welchen Typs, auf exakt 200 mph vorgeschrieben war, hatten die Sunderlands des Typs V, die bereits von vier 1.200 PS Pratt & Witney Triebwerken angetrieben waren, trotz ihrer riesigen Ausmaße keine Probleme, in den vorgeschriebenen Positionen des bereits im August minutiös geplanten Flugplans mitzufliegen. Über West-Berlin scherten sie dann in einer eigenen Flugbahn aus. Während die britischen Landflugzeuge auf dem RAF-Flugfeld in Gatow und die amerikanischen Transportflugzeuge in Berlin-Tempelhof landeten, war die Landebahn der Flugboote die langgestreckte Havel. Hier war nun alles anders als auf den landgestützten Flughäfen. Die Sunderlands waren reine Flugboote, mussten also auf dem Wasser entladen und gegebenenfalls beladen werden. Das geschah mit kleinen Schuten, die an der Hauptladeluke der Flugboote anlegten und die von Hand auszuladenden Pakete und Säcke übernahmen und dann schwer beladen zum Ufer fuhren.

Während des Landeanflugs auf die Havel flogen Fred Miller und Harry MacIntosh zum ersten Mal in ihrem Leben über ein deutsche Großstadt, denn bei ihrem ersten Landeanflug an der Elbe waren sie nur über den Fluss eingeschwebt. Es war jetzt mehr als drei Jahre her, dass der zweite Weltkrieg zu Ende gegangen war, aber der Anblick aus der Vogelperspektive war für beide Piloten immer noch nachhaltig beeindruckend.

„Mein Gott, ist die Stadt kaputt", rutschte es Fred heraus, als sie über Reinickendorf und Siemensstadt in eine scharfe Rechtskurve gingen, um dann die langgezogene Havel vor sich zu haben.

„Und in dieser Trümmerstadt leben allein im Westteil immer noch über 2 Millionen Menschen", antwortete Harry. „Wie wohnen die denn im Winter?"

Fred zuckte mit seinen Schultern. „Keine Ahnung. Aber die ersten beiden Winter nach dem Krieg waren in Europa bitterkalt, nur der letzte war etwas milder. Die müssen doch zu Hunderten, wenn nicht zu Tausenden erfroren sein."

„Und jetzt haben die Russen ihnen die Versorgung abgeklemmt. Es geht nur noch aus der Luft."

„Dann wollen wir mal hoffen, dass die Politiker vor dem Winter eine Lösung ausgehandelt haben. Die Stadt in diesem Zustand aus der Luft zu versorgen, halte ich für ausgeschlossen." Freds Einschätzung hatte einen grimmigen Tonfall. „Oder wir müssen ganz viele Großflugzeuge einsetzen."

„Aber wo sollen die landen?" Harry war ebenfalls skeptisch. „Ich habe in Hamburg eine Zahl von 7.500 Tonnen pro Tag gehört."

„Wahnsinn!" Fred rechnete. „Das wären 750 Maschinen mit unseren 10 Tonnen Nutzlast pro Tag. Wenn wir mal einfach geradeaus rechnen und jede Maschine zwei komplette Umläufe am Tag schafft, bräuchten wir 350 bis 400 Großflugzeuge. Das wären 15 Großraumflugzeuge pro Stunde, also alle vier Minuten eine Landung und ein Start. Wahnsinn!"

Dann wurde es im Cockpit ruhig, weil sich die Sunderland kurz vor ihrer ersten Landung befand. Diese war dann bei ruhigem Sommerwetter nun wirklich kein Problem.

Die Handentladung der knapp zehn Tonnen Speisesalz und anderer Nahrungsmittelsäcke in die beständig zwischen dem Uferpier und der Sunderland pendelnden Schuten dauerte über zwei Stunden, in denen die vier Besatzungsmitglieder weitgehend untätig in ihrem Flugboot saßen. Immerhin hatten die großen Flugboote aufgrund ihrer früheren langen Einsatzzeiten über den Ozeanen eine ordentliche Toilette und eine Miniteeküche an Bord.

Um so größer war ihr Erstaunen als mit der zweiten Schute eine jüngere, hellblonde Frau mit einem Picknick-Korb an Bord kam, die je eine Thermoskanne mit heißem Kaffee und heißem Tee, sowie etwas Gebäck und belegte Brote bei sich hatte. „Wir sind vom Offizierskasino des RAF-Gatow und für die Versorgung der Flugboot-Crews zuständig", erklärte die Frau in Englisch mit sehr deutschem Akzent. „Ist echter Kaffee. Und englischer Tee. Eine große Seltenheit in Berlin."

Die vier Besatzungsmitglieder waren glücklich. Der Kaffee, die Kekse und die frischen belegten Brote waren eine mehr als sehr willkommene Ergänzung der mitgebrachten Sandwiche.

„Das stärkt für den Rückweg", freute sich Fred nach den ersten Schlucken heißen Kaffees.

„Weckt schlafende Lebensgeister", ergänzte Harry. „Können wir gut gebrauchen."

„Es freut mich, das Ihnen unser Service gefällt", kommentierte die Frau freundlich. „Ist ein kleines Dankeschön für ihren Einsatz. Und ist meine erste Arbeit bei der Royal Air Force."

„Was haben Sie vorher gemacht?" Fred war neugierig geworden. Die junge Frau mit den um den Kopf geschlungenen hellblonden Zöpfen war sehr schlank, soweit man das durch ihr weites, aber dünnes Sommerkleid beurteilen konnte.

„Wie so viele Frauen: Trümmerfrau, Steine klopfen und sortieren. Gab immerhin einen kleinen Zusatzlohn zu den Lebensmittelkarten. So habe ich meine Tochter und mich durchgefüttert."

Fred wusste im ersten Moment nicht, wie er antworten sollte. Durch seine Jahre im Fernen Osten hatte er einen ziemlichen Abstand zu den europäischen Verhältnissen sowohl in Großbritannien als auch auf dem Kontinent und wusste somit auch wenig von den alltäglichen Lebensumständen der Menschen, erst recht in Deutschland. „Ich glaube, die deutschen Frauen haben in den letzten Jahren schwer schuften müssen."

„Oh, ja", seufzte die Frau. „Viele haben wie ich ihren Mann verloren und müssen heute zusehen, wie sie ihre Familien allein durchbekommen. Insofern habe ich noch Glück, dass ich nur eine Tochter habe. Das sind dann nur zwei Mäuler, die gestopft werden müssen."

„Ist ihr Mann noch in Gefangenschaft?" Fred hatte registriert, dass die Frau einen schmalen, einfachen Goldring trug.

„Offiziell vermisst. Seit 1944, in Russland. Mehr weiß ich nicht."

„Die Hoffnung stirbt zuletzt." Fred ärgerte sich über diesen Spruch in dem Moment, in dem er ihn ausgesprochen hatte. Er wollte eigentlich etwas Tröstendes sagen, fühlte aber sofort, dass er das falsch formuliert hatte. Er sah zwei kleine Tränen aus den Augenwinkeln der Frau herausquellen.

„Schön wär's. Aber meine Hoffnung ist in den letzten Jahren immer kleiner geworden. Ich träume nicht mehr von ihm. Und das würde ich tun, wenn er noch am Leben wäre."

Fred hätte sie jetzt am liebsten in den Arm genommen und getröstet. Aber das empfand er angesichts der äußeren Umstände vor der Tür zum Cockpit der Sunderland als absolut unpassend.

Die dritte Schute war unterdessen fertig beladen, mit der die junge Frau zurück an Land fahren wollte. Sie packte die Thermoskannen und die vier Becher in ihren Korb und wandte sich zum Gehen.

„Wie heißen Sie?" fragte Fred plötzlich.

Die junge Frau drehte sich noch einmal um „Hildegard Müller, aber alle nennen mich nur Hilde."

Fred lachte. „Dann haben wir fast denselben Nachnamen. Ich bin Fred Miller." Er reichte ihr seine Hand.

Hilde ging die zwei Schritte auf ihn zu, ergriff seine ausgestreckte Hand und schüttelte sie. „Hat mich sehr gefreut. Fliegen Sie vorsichtig und bleiben Sie gesund. Wir brauchen Männer wie Sie! Dringender denn je." Dann verließ sie das Flugboot, drehte sich noch einmal um, während die Schute sich zum Uferpier bewegte und winkte.

Dies Bild der Abschied winkenden Hilde hatte sich in Freds Kopf photographisch festgesetzt. Auf dem Rückflug über den Luftkorridor Richtung Hannover und dann auf Bizonen-Gebiet Richtung Hamburg kam es ihm immer wieder vor die geistigen Augen. „Fliegen Sie vorsichtig und bleiben Sie gesund', hatte sie ihm mit auf den Weg gegeben. Er versprach, stumm in sich hinein murmelnd, genau dies zu tun.

Als Fred und seine Crew am nächsten Morgen ihre Sunderland übernahmen, war diese bereits mit weiteren zehn Tonnen Salz, Hefe und einigen Chemikalien beladen. In den ersten Wochen würden die Flugboote nur bei Tageslicht auf der Havel landen können, bis dort im Wasser entsprechende Leuchten installiert waren. Ansonsten wäre die Verwechslungsgefahr mit dem nahe gelegenen Landflughafen in Gatow insbesondere bei zusätzlich schlechten Sichtverhältnissen in der Nacht zu groß gewesen. Auch musste die Radarleitführung für die Flugboote auf dem Wasser etabliert werden, im Moment landeten die riesigen Maschinen im Sichtflug, was den erfahrenen Piloten bei Tageslicht keine Probleme bereitete.

„Ob es heute wieder so freundlich servierten Kaffee gibt", überlegte Fred in einer ruhigen Flugphase gegenüber seinem Co-Piloten.

„Ich hoffe sehr. Der Kaffee gestern war besser als in unserem improvisierten Casino in Hamburg. War richtig belebend."

„Dann schauen wir mal." Beim Landeanflug auf die Havel hatte Fred wieder das Bild der winkenden Hilde vor seinem Auge, das wenig später in ein reales Bild überging. Erneut mit ihrem Picknickkorb ‚bewaffnet' erschien sie pünktlich mit der zweiten Schute an Bord, erfüllte mit lächelnder Freundlichkeit ihre Versorgungspflicht und unterhielt die vier Besatzungsmitglieder so gut es mit ihren beschränkten Englischkenntnissen ging. In einem ruhigen Augenblick erwischten sich Fred und Hilde aber, wie sie sich losgelöst von dem Trubel um sie herum auf zwei Meter Distanz, aber trotzdem sehr tief und fast intim in die Augen schauten.

„Durch die Augen schaut man in die Seele", zuckte in diesem Moment durch Freds Kopf, aber Hilde hielt seinem Blick stand und ließ ihn in ihre Seele blicken.

Dieser Augenblick -- ein Wort im wahrsten Sinne des Wortes - mag vielleicht nur fünf Sekunden lang gewesen sein, aber er fühlte sich für beide wie eine halbe Ewigkeit an.

Fred räusperte sich verlegen, als sie ihren offenen Blickkontakt beendeten und ließ sich erst einmal aus der Thermoskanne Kaffee nachschenken. „Sind Sie immer am Vormittag hier draußen?"

„Ja. Ich kann nur Frühschicht arbeiten, weil ich dann eine Freundin habe, die auf meine Kleine aufpasst. Inge arbeitet abends, dann schlafen ihre beiden Kinder bei mir und sind nicht allein." Hilde erzählte nicht, dass sie mit ihrer Freundin mehr als ein Jahr in einer Bar für britische Soldaten zusammengearbeitet hatte, bevor sie normale Arbeit auf dem RAF-Flughafen bekommen hatte. Es war eine sehr weibliche Soldatenbetreuung, der erstaunlich viele deutsche Fräuleins nachgingen, um sich und gegebenenfalls ihre Familien durch die schweren Zeiten durchzubringen. Und mit der Währungsreform einerseits und der zunehmenden Zahl von alliierten Soldaten anderseits nahm diese Form körperlicher Truppenbetreuung wieder rasant zu. Es lohnte sich, zumindest in finanzieller Hinsicht. Hilde hatte über ihre Freundin schon zweimal das Angebot erhalten, wieder in die Bar zurückzukehren. Aber die belastende Erinnerung an ihre schwere Geschlechtserkrankung im letzten Winter, die sie wahrhaftig außer Gefecht gesetzt hatte und die erst im Frühjahr ausgestanden gewesen war, hatte sie bisher zurückgehalten.

Fred und seine Crew flogen im August täglich nach Berlin, ohne Pause. Immer mit der Frühmaschine und fast immer wurden sie von Hilde auf der Havel empfangen und versorgt. Lediglich sonntags war ein anderes Fräulein mit der Flugcrewbetreuung betraut. Mit jedem Gespräch wurden Fred und Hilde vertrauter, sofern die äußeren Umstände in der Sunderland diese Vertrautheit überhaupt zuließ. Aber die Momente, in denen sie sich stumm und seelentief in die Augen schauten, wurden mehr und länger. Nur der klare Befehl des Oberkommandierenden der Luftbrücke, dass die Flugcrews während des Entladevorgangs ihr Flugzeug nicht verlassen durften, um keine Verzögerungen beim Rückstart zu provozieren, galt auch für die Flugboote.

Anfang September, nach fast vier Wochen ununterbrochenen Einsatzes, nur unterbrochen durch einen Tag Wartungsarbeiten in Finkenwerder, erging mit dem morgendlichen Pilotenbriefing eine Wetterwarnung: „Im Laufe des mittags und nachmittags ist über Berlin mit schweren Gewittern mit plötzlichen Sturmböen zu rechnen."

Fred und Harry, die durch ihre lange Einsatzzeit in Asien viel Erfahrung mit Gewittern hatten, zuckten mit ihren Schultern. „Wird halt ein wenig ruckeln", kommentierten die beiden Piloten die Wetterwarnung. Die Prognose war korrekt, beim Landeanflug am späten Vormittag standen am Himmel bereits die Wolkentürme, die die Gewitterthermik anzeigten. Und im Anflug auf die Havel gab es einige heftige Turbulenzen, die Freds Sunderland mit kräftigen Fontänen regelrecht auf dem Wasser aufklatschen ließ. Die erste Schute kämpfte sich bereits vollgeladen gegen den auffrischenden Wind und den zunehmenden Wellengang zum Ufer. Mit der zweiten Schute kam tatsächlich Hilde mit ihrem Picknickkorb an Bord, um ‚ihre Lieblingscrew', wie sie mittlerweile Fred und seine drei Besatzungsmitglieder bezeichnete, zu versorgen. Kaum war sie an Bord gegangen, als Fred durchs Cockpit und dann durch die Ladetür am Richtung Westen die schwarze Wetterfront sah, die sich mit Blitz und Donner schnell der Havel näherte. Er befahl den Abbruch der Entladearbeiten und die schnellstmögliche Rückkehr der erst halb beladenen Schute zum Ufer.

„Luken schließen", lautete sein Kommando. „Alle Mann auf Posten." Als er vom Cockpit nach hinten sah, stand dort immer noch Hilde mit ihrem Korb. „Was machen Sie denn noch hier?"

„Ich habe die Schute verpasst. Als ich runter kam, war die Ladetür schon geschlossen und die Schute weg."

„Gut. Suchen Sie sich unten einen sicheren Platz und setzen sie sich hin. Es wird gleich etwas ungemütlich, befürchte ich."

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