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Der lila Duft des Lavendel

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„Genau genommen ja", meint Onkel Roland.

„Dann müssen wir das richtigstellen", beharrt Vera.

„Ich habe ihn im Testament mit der Hälfte des Chateaus bedacht", erklärt mein Onkel.

Damit überrascht er mich und Vera gleichermaßen. Diesmal ist sie es, die meine Hand aufmunternd drückt. Sie schaut mich an und ich sehe die Anspannung in ihren Augen. Sie kann es kaum erwarten, dass ich etwas sage.

„Und mich fragt hier keiner?", ist meine Antwort. Mit der haben offensichtlich beide nicht gerechnet. Das sehe ich an ihren Reaktionen.

„Wie meinst du das?", ist Vera ganz unsicher.

„Bis vor wenigen Minuten wusste ich nichts von der ganzen Geschichte. Plötzlich weiß ich, warum mein Vater und mein Onkel nicht mehr miteinander gesprochen haben und jetzt soll ich auch noch ein halbes Weingut erben. Leute, ich bin Arzt und lebe in Frankfurt", versuche ich meine Verwirrung zu erklären.

„Tom, bitte versteh doch, ich wollte dich nicht überrumpeln. Mir bleibt nicht mehr viel Zeit und ich wusste nicht, ob du rechtzeitig kommst, damit ich es dir erklären kann", verteidigt sich mein Onkel.

„Bei Gott, Roland, ich bin Euch beiden nicht Böse. Ich finde nicht gut, was du damals getan hast. Ich kann allerdings nachvollziehen, dass du keinen anderen Ausweg gesehen hast. Ich finde es auch sehr lobenswert von dir, dass du mir alles erklärt und mich im Testament bedacht hast. Dazu gehört viel Mut.

Aber ob ich das Erbe annehme oder alles Vera überlasse, kann und will ich nicht auf der Stelle entscheiden. Dafür habe ich zum Glück noch einige Tage Zeit. Genau um das möchte ich mich jetzt erstmal kümmern", sage ich und verlasse das Krankenzimmer.

Vera und Onkel Roland schauen mir überrascht nach. Vera will aufspringen und mir nacheilen, aber mein Onkel hält sie zurück.

Kapitel 3

Ich bin wirklich keinem von beiden böse. Nicht meinem Onkel und Vera schon gar nicht. Sie trägt ganz bestimmt keine Schuld an dem, was damals vorgefallen ist. Außerdem hat es mit einer Zeit zu tun, die schon lange vorbei ist. Die Hauptakteuer sind gestorben oder liegen im Sterben. Wozu also alte Wunden aufreißen?

Ein viel größeres Problem ist für mich, ob ich ein halbes Weingut als Erbe annehme. Das kann ich mir im Augenblick ehrlich nicht vorstellen. Was soll ich damit? Ich verstehe nichts vom Wein. Außer vom Trinken und da auch nicht allzu viel.

Im Augenblick interessiert mich viel mehr der Gesundheitszustand meines Onkels. Deshalb mache ich mich auf die Suche nach dem behandelnden Arzt, damit er mir Auskunft geben kann. Nach einigem Suchen finde ich den zuständigen Doktor, der auf mich einen sehr kompetenten Eindruck macht.

Er erzählt mir, dass mein Onkel Darmkrebs hat und sein Zustand irreversibel sei. Er kämpfe gegen die Krankheit an, aber letztendlich könne er den Kampf nicht mehr gewinnen. Er würde noch ein oder höchstens zwei Wochen leben.

„Ist es zwingend notwendig, dass er im Krankenhaus bleibt? Könnte er auch zu Hause gepflegt werden?", erkundige ich mich.

„Die Tochter ist doch nie in der Lage, den Mann zu pflegen. Auch wenn sie es gerne würde. Sie hat weder die Ausbildung dazu noch die Kraft", meint der Arzt nach einigem Zögern.

„Ich bin Arzt und ein Mann zudem. Wenn ich dabei bin, wäre die Situationen eine andere?", frage ich.

„Dann könnte man eine Pflege zu Hause eventuell ins Auge fassen. Sind sie so lange hier?", erkundigt sich der Arzt.

„Ich habe noch ein paar Tage Urlaub und ich denke, die könnte ich nicht sinnvoller nutzen, als einem alten, sterbenskranken Mann seinen letzten Wunsch zu erfüllen", antworte ich.

„Was ist, wenn es mehr als ein paar Tage sind? Dann muss Herr Führmann wieder zurück ins Krankenhaus", gibt er zu bedenken.

„Ich habe genügend Resturlaub, um auch noch eine oder zwei Wochen dranzuhängen. Das dürfte kein Problem sein."

„Sie wissen schon, auf was Sie sich einlassen. Sie sind schließlich Arzt."

„Ich weiß, was auf mich zukommt", bestätige ich.

„Na dann, hätte ich keine Bedenken", erklärt er.

„Fein! Vielen Dank. Machen Sie bitte die Papiere fertig und könnten Sie auch so freundlich sein, einen Krankenwagen zu rufen. Ich informiere währenddessen meinen Onkel und meine Cousine", ersuche ich den Arzt. Dieser macht sich auch gleich auf den Weg.

Ich kehre zurück ins Krankenzimmer. Dort sehe ich, wie Vera ihren Stiefvater eng umschlungen hält. Es ist ein unglaublich rührender Moment. Sie liebt ihn wirklich, das ist mehr als offensichtlich. Ich lasse den beiden einen Moment der Zweisamkeit und gehe erst auf sie zu, als Vera mich bemerkt und sich von ihrem Vater trennt.

„Pack die Sachen zusammen. Wir fahren nach Hause", sage ich zu Vera.

„Aber ich würde gerne noch ein wenig bleiben. Bist du uns doch böse?", erkundigt sie sich unsicher.

„Aber nein, wir fahren alle drei nach Hause. Der Arzt macht gerade die Papiere fertig und der Rettungswagen wird auch gleich da sein", lächle ich sie an. Ich hoffe wirklich, ihr und meinem Onkel damit eine Freude zu bereiten.

„Wie? Auch Papa kommt mit?", ist Vera ganz verdattert.

„Ja, das habe ich doch gesagt", grinse ich von einem Ohr zum anderen.

„Die Ärzte haben doch immer davon abgeraten", ist sie immer noch verwundert.

„Nun ja, du weißt doch, Ärzte unter sich", verrate ich noch nicht alles.

„Wie soll ich denn alleine meinen Vater pflegen?", wirft sie ein. Sie ist traurig, denn ihr wird bewusst, dass sie es nicht schaffen kann.

„Wer sagt denn, dass du ihn alleine pflegen musst. Ohne ärztliche Aufsicht geht da gar nichts."

„Welcher Arzt?", versteht sie zunächst nicht, was ich andeute. Erst mit der Zeit checkt sie langsam. „Du etwa? Wie lange bleibst du?"

„Nun ja, ich werde wohl gezwungen sein, so lange zu bleiben, wie nötig. Hoffentlich noch sehr lange", schmunzle ich.

Vera schaut mich ganz ungläubig an, kommt dann aber rasch auf mich zu und fällt mir um den Hals. Sie bricht in Tränen aus. Es bedeutet ihr ganz offensichtlich sehr viel, dass ihr Vater die letzten Tage zu Hause verbringen kann.

„Danke, das werde ich dir nie vergessen", flüstert sie mir ins Ohr.

Dann löst sie sich aus der Umarmung, wischt die Tränen ab und schaut mir mit ihren bernsteinfarbenen Augen direkt in meine. Ihr Blick ist unglaublich intensiv. Ich habe das Gefühl, als würde er mich durchbohren, als würde sie mir geradewegs in meine Seele schauen.

„Du bist ein guter Mensch. Du tust das, obwohl du gerade erfahren hast, dass mein Vater deine Familie um die Hälfte des Weingutes betrogen hat", staunt sie.

„Lassen wir doch die alten Zeiten ruhen. Sie haben schon zu viel Streit und Zwietracht gebracht. Wir sind eine neue Generation und sollten nach vorne blicken."

„Das zeugt von Größe", antwortet Vera. Sie umarmt mich noch einmal.

Diesmal legt sie ihren Kopf in meine Halsbeuge. Es ist eine sehr vertraute Geste. Ich kann deutlich ihren Atem an meinem Hals spüren, ihre Wärme. Ich kann den Duft ihrer Haut einatmen.

„Danke", haucht sie.

Sie löst sich von mir, als der Arzt und die Besatzung des Krankenwagens ins Zimmer kommen.

„Na, Herr Führmann, haben Sie extra Ihren Neffen gerufen, damit Sie uns entkommen", meint die Schwester lachend. Auch sie war ins Zimmer gekommen.

„Nein, Schwester Theresia, ich wusste nicht einmal, was er vorhat. Aber ich freue mich wirklich riesig, dass ich noch einmal das Chateau sehen und dort die kurze Zeit verbringen kann, die mir noch bleibt. Das hat nichts damit zu tun, dass ich mit Ihrer Pflege nicht zufrieden gewesen wäre", gesteht ihr mein Onkel.

Das Strahlen in seinen Augen spricht Bände. Er freut sich sichtlich und das freut wiederum mich. Warum soll ich alten Geschichten nachhängen? Das alles hat schon viel zu viel Unheil gebracht.

Ich halte mich zurück und lasse die Männer vom Rettungsdienst sowie Vera die wenigen Sachen packen und meinen Onkel auf die Trage legen. Zuerst gibt der Arzt noch Anweisungen und leitet die Vorbereitungen, dann kommt er auf mich zu und gibt mir einige Ratschläge für die Pflege zu Hause. Auch eine ganze Menge Medikamente überreicht er mir. Einige muss mein Onkel regelmäßig einnehmen, andere sind nur für den Notfall gedacht.

„Wer fährt im Rettungswagen mit?", will einer der Sanitäter wissen.

Vera schaut mich unsicher an. Sie weiß nicht, was sie sagen soll. Ich sehe ihr aber an, dass sie gerne mitfahren würde.

„Na los, gib mir den Autoschlüssel und fahr du mit. Auf dem Transport braucht er mich nicht. Da sind im Ernstfall die Sanitäter da", fordere ich sie auf.

„Aber du hast es möglich gemacht", wendet sie ein.

Ich nehme sie in den Arm und gebe ihr einen Kuss auf die Haare. Sie schaut mich so unglaublich dankbar an, dass ich mich einen Moment wirklich zurückhalten muss, sie nicht auch auf die Lippen zu küssen.

„Das passt schon, mach dir keine Gedanken", ermuntere ich sie. Dann strecke ich ihr die offene Hand hin, damit sie mir den Autoschlüssel gibt. „Nun mach schon!"

Sie gibt mir den Schlüssel und schaut mir dabei noch immer in die Augen. Dann stellt sie sich blitzschnell auf die Zehenspitzen und haucht mir einen Kuss auf die Lippen. Das alles geht so schnell, dass ich gar nicht reagieren könnte. Im Nu sind ihre Lippen auf den meinen, ich habe das Gefühl, ihre warmen, feuchten Lippen zu spüren und dann sind sie auch schon wieder verschwunden. Doch es fühlt sich unglaublich gut an.

Sie schenkt mir noch schnell ein verlegenes Lächeln und verschwindet blitzschnell aus dem Zimmer. Sie folgt ihrem Onkel, der gerade aus dem Zimmer geschoben wurde. Ich bleibe einen Moment wie angewurzelt stehen. Ich realisiere nur langsam, was gerade vorgefallen ist. Um nicht ganz doof auszusehen, mache auch ich mich auf den Weg und folge den beiden. Ich beobachte noch, wie mein Onkel in den Rettungswagen verladen wird und wie sich hinter Vera die Türen schließen.

Dann mache ich mich schnell auf den Weg zum Auto und fahre dem Rettungswagen hinterher. Auf der Fahrt habe ich Zeit, über die Geschehnisse nachzudenken. Da ist einerseits das, was mir mein Onkel gestanden hat und da ist vor allem der Kuss, den mir Vera auf die Lippen gehaucht hat. Fühlt sie sich zu mir hingezogen oder war es reine Dankbarkeit?

Auf der kurzen Fahrt komme ich zu keinem Ergebnis. Einmal vor Ort angekommen, wird es dann hektisch. Wir waren bei unserer Abreise nicht darauf vorbereitet, dass wir Onkel Roland mitbringen. Dementsprechend chaotisch gestaltet sich die Ankunft. Vera ist ganz aus dem Häuschen und weiß nicht recht, was sie als erstes tun soll.

„Wir setzen Onkel Roland hier in den Liegestuhl. Ich denke, nach der langen Zeit im Krankenhaus tut ihm ein wenig frische Luft ganz gut. Vera hol´ bitte eine Decke, damit er nicht kalt hat. Danach haben wir Zeit, sein Zimmer herzurichten", ergreife ich die Initiative.

Vera schaut mich dankbar an und rennt los. Mit Hilfe der Sanitäter verfrachte ich Onkel Roland in den Liegestuhl und decke ihn mit der Decke zu, die Vera bringt. So ist er erst mal versorgt.

„Darf ich auch ein Glas Wein trinken?", erkundigt sich mein Onkel.

„Aber Onkel", tadelt ihn Vera.

„Im Krankenhaus war es Schwester Theresia, die mich herumkommandiert hat, hier ist es Vera", grinst mein Onkel.

Ich kann ihm deutlich ansehen, wie glücklich er ist, endlich wieder zu Hause zu sein. Davon zeugen auch seine gute Laune und sein Hang zu Späßen.

„Ein Glas wird ihn schon nicht umbringen", schmunzle ich. Dafür ernte ich prompt einen tadelnden Blick von Vera.

„Hast du gehört, was der Herr Doktor gesagt hat", neckt mein Onkel. Vera entspannt sich und scherzt nun auch selbst.

„Aber nur eines.", schränkt sie ein.

Vera eilt ins Haus. Zu gern erfüllt sie seinen Wunsch. Schließlich weiß sie, dass er es zu schätzen weiß, seinen eigenen Wein nochmal trinken zu können. Als er das Glas Rotwein sieht, hat mein Onkel einen glückseligen Ausdruck im Gesicht.

„Danke, danke, danke. Ich habe nicht mehr zu hoffen gewagt, dass ich noch einmal von meinem Wein trinken kann", meint er. Er nimmt ganz andächtig einen Schluck.

„Wie könnte man einem Mann so etwas verbieten?", frage ich Vera. Dabei schmunzle ich. Sie steht neben mir und schmiegt sich an mich.

„Kommst du einen Moment allein zurecht? Ich würde Vera helfen, das Zimmer herzurichten", sage ich zu meinem Onkel.

„Das kann ich auch alleine", wehrt Vera ab.

„Die Wäsche ist deine Sache, ich muss schauen, ob sonst alles passt", bestehe ich darauf.

„Geht nur. Ich bin hier glücklich und lauf Euch nicht davon", meint Onkel Roland.

Ich gehe mit Vera ins Haus. Während sie schon die Treppe hinaufgehen will, schaue ich mich im Erdgeschoss um.

„Gibt es hier kein Zimmer?", erkundige ich mich.

„Nur ein altes Gästezimmer. Da müsste ich erst sauber machen", antwortet Vera. Sie dreht sich auf der Treppe zu mir um.

„Von da aus könnten wir ihn leichter vor das Haus bringen. Ich denke, das würde er sich wünschen und das würde ihm auch gut tun."

„Meinst du er schafft das noch?", ist Vera unsicher.

„Ich weiß es nicht. Kann sein, dass wir ihn noch öfters vor das Haus setzen können, kann aber auch sein, dass es nur ein oder zweimal ist. Er wird sich mit Sicherheit über jedes Mal freuen."

„Na gut, komm mit", meint Vera. Sie geht voraus in ein Zimmer, das sich im hinteren Teil des Hauses befindet.

Das Zimmer ist groß und hell. Es ist freundlich eingerichtet und ich könnte nicht sagen, dass es unordentlich wäre. Ich kontrolliere das Bett, ändere leicht die Einstellungen, so dass Onkel Roland besser darin liegen kann und helfe Vera beim Einbetten.

„Geh zu Papa, ich muss noch sauber machen", fordert mich Vera auf.

„Na gut. Übertreib es nicht mit der Sauberkeit", necke ich sie. Ich drehe mich um und will den Raum gerade verlassen, da spüre ich ihre Hand an meiner Schulter, die mich zurückhält.

Ich drehe mich um und schaue sie an. Ohne ein Wort zu sagen legt Vera ihre Arme um meinen Hals, stellt sich auf die Zehenspitzen und legt ihre Lippen auf die meinen. Es ist eine sehr zärtliche Geste. Aber diesmal ist es kein flüchtiger Kuss, diesmal bleibt sie mit ihren Lippen auf den meinen und ihre Zunge verlangt Einlass. Überrascht öffne ich meinen Mund.

Veras Zunge beginnt ganz sachte meine Mundhöhle zu erforschen. Allmählich erwache auch ich aus meiner Starre und lasse mich auf das Spiel ein. Es entwickelt sich ein langer und sehr zärtlicher Kuss. Plötzlich löst sich Vera von meinen Lippen. Während sie sich umdreht sehe ich noch, dass sie ganz rot ist.

„Jetzt geh!", fordert sie mich auf.

Ich verstehe nicht ganz, was gerade passiert ist. Ich kann nur vermuten, dass es ihr etwas peinlich ist, dass sie ihren Gefühlen freien Lauf gelassen hat. Offenbar war es spontan. Es war unglaublich schön.

„Es ist so schön hier", meint Onkel Roland. Bevor er mich bemerkt, stehe ich einige Zeit im Türrahmen und schaue nachdenklich über die Landschaft, die sich vor uns ausbreitet. Die Nachmittagssonne heizt ordentlich ein. Unter den Bäumen vor dem Haus ist jedoch sehr angenehm.

„Es ist wirklich ein außergewöhnliches Fleckchen Erde. Hier habe ich mich immer wohlgefühlt", antworte ich ehrlich.

„Na dann, die Hälfte gehört Dir", meint er auffordernd.

„Ich weiß nicht" antworte ich ausweichend.

„Vera mag dich auch. Das sehe ich. Noch nie hat sie einen Mann so angesehen", meint Onkel Roland. Er zwinkert dabei verschwörerisch mit einem Auge.

„Sie ist meine Cousine", wehre ich ab.

„Ach was, Ihr seid nicht verwandt", winkt er ab.

Es entsteht eine längere Pause. Ich hänge meinen Gedanken nach. In nicht einmal vierundzwanzig Stunden ist so viel geschehen und das könnte mein Leben für immer verändern. Einerseits gefällt mir der Gedanke, mit Vera hier zu leben, andererseits würde das heißen, ich müsste meinen Beruf an den Nagel hängen.

„Überlege es dir! Ich wäre froh drüber. Dann wäre auch Vera nicht so allein, wenn ich nicht mehr bin", fährt er fort.

Wir schweigen beide erneut eine ganze Weile. Ich will nicht über seinen Tod sprechen und ich will mich nicht zu einer Entscheidung drängen lassen. Ich habe bisher nie mit dem Gedanken gespielt, mein bisheriges Leben aufzugeben. Dazu gefällt es mir zu gut.

„Danke, dass du mich aus dem Krankenhaus geholt hast. Jeder Tag auf meinem geliebten Chateau ist ein gewonnener Tag. Das im Krankenhaus kann man nicht mehr Leben heißen", bricht er nach längerer Zeit das Schweigen.

„Mehr kann ich für dich nicht tun, leider. Aber so können wir zumindest ein wenig Zeit zusammen verbringen", antworte ich. „Wir können nichts an der Vergangenheit ändern, aber wir können die Gegenwart genießen."

Onkel Roland sagt längere Zeit nichts, doch in seinem Blick liegt große Dankbarkeit. Er genießt es sichtlich, noch ein paar Tage auf seinem geliebten Landgut verbringen zu können.

Wenig später kommt Vera wieder aus dem Haus. Sie erkundigt sich, ob es ihrem Vater gut geht und setzt sich dann neben mich. Wir sitzen eine Weile schweigend da. Nur ihre Hand sucht die meine und hält sie fest.

„Langsam wird es Zeit, ins Bett zu gehen", sage ich schließlich.

„Ich bin auch müde", gibt mein Onkel zu. „Es ist schön wieder einmal richtig müde zu sein."

Wir bringen ihn mit vereinten Kräften in sein Zimmer. Er lächelt, als wir ihm erklären, warum wir ihn nicht in sein altes Zimmer im ersten Stock tragen. Er ist dankbar dafür.

Anschließend helfe ich Vera beim Kochen. Onkel Roland bekommt eine leichte Suppe, während sie für uns einen Fisch im Ofen zubereitet. Zuerst bekommt mein Onkel sein Abendessen, danach geht er schlafen.

Kapitel 4

„Und, hast du dich schon entschieden?", will Vera wissen. Sie spricht leise. Ihre Unsicherheit ist deutlich zu spüren. Wir sind dabei, den Fisch auf dem Teller vor uns von den Gräten zu befreien.

„Was meinst du?", frage ich. Ich checke nicht sofort, was sie meint. Ich konzentriere mich auf das Essen.

„Bleibst du hier?", kommt zögerlich von ihr.

„Ich habe die ganze Woche Urlaub und kann noch einige Tage anhängen. So lange es eben braucht", antworte ich ehrlich.

„Ich meine nicht nur jetzt. Ich meine für immer", wird sie noch unsicherer.

„Du meinst, ob ich die Hälfte des Landgutes übernehmen möchte? Nein, eher nicht", antworte ich ehrlich.

Vera schweigt betreten. Während des ganzen Essens sprechen wir kein Wort und es herrscht eine merkwürdige Stimmung.

„Bin ich dir echt egal?", sagt Vera schließlich. Wir haben inzwischen fertig gegessen und schieben die Teller von uns. Ihre Frage trifft mich tief im Herzen. Es liegt so viel Schmerz und Enttäuschung darin. Auch eine dicke Träne rollt über ihre Wange.

„Wie kannst du das nur denken. Du bist mir nicht egal! Das hast du hoffentlich bemerkt. Ich kann doch nicht mein ganzes Leben über den Haufen schmeißen. Was soll ich mit einem Weingut machen? Ich verstehe nichts vom Weinanbau", antworte ich ehrlich.

„Aber ich verstehe davon genug für uns beide? Das mit dem Wein kann ich übernehmen", wirft Vera verzweifelt ein.

„Ja und was soll ich dann machen?", frage ich überrascht.

„Du könntest Arzt sein, oder die Vermarktung übernehmen oder sonst etwas tun. Ich denke, wir würden schon eine sinnvolle Lösung finden, wenn du nur willst", schluchzt sie. Ihre Enttäuschung ist unglaublich groß.

Spontan nehme ich Vera in den Arm. Ohne Zögern kuschelt sie sich an mich. Sie wirkt wie eine verlorene Seele. Ich möchte nicht, dass sie sich an mich bindet, nur aus Angst, alleine zu bleiben.

„Darf ich dir meinen Lieblingsplatz zeigen? Dort gehe ich manchmal hin, wenn ich nachdenken muss", meint sie plötzlich.

„Ja, der würde mich interessieren", gestehe ich ehrlich.

Vera nimmt eine dünne Jacke und wirft sie sich über die Schultern. Dann hackt sie sich bei mir ein und wir gehen einen Traktorweg entlang. Das Weingut liegt auf einer kleinen Anhöhe und so kann man ins Tal hinunterschauen. Der Blick ist wunderschön. Wir gehen eine ganze Zeit lang schweigend nebeneinander her. Sie hält sich dabei an meinem Arm fest.

„Hier ist es", sagt sie. Wir haben eine Stelle erreicht, die am Hang liegt und einen schönen Ausblick auf die darunter liegende Ebene bietet. Vor uns fällt das Gelände steil ab. Drei oder vier Bäume wachsen auf dem kleinen Platz vor dem Abgrund. Der Ort hat tatsächlich etwas Mystisches an sich. Eine ganz besondere Stimmung überkommt mich.