Swipe, um zu sehen, wer jetzt online ist!

Krieg und Liebe - Tanganjikabahn

Geschichte Info
WW1: Ein deutscher Eisenbahningenieur liebt eine Afrikanerin.
17.1k Wörter
4.75
12k
10

Teil 9 der 9 teiligen Serie

Aktualisiert 11/23/2023
Erstellt 06/22/2023
Teile diese Geschichte

Schriftgröße

Standardschriftgröße

Schriftabstand

Standard-Schriftabstand

Schriftart Gesicht

Standardschriftfläche

Thema lesen

Standardthema (Weiß)
Du brauchst Login oder Anmelden um Ihre Anpassung in Ihrem Literotica-Profil zu speichern.
ÖFFENTLICHE BETA

Hinweis: Sie können die Schriftgröße und das Schriftbild ändern und den Dunkelmodus aktivieren, indem Sie im Story-Infofeld auf die Registerkarte "A" klicken.

Sie können während unseres laufenden öffentlichen Betatests vorübergehend zu einem Classic Literotica® Erlebnis zurückkehren. Bitte erwägen Sie, Feedback zu Problemen zu hinterlassen oder Verbesserungsvorschläge zu machen.

Klicke hier
JoeMo1619
JoeMo1619
233 Anhänger

© JoeMo1619 -- August 2023

Vorwort:

Die ‚Krieg und Liebe'-Kurzgeschichten finden erfreulicherweise große Zustimmung bei einer ständig wachsenden Leserschaft. Ganz herzlichen Dank an alle Leser und Leserinnen. Eure Reaktionen, insbesondere die vielen Bewertungen, die mir sehr bei der Bewertungstroll-Abwehr helfen, sind eine großartige Motivation für weitere Fortsetzungen, wobei ich mit dieser Geschichte historisch ein wenig zurück in die Zeit vor und während des ersten Weltkriegs und das Zeitalter der Kolonialismus gehe. Ein zugegebenermaßen heißes Thema, wobei es für mich als Deutsch-Schotten faszinierend zu beobachten ist, wie die Deutschen mit ihrer vergleichsweise kurzen Kolonialgeschichte umgehen. Der Kontrast zu Briten und Franzosen, aber auch Spaniern, Portugiesen und Holländern könnte nicht größer sein, obwohl deren Kolonialgeschichte mehrere Jahrhunderte länger andauerte.

Angesichts der heutigen, teilweise absurden öffentlichen Diskussion über den Rassismus des imperialen Zeitalters (siehe Umbenennung der Berliner Mohrenstraße) habe ich ganz bewusst darauf verzichtet, mich diesem Trend anzuschließen. Es wäre historisch absolut verkehrt, wenn man mit dem historischen Wissen der heutigen Zeit, moralisierende oder bewertende Kommentare in eine historische Geschichte einweben würde. Das wäre Geschichtsfälschung, der Imperialismus aller europäischen Kolonialmächte folgte eben einem rassistischen Menschenbild. Ich folge dieser Linie auch konsequent in meinen (weniger erotischen) historischen Romanen. Ich vermeide aber genauso bewusst abwertende, rassistische Worte, die vor vierzig Jahren bei meinen eigenen Reisen durch Afrika durchaus noch gang und gebe waren.

Die Geschichte:

Seit meiner Kindheit faszinierten mich Eisenbahnen. Was nicht so überraschend war, da mein Vater als Technischer Direktor der Königlichen Preußischen Staatseisenbahn in der Bahndirektion Bromberg, der Bezirkshauptstadt der preußischen Provinz Posen, tätig war. Geboren als sein dritter Sohn am 27. Juli 1880 wurde ich wenige Tage später auf den Namen Andreas Henschel in der neu erbauten evangelischen St. Pauls-Kirche an der Danziger Straße getauft. Die Bromberger Eisenbahn-Direktion war zu diesem Zeitpunkt als Verwaltungszentrum der von Anbeginn an staatlichen preußischen Ostbahn bereits über dreißig Jahre alt, mein Vater hatte seine gesamte Berufslaufbahn dort verbracht und war einer der Väter des massiven Eisenbahnbaus im Osten des Königreichs Preußen.

Das evangelische Gymnasium im Bromberg schloss ich ohne größere Probleme mit dem Abitur ab, aber auch ohne besonderen Glanz. Anschließend leistete ich meinen Wehrdienst als Einjährig-Freiwilliger beim Eisenbahn-Regiment Nr. 1 in Berlin ab und wurde für befähigt gehalten, trotz der fehlenden Adelszugehörigkeit zum Reserveoffizier ausgebildet zu werden. Ich blieb anschließend zum Maschinenbaustudium in Berlin und immatrikulierte mich an der Königlich Technischen Hochschule, die ich viereinhalb Jahre später als Diplom-Ingenieur abschloss. Nach zwei weiteren Jahren in der Lokomotivfertigung von Borsig wechselte ich 1907 zur Preußischen Staatseisenbahn und wurde stellvertretender Leiter des Bahnbetriebswerkes in Königsberg.

Mit diesem Arbeitsplatzwechsel heiratete ich meine (erste) Ehefrau Margarethe, nur um sie nach etwas mehr als einem Jahr gemeinsam mit unserer ersten Tochter zu beerdigen. Sie hatten beide ihre Geburt nicht überlebt. Ich brauchte mehr als ein halbes Jahr, um über diesen Verlust so weit hinwegzukommen, dass ich wieder über meine eigene Zukunft nachdenken konnte. Mein dreißigster Geburtstag 1910 sollte für mein weiteres Leben schicksalshafte Konsequenzen haben. Mit seinem Gratulationsschreiben wies mein Vater in einem Anhang darauf hin, dass die Ostafrikanische Eisenbahngesellschaft OAEG mit Unterstützung des Gouverneurs Freiherr von Rechenbach und des für die gesamte Eisenbahnplanung der Kolonie zuständigen Reichskommissars Geheimer Baurat Franz Allmaras händeringend nach berufserfahrenen Eisenbahningenieuren suchte, die den für die kommenden Jahre geplanten, massiven Ausbau und Betrieb des ostafrikanischen Schienennetzes vor Ort verantworten würden. „Vielleicht ist dies die beste Gelegenheit für Dich", schrieb mein Vater, „über Deinen schmerzhaften familiären Verlust hinwegzukommen."

Die Gespräche in der Berliner Hauptverwaltung über meine Bewerbung bei der OAEG waren innerhalb von wenigen Wochen abgeschlossen. So schiffte ich mich Anfang Oktober in Hamburg auf einem Dampfer der Deutschen Ost-Afrika-Linie mit dem Ziel Daressalam ein und sah meiner nächsten Zukunft mit einer sehr persönlichen Mischung aus Neugierde, einem unbestimmten Freiheitsgefühl und einer Vorfreude auf ein berufliches wie privates Abenteuer entgegen.

In Daressalam angekommen stellte ich als erstes fest, dass mich ein mehr als ungewohntes Spätherbstwetter empfing: warm, regnerisch und praktisch windstill. Die Luft stand wie eine feuchte Wand.

„Ist das Wetter hier immer so?" fragte ich den Betriebsdirektor der OAEG, bei dem ich mich zum Dienstantritt meldete.

„Ja", grinste er mich an. „Hier an der Küste ist in der Regel zehn Monate Waschküchenwetter, mit regelmäßigen Gewittern unterbrochen." Er deutete auf ein paar Gummistiefel in der Ecke seines Büros. „Das ist hier an der Küste die mit Abstand beste Fußbekleidung, wenn Sie ihr Haus oder ihr Büro verlassen. Den Matsch kann man mit Wasser abwaschen, zudem halten sie die Füße trocken."

„Gut. Wird meine erste Anschaffung werden."

Wir führten ein einstündiges, sehr freundschaftliches Gespräch über die aktuelle Lage der OAEG und ihre zahlreichen Probleme. Direktor Huber war glücklich, seinen technischen Stab um einen berufserfahrenen Eisenbahningenieur zu verstärken. „Sie werden feststellen, Herr Henschel, dass wir bei weitem nicht genug Ingenieurpersonal haben. Erfreulicherweise sind Sie ohne Familie gekommen, das erhöht ihre Flexibilität und Einsatzfähigkeit."

Wir vereinbarten, dass ich bis zum Jahreswechsel in der OAEG-Direktion in Daressalam arbeiten würde und wir dann gemeinsam über meine weitere Verwendung entscheiden würden. Zum Abendessen wurde ich von Direktor Huber direkt in den Deutschen Club eingeladen. „Wir sind hier rund 4.000 Deutsche in dieser Kolonie, dazu kommen rund 1.200 andere Europäer. Hier in Daressalam sind wir noch nicht einmal eintausend Deutsche, da sind der Deutsche Club und der Gouverneurspalast die wichtigsten Treffpunkte der deutschen Bevölkerung. Sie kommen am besten gleich mit, weil Sie auf die Weise sehr schnell alle wichtigen Herren in Daressalam kennenlernen."

Drei Tage später stellte mich Direktor Huber im Deutschen Club Gouverneur von Rechenbach vor. Es entspann sich bei Kaffee, Rheinwein und sehr gutem deutschen Weinbrand ein ausgesprochen freundliches Gespräch, das plötzlich eine erstaunliche Wendung nahm, als der Gouverneur registrierte, dass ich als Leutnant der Reserve im Eisenbahnregiment Nr. 1 gedient hatte.

„Was haben Sie mit unserem jungen Herrn Diplom-Ingenieur vor, Herr Direktor Huber?" sprach er diesen unmittelbar an.

Mein Direktor zuckte zuerst mit den Schultern. „Noch nichts endgültig entschieden. Herr Henschel arbeitet sich derzeit in die Planungen der Mittellandbahn westlich von Tabora ein. Wir denken, dass wir von Daressalam bis Tabora in eineinhalb Jahren im Regelbetrieb fahren, dann fehlen uns aber immer noch rund vierhundert Kilometer bis zum Tanganjikasee."

„Wir müssen schneller werden, Herr Direktor. Sie haben", dabei schaute er mich direkt an, „Verstärkung durch einen preußischen Eisenbahnoffizier, der zugleich Diplom-Ingenieur ist. Warum starten Sie nicht baldmöglichst in Kigoma und bauen sich von beiden Richtungen vorwärts?"

„Primär wegen der Materialfrage, Eure Excellenz. Die Schienen kommen per Schiff aus der Heimat."

„Und alles andere, bevor die Schienen gelegt werden?" Ich registrierte sofort, dass dem Gouverneur, der in Berlin aufgrund seiner Leidenschaft für Investitionen in Verkehrsverbindungen auch „der eisenköpfige Rechenberg" genannt wurde, der Arbeitsfortschritt der OAEG und der für den Bau verantwortlichen Philipp Holzmann AG zu langsam war. „Wir stehen wirklich unter Druck, den Tanganjikasee als Handelsschwerpunkt unter deutsche Vorherrschaft zu bringen und nicht den Belgiern und Engländern zu überlassen. Wir haben wirklich große Ideen für die Entwicklung des Westens unserer Kolonie."

Direktor Huber führte eine verbale Abwehrschlacht gegen den Gouverneur und wies immer wieder auf die massiven Hindernisse der Geologie und der klimatischen Bedingungen hin, die der Eisenbahnbau in Deutsch-Ostafrika zu überwinden hatte.

Da der Gouverneur noch einen Abendtermin wahrnehmen musste, wurde unser Gespräch an dieser Stelle abgebrochen. „Kommen Sie beide doch am Donnerstag zu mir ins Büro", sagte er zum Abschied. „Wir müssen das Gespräch über Ihren richtigen Einsatzort unbedingt fortsetzen. Ich denke, Ihre Zuwanderung nach Deutsch-Ostafrika gibt uns erheblich Zusatzmöglichkeiten."

Der zweistöckige, schneeweiße Gouverneurspalast war in der Tat ein beachtliches Bauwerk. Beide Stockwerke waren umrundet von offenen, umlaufenden Säulengängen, die die Fenster sowohl gegen die Sonne als auch gegen den häufigen Regen abschirmten und somit für etwas kühlere Atmosphäre im Inneren sorgten. Bei dem anberaumten Treffen drei Tage später waren neben Gouverneur von Rechenberg, seinem Privatsekretär -- einem auffällig gut aussehenden blonden Mann -- auch Oberstleutnant Kurt von Schleinitz, seit dem niedergeschlagenen Maji-Maji-Aufstand der Kommandeur der Schutztruppe für Ostafrika und sein Adjutant anwesend.

Nach einer kurzen Vorstellungsrunde kam der Gouverneur ohne Umschweife auf den Punkt. „Herr Direktor Huber, Herr Henschel, wir haben nach unserem erfreulichen, aber leider zu kurzem Gespräch bereits ein Vorgespräch innerhalb der politischen und militärischen Führung der Kolonie geführt. Aus diesem Grund nimmt auch der Kommandeur unserer Schutztruppe an diesem Gespräch teil." Er schaute jetzt den Oberstleutnant an, der sofort das Wort ergriff.

„Unsere Schutztruppe mit ihren rund 400 Offizieren und 2.600 Mann ist in 14 Kompagnien gegliedert, deren sechste Kompagnie auf drei Standorte entlang des Tanganjikasees verteilt ist. Dies sind Ujiji, Rutschugi und ganz im Süden Bismarcksburg, was bedeutet, dass diese Kompagnie auf mehr als 500 Kilometer Uferfläche und Hinterland verteilt ist. Erfreulicherweise sind die afrikanischen Stämme in dieser Region vergleichsweise friedlich und freundlich, an dem großen Aufstand vor sechs Jahren waren sie nicht beteiligt. Andererseits sind die Uferregionen des Tanganjikasee an der Westseite von Belgisch-Kongo und im Süden vom britischen Rhodesien verwaltet, die auf dem See durchaus im direkten Wettbewerb zu uns agieren. Insofern hat die 6. Kompagnie auch Aufgaben der Ufersicherung wahrzunehmen."

„Und hier kommt jetzt das kombinierte Interesse der zivilen und der militärischen Führung unserer Kolonie zusammen", ergriff jetzt wieder der Gouverneur das Wort. „Die Mittellandbahn wird die erste direkte und leistungsstarke Verbindung zwischen Daressalam am offenen Meer und Kigoma am Tanganjikasee darstellen. Wir versprechen uns davon einen gewaltigen Vorteil gegenüber unseren Konkurrenzmächten. Neben der Eisenbahnverbindung wollen wir deshalb in einem zweiten Schritt moderne Dampfschifffahrt auf dem See einführen. Die deutschen Plantagenbesitzer, die sonst durchaus im politischen Gegensatz zur städtischen Bevölkerung und den hier ansässigen Händler stehen, begrüßen diese Vorhaben mit großer Zustimmung."

Mir dämmerte langsam, worauf dieses Zusammentreffen zusteuerte.

Der Gouverneur und der Oberstleutnant schauten nun wechselweise Direktor Huber und mich an. „Wir wollen Ihnen heute unseren ausdrücklichen Wunsch antragen, dass Herr Diplom-Ingenieur Andreas Henschel, der zudem die Auszeichnung eines Leutnants der Reserve in seinem Lebenslauf vorweisen kann, zum frühestmöglichen Zeitpunkt in Kigoma seinen Dienstsitz nimmt, dort alle Vorbereitungen für die OAEG mit Bau des Bahnhofs, der Pieranlage am See, des Bahnbetriebswerks und so weiter trifft und den Bau von Kigoma Richtung Osten so weit wie möglich vorantreibt. Zugleich wollen wir Leutnant der Reserve Henschel in die Struktur der 6. Kompagnie eingliedern, denn der in den nächsten Jahren stark aufblühende Hafen von Kigoma benötigt auch Schutztruppenangehörige vor Ort, die die örtliche Polizei bei ihrer Aufgabe unterstützen."

Das war klar und unmissverständlich. Direktor Huber und ich sagten zu, den Wunsch kurzfristig und wohlwollend zu prüfen und anschließend einen Zeitplan und/oder einen Gegenvorschlag zu unterbreiten. Nach etwas mehr als einer halben Stunde war das Gespräch beendet.

„Sind Sie bereit, nach Kigoma zu gehen und diese Doppelaufgabe zu übernehmen?" fragte mich Direktor Huber bereits auf dem Rückweg zur Eisenbahndirektion. „Mir hat der Vorschlag des Gouverneurs gut gefallen. Er löst gleich mehrere Probleme auf einmal und macht sie quasi zum Kleinfürsten am Tanganjikasee."

Über die Einstufung als ‚Kleinfürst' musste ich zunächst lachen. Aber mir war auch klar, dass ich als oberster OAEG-Angestellter im Westen der Kolonie, zudem mit Investitionsgeldern für vielfältige Bauvorhaben ausgestattet, ein bedeutender Mann sein würde. „Wenn ich ehrlich bin, Herr Direktor, bin ich in die Kolonien für genau eine derartige Aufgabe gegangen. Ich kenne Kigoma nicht, so wie ich mit Ausnahme von einem kleinen Teil dieser Stadt noch überhaupt nichts von Deutsch-Ostafrika kenne. Eine Frage habe ich aber bereits. Haben sie irgendwelche Informationen über das Klima in Kigoma?"

Herr Huber lachte nun seinerseits. „Besser zu ertragen als hier, Herr Henschel. Ist alles Hochland im Westen, der See selbst liegt bei rund 800 Höhenmetern, die Berge am Ostufer nördlich von Kigoma gehen bis auf 1800 Meter rauf. Regnet zwar auch sehr regelmäßig, aber es ist nicht ganz so heiß und schwül wie hier an der Küste."

„Viel Tropenwald dort?"

„Ja und nein. Ich bin selbst nie am Tanganjikasee gewesen. Aber nördlich und östlich von Kigoma gibt es insbesondere in den höher gelegenen Regionen viele Tropenwaldflächen. Sehr gutes Holz für unsere Bahnschwellen als auch für diverse Bauwerke, auch wenn wir wegen des Regens und der Feuchtigkeit Steinbauten bevorzugen."

„Spannend." Ich holte tief Luft. „Wie viele Deutsche gibt es in Kigoma?"

Direktor Huber zuckte mit den Schultern. „In der ganzen Region vielleicht ein paar Dutzend, im allgemeinen Plantagenbesitzer. Bekannt sind der Graf und die Gräfin von Cleve, von denen man hier im Deutschen Club allerlei spannende Geschichten hört."

„So?"

„Ach, ich bin kein Mann für Klatschgeschichten, Herr Henschel. Für uns ist die wohl sehr große Plantage besonders als Holzlieferant wichtig. Sowohl zum Bau als auch hinterher als Brennstoff für unsere Lokomotiven. Kohle gibt es hier nicht, da müssen wir uns schon mit einheimischem Brennstoff versorgen. Aber das haben sie ja schon im Bahnbetriebswerk hier gesehen."

„Ja. Wenn man aus Deutschland kommt, erst einmal ungewöhnlich. Aber hat halt den Riesenvorteil, dass man sehr viel weniger Asche auf dem Rost liegen hat."

„Und sie verschlackt nicht. Das macht das Leben für die Heizer auf der langen Fahrt einfacher."

Eine Woche später berichtete Direktor Huber dem Gouverneur und dem Oberstleutnant, dass ich zum April des kommenden Jahres die Aufbau- und Betriebsleitung in Kigoma übernehmen würde. Bis dahin würde die Direktion alle Bauplanungen für Bahnhof, Betriebsgebäude und Gleisanlagen fertiggestellt haben und mir zur Ausführung mitgeben. Beide Herren begrüßten die Entscheidung, Oberstleutnant von Schleinitz kündigte zudem an, sich rechtzeitig vor meiner Abreise mit mir zusammenzusetzen. „Ich werde versuchen, Sie bis dahin zum Premierleutnant befördern zu können", kündigte er noch an. „Ich denke, das wird klappen, insbesondere wenn wir Sie nicht bezahlen müssen, weil dass die OAEG übernimmt."

Am dritten Adventswochenende gab es im Deutschen Club ein großes Vorweihnachtsfest mit Tanz und anderen Vergnügungen. Für mich als jungem Witwer die erste Gelegenheit, mir die heiratsfähige Weiblichkeit der Koloniehauptstadt und ihrer Umgebung einmal näher und unverbindlich anzuschauen. Natürlich war für mich eine Adventsfeier bei 30°C und schwül-feuchtem Wetter ziemlich gewöhnungsbedürftig, da zu diesem Zeitpunkt in Bromberg, Berlin und Königsberg häufig schon der erste bleibende Schnee gefallen war und es ständig kälter wurde. Aber ich hatte mich für den Kolonialdienst entschieden, das gehörte somit dazu.

Während des Adventsballs amüsierte ich mich tatsächlich ausgezeichnet. Ich lernte eine Menge neuer Familien insbesondere aus dem Umland der Hauptstadt kennen, die die Gelegenheit nutzten, ihre heiratsfähigen Töchter zu präsentieren und Ausschau nach passenden Bräutigamen zu halten. Ich wurde als jetzt 31jähriger Witwer ein wenig als Exot angesehen, insbesondere weil in der deutschen Gemeinde mittlerweile bekannt war, dass ich in Kürze Richtung Westen an den See umziehen würde. Aber ich konnte nicht umhin, das inspizierende Interesse insbesondere von einigen Müttern zu registrieren, wenn diese den Eindruck hatten, dass ihre Töchter auch ein gewisses Interesse zeigten. Ich selbst hatte aber die klare Erkenntnis, dass für irgendwelche erneuten Ehegedanken nur junge Frauen im Alter zwischen 17 und 19 in Frage kamen. Unverheiratete 20jährige oder gar noch älter waren nicht anwesend oder es gab sie hier in der Kolonie nicht, weil sie bis dahin schon verheiratet (worden) waren.

Nachdem ich das Weihnachtsfest auf Einladung der Familie Huber verbracht hatte, gab es zum Silvesterabend erneut einen Ball im Deutschen Club. Leider bekräftigte sich mein erster Eindruck.

„Ist ja wirklich nur sehr junges Gemüse am Markt", philosophierte ich nach Mitternacht mit Sekondeleutnant von Haren, dem Adjutanten des Oberstleutnant, mit dem ich mich ein wenig angefreundet hatte. Wir hatten beide mittlerweile einiges getrunken.

„Stimmt uneingeschränkt", pflichtete er mir bei. „Wenn man nach Liebeserfahrung sucht, wird man nur unter Indern oder Afrikanern fündig", grinste er. „Hier im Deutschen Club gibt es nur liebe, unerfahrene Jungfrauen." Wir prosteten uns erneut zu, dann setzte er aber nach. „Sie gehen ja in Frühjahr nach Kigoma, lieber Henschel. Wenn sie auf Gräfin von Cleve und ihre Umgebung treffen, werden sie feststellen, dass es auch anders geht. Wenn man den so vielfältigen Gerüchten Glauben schenken darf." An diesem Abend hielten wir beide uns am Alkohol fest. Aber sein Kommentar war mir trotz meines Alkoholpegels im Gedächtnis geblieben.

Pünktlich am 1. April, zwei Wochen vor dem in diesem Jahr sehr spät liegenden Osterfest, machte ich mich mit unserer Eisenbahn auf den über 1.200 Kilometer weiten Weg Richtung Westen. Bei Kilometer 787 endete nach eineinhalb Tagen die Bahnfahrt am Bahnhof Nyahua auf 1.250 Meter Höhe. Bis zum althergebrachten Handels- und Karawanenzentrum von Tabora waren es noch weitere rund fünfzig Kilometer. Ich konnte mich glücklicherweise mit meinem Reitpferd einer Karawane anschließen, die dasselbe Reiseziel in Kigoma hatte. Nur war das Tempo auf den verbleibenden dreihundertfünfzig Kilometern nachhaltig langsamer. Wir brauchten zehn Tage, dafür reiste ich sicher und konnte nicht im unbekannten Gelände verloren gehen. Ich wusste, dass wir nach Fertigstellung der Mittellandbahn für dieselbe Strecke etwa zwanzig Stunden Fahrzeit benötigen würden.

Am Karfreitag erreichte ich als Teil der arabischen Handelskarawane Kigoma. Langsam das stetige Gefälle zum Seeufer marschierend sah man den silbrig glänzenden See bereits Stunden zuvor, dessen gegenüber liegendes Ufer man im nachmittäglichen Dunst noch nicht einmal erahnen konnte. Ich musste den Worten Direktor Hubers spontan zustimmen: „Kigoma ist am Rand unseres Deutsch-Ostafrikas und somit auch am Rand unserer Zivilisation", hatte er in der typischen Art eines Kolonialbeamten gesagt. „Es ist eine afrikanische Kleinstadt, die darauf wartet, zum wichtigsten Handelszentrum am Tanganjikasee, ja aus meiner Sicht in ganz Zentralafrika, aufzusteigen. Und Sie, Herr Henschel werden dabei einer der wichtigsten Pioniere sein, denn sie bringen unsere Eisenbahn nach Kigoma und errichten die erste Pieranlage mit Gleisanschluss zu den Weltmeeren."

JoeMo1619
JoeMo1619
233 Anhänger