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Ich Wünschte...

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Es war nach der achten Stunde. Praktisch niemand war mehr an der Schule. Unterricht fand keiner mehr statt, alle Lehrer waren bereits gegangen. Die Putzfrauen gingen durch die Räume, und der Hausmeister säuberte den Schulhof. Ich sortierte noch Schülerakten und kümmerte mich um Papierkram, den ich lange vor mir hergeschoben hatte, weil ich nichts Besseres mit meiner Zeit anzufangen wusste.

Als ich die Schule schließlich verließ, sah ich sie, wie sie am Eingang stand. Sie war allein, rauchte eine Zigarette und stand so lässig an eine Wand gelehnt, wie man es nur tat, wenn man jemandem zeigen wollte, wie cool man war, oder wenn man eben wirklich cool war und es einen nicht kümmerte, welche Wirkung man auf andere hatte.

Weit und breit war niemand zu sehen, den sie hätte beeindrucken können mit ihrem Gebaren.

Außer mir eben.

Mir kam ihr Verhalten dennoch seltsam gestellt vor, und der Triumph, sie durchschaut zu haben, gab mir die Sicherheit, die mir auf dem Gang ein paar Tage zuvor gefehlt hatte. Ich sah sie kurz an und ignorierte sie dann, wie man jemanden ignoriert, den man offiziell nicht kennt. Hätte ich sie gegrüßt oder zur Kenntnis genommen, ich hätte ihr signalisiert, dass mir unsere letzte Begegnung im Gedächtnis geblieben war.

Sie schnippte ihre Zigarette gegen die gegenüberliegende Wand, dass die Funken stoben. Ich reagierte nicht auf die Provokation. Natürlich hätte ich etwas sagen können wegen des Rauchens auf dem Schulgelände, aber es war Nachmittag und ich gehörte ohnehin nicht zu den pedantischen Lehrern, die ständig auf die Einhaltung irgendwelche Regeln pochten, die von Schülern ganz selbstverständlich missachtet wurden.

Dazu gehörte meiner Meinung nach auch das Rauchverbot auf dem Schulgelände lange nach Schulschluss.

Ich lächelte innerlich, fühlte meine Theorie bestätigt ob dieser betont legeren Geste, die sie aus irgendeinem Halbstarken-Film haben musste, so klischeehaft schoss man seine Zigarette nur in Filmen durch die Luft.

Ich ignorierte sie also, drehte demonstrativ meinen Kopf zum Parkplatz, wie um meinen Wagen zu suchen und fühlte mich überzeugend.

Doch als ich an ihr vorbei gegangen war, spürte ich wieder ihre Blicke in meinem Nacken, und ich bekam ein ungutes Gefühl, wie man es hat, wenn man jemandem, dem man nicht traut, den Rücken zuwendet. Ich glaubte zu hören, wie sie die Nase hochzog und mit ihrem Fuß über den Boden scharte. Irgendetwas beunruhigte mich bei dem Gedanken, ihr den Rücken zuzuwenden.

Sie stand dort wie eine Stalkerin, die ihr Opfer wissen lassen wollte, dass sie es stalkte. Oder wie ein paar Mafiagangster, die auffällig unauffällig vor dem Haus eines Geschäftsmannes, warteten, um ihm klar zu machen, dass sie wussten, wo er wohnte und sein Schutzgeld erwarteten.

Aber war das wirklich so oder bildete ich mir das alles nur ein? Warum sollte sie auf mich warten? Ich schüttelte den Gedanken ab.

Ich neige eigentlich nicht zu Verfolgungswahn, was sollte das also?

Es gab eine ganz einfache Erklärung. Das Mädchen wartete einfach auf irgendeine Verabredung.

Es gab keinen Grund, diese Begegnung auf mich zu beziehen. Dennoch empfand ich es als seltsam.

Ich ging zu meinem Wagen, der einsam auf dem Lehrerparkplatz stand, verstaute meine Taschen im Kofferraum und schaute möglichst beiläufig noch ein weiteres Mal in ihre Richtung. Sie stand immer noch dort, unverändert und in der gleichen manierierten Haltung.

Ich stieg in meinen Wagen und fuhr davon.

Doch meine Gedanken blieben bei ihr.

Fünf

Von diesem Tag an hielt ich nach ihr konkret Ausschau. Sie war so etwas wie eine Bekannte geworden. Es war seltsam, aber ich empfand es so. Wenn ich sie sah, dann war ich zufrieden, irgendwie glücklich, wenn man das so sagen darf.

Das mag sich seltsam anhören, aber ich hatte ihre Existenz wahrgenommen, und damit war sie nicht nur irgendwer, sondern ein bekanntes Gesicht. Sie war die erste Person in der neuen Stadt, die ich kennen gelernt hatte jenseits des Kollegiums. Auch wenn ich nichts von ihr wusste.

Zunächst hatte ich das Gefühl, als seien meine Beobachtungen einseitig. Ich fühlte mich unbeobachtet, wenn mein Blick ihr morgens folgte, wenn sie in die Schule ging, wenn ich nach Schulschluss mit dem Auto an ihr vorbei fuhr, wenn ich sie bei Stundenwechseln auf dem Weg von einem Klassenraum in den nächsten sah. Ich beobachtete sie, ohne mir Gedanken darüber zu machen, welche Informationen ich erhielt. Ich bemerkte die Bands auf ihren T-Shirts, ich las die mit Edding gekritzelten Nachrichten auf ihrem schweren Bundeswehrrucksack und versuchte mir ein Bild zu machen.

Es waren einfach Facetten, die ich wahrnahm. Unverbundene Beobachtungen. Ich sah nur und fand.

Sie strahlte eine Souveränität aus, die ungewöhnlich war. In ihrer Clique war sie die unangefochtene Anführerin. Sie war kühl und zurückhaltend, und doch bestimmte sie. Andere mochten lauter sein, aber sie schien den Ton anzugeben. Alpha-Mädchen nannte man das wohl neuerdings.

Zuerst glaubte ich, dass ihre Distanziertheit gespielt war, dass sie damit irgendeine jugendliche Unsicherheit zu kaschieren suchte. Ihre ganze Erscheinung, dieser Gothic-Look, diese schwarz gefärbten Haare, die schwarzen Klamotten. Es schien alles zu klischeehaft.

Es waren diese Dinge, die mir an ihr auffielen.

Dann bemerkte ich aber an der Art, wie sie mich ansah, dass sie mich ebenso beobachtete wie ich sie. Ich wusste nicht, was sie dazu gebracht hatte, wie sie auf mich aufmerksam geworden war, aber es war nicht zu leugnen. Wenn wir uns im Gang sahen und unsere Blicke sich trafen, dann waren das keine zufälligen Blickwechsel. Ich spürte, dass ihre Augen und meine sich etwas sagten. Ich bemühte mich um einen unbeteiligten Ausdruck, versuchte, durch sie hindurch zu schauen, mir nichts anmerken zu lassen.

Als ich mir dessen bewusst wurde, wurden mir unsere Begegnungen unangenehm. Es war jetzt so, als sähe man jemanden, den man nicht mehr kennen wollte, oder bei dem man sich nicht mehr sicher war, ob man ihn kennen sollte. Diese Art von unangenehmer Begegnung eben. Ich versuchte mir auch dies nicht anmerken zu lassen.

Ging es ihr ähnlich? In ihrem Verhalten war dafür kein Anzeichen zu finden.

Es war an diesem Dienstag. Ich hatte Pausenaufsicht, eine ungeliebte Aufgabe. Ich sah, wie eine Kollegin ein paar Schülerinnen in die Raucherzone scheuchen musste. Sie war auch darunter. Ich ging zu meiner Kollegin, weil ich einerseits nichts Besseres zu tun hatte und andererseits auf der Suche nach einem Gespräch war.

„Wer ist denn die Schwarzhaarige da?"

„Das ist Liz. Eigentlich Lisa. Wagner. Aus der 13. Warum fragst du?"

„Ich hatte letztens Ärger mit ihr im Gang."

„Das kann ich mir vorstellen. Die ist eigentlich ganz fit. Pfiffig. Hat kluge Gedanken. Aber in der letzten Zeit lässt sie es in der Schule schleifen und muckt gegen alles und alle auf." Seufzen. „Was will man machen? So sind sie halt in diesem Alter."

Ich nickte und überhörte das generalisierende Statement.

Ich bemerkte, dass sie mich ansah. Liz.

Aus circa 30 Metern Entfernung, quer über den Schulhof. Schon wieder mit diesem spöttischen Lächeln.

Als hätte sie mit einem sechsten Sinn erraten, dass wir über sie sprachen.

Und mein Herz schlug schneller.

Wie aus schlechtem Gewissen, wie aus dem Gefühl, ertappt zu sein.

Aber was hatte ich getan?

Ich hatte mich über eine Schülerin informiert. Dergleichen war ganz normal.

Liz hob den Zeigefinger und machte eine Geste, als würde sie auf mich schießen und formte mit ihren Lippen das Wort „Peng". Dann zwinkerte sie mit den Augen, lachte und drehte sich weg.

Was sollte diese Geste? Wieder irgendwas aus einem Film? Wieder so eine Mafiosi-Gestik: „Ich kriege dich!"?

Während ich so daran dachte, wurde es in einer anderen Ecke laut, und ich musste ein paar renitente Neuntklässler zur Ordnung rufen. Als ich mich wieder umdrehte, war Liz verschwunden. Mein Blick suchte den Schulhof nach ihr ab. Aber ich konnte sie nirgends entdecken.

Als es dann geklingelt hatte, und die Schüler zurück ins Gebäude strömten, stand sie plötzlich neben mir und lächelte mich an.

Es hatte etwas Mysteriöses. Die Szene dauerte nur wenige Sekunden. Sie sagte nichts, und ich sah ihr nach, wie sie im Strom der Schüler verschwand.

Abends im Bett beschäftigte mich diese kleine Begebenheit und nicht die ernüchternde Konferenz des Nachmittags, in der ich mich mit ein paar stinkkonservativen Silberrücken im Kollegium angelegt hatte, die meinten, Innovation wäre ein Begriff des Teufels.

Dieses seltsame Lächeln auf dem Schulhof.

Dieses Katz und Maus Spiel.

Aber welche Rolle spielte ich darin?

Ich hätte die Katze sein müssen.

Warum kam ich mir so mausig vor?

Sechs

Der Himmel schien grau und matt. Der Wind war still, nur eine leichte Brise wehte, aber die Windrichtung schien sich ständig zu ändern. Die Brise trug einen schalen, schwefeligen Geruch herbei. Er war fein, störte nicht, aber man konnte erahnen, dass er, wäre er nur ein wenig stärker gewesen, gestunken hätte. Ich stand inmitten einer ausladenden Ebene. Weit und breit war nichts. Eine glatte Fläche, die pastell-ocker erstrahlte unter einem trüben Himmel. Ohne Sonne, ohne Wolken, fahl.

Weit, weit in der Ferne erst konnte man Gebirge ausmachen, die den gesamten Horizont umschlossen. Sie mochten Hunderte Kilometer entfernt sein. Es war schwierig, Distanzen auszumachen in dieser Leere.

Leise, aber durchaus vernehmbar, erschallte der Schrei eines Greifvogels. Es musste ein riesiger sein. Ich sah in den trüben Himmel. Aber nirgends war etwas zu sehen. Der Himmel war leer. Eine einzige grau-blaue Fläche, die sich in der Unendlichkeit verlor. Wo war der Greif? Seine Schreie waren so laut, dass ich ihn sehen musste.

Mit kalten gelben Augen, Krallen, die mich ohne Probleme hätten packen können, einem riesigen, gebogenen Schnabel. Schwarz und mörderisch. So stellte ich ihn mir vor.

Ich lief ein paar Schritte in eine Richtung, erkannte dann aber, wie sinnlos das war. Als ich mich umdrehte, konnte ich sehen, wie die Brise meine schwachen Fußabdrücke auf dem harten vertrockneten Boden verwischte. Wie von einem unsichtbaren Besen weggefegt.

Der Schrei des Greifs wurde lauter, und ich erkannte Hohn in dem Krächzen. Ich lief noch ein paar Schritte, dann fiel ich auf die Knie. Kauerte mich nieder. Verbarg meinen Kopf in den Händen und weinte zitternd.

Nach einiger Zeit merkte ich, dass die Schreie verschwunden waren.

Ich sah auf.

Da stand sie.

Still, irgendwie feierlich. Asketisch. In ihren schwarzen Jeans und dem ausgewaschenen Shirt. Ihre schwarzen Haare wehten ein wenig in der Brise, gütig lächelte sie und bedeutete mir mit dem Hauch einer Handbewegung, aufzustehen und zu ihr zu kommen.

Sie war wunderschön.

Engelsgleich.

Ich stand unsicher auf und stolperte auf sie zu.

Doch als ich kurz vor ihr stand, da änderte sich ihr Ausdruck. Ihre Miene verfinsterte sich, in ihr war Erstaunen. Ich spürte ihre Augen auf mir und sah an mir hinunter.

Ich war vollkommen nackt.

Erschrocken und voller Scham warf ich mir vor ihr auf die Knie und verbarg meinen Körper vor ihren Blicken. Doch sie stand nur dort mit ausdruckslosem Gesicht und sah auf mich herab. Ich flehte sie an, mir zu helfen. Und ihre Stimme erklang plötzlich in meinem Kopf, aber ihre Lippen bewegten sich nicht:

„Wenn du mich ansiehst und keuch sein kannst, nehme ich dich auf!"

Ich nickte schluchzend und hob meinen Kopf. Doch als ich ihr in die Augen sah, da schoss ein solcher Strahl der Wärme in mich, dass mein Schoß entflammte. Ich versuchte das Gefühl zu unterdrücken, aber es gelang nicht. Dieser Strahl schlug geradewegs in mich, wie ein Stromschlag, wärmte mich, bewegte etwas in mir und veränderte sie in meiner Wahrnehmung. Ihre Haut leuchtete, hell und weiß, ihre Augen strahlten in kräftigem Grün. Die Luft um sie schien illuminiert. Das Schwarz ihrer Haare wurde dadurch in ein Unwirkliches Blau getaucht. Sie war wunderschön.

Und ich begehrte sie.

Mein Begehren, meine Lust, mein Verlangen!

Ich wollte es unterdrücken, um von ihr erlöst zu werden. Aber im gleichen Moment kam ich mir als Verräterin vor, dass ich meine Gefühle für sie verleugnete.

Und sie sah alles, was in mir vorging.

Schaute auf meinen Schoß und sah, wie wenig ich in der Lage war, ihre Bedingungen zu erfüllen.

Ich konnte nicht ruhig bleiben, ich konnte diese Wärme und die Wellen, die durch meinen Unterleib wogten, nicht unterdrücken.

Es war mir unmöglich, es gelang mir einfach nicht, und so gab ich mich dem Verlangen hin, hörte auf meinen Schoß, wandte mich meinen Gefühlen zu und ergab mich ihnen. Es war ein kurzer Kampf gewesen. Ich hatte ihn verloren.

Ich gab es offen und ehrlich zu.

Und dann begann sie, sich von mir zu entfernen. Ohne sich zu bewegen. Sie schien einfach in der Ferne zu verschwinden.

Schwebte davon.

Und ich blieb zurück in dieser unwirklichen Wüste.

Dann wachte ich auf.

Die Hände zwischen meinen Schenkeln. Ich rieb die Bettdecke an meinem Geschlecht. Die Schwere des Traumes lastete noch auf mir wie ein Schuldgefühl. Und mit diesem im Kopf berührte ich mich weiter. Mit beiden Händen zwischen meinen Schenkeln. Im Bett zusammengekrümmt flogen die Finger an meinem empfindlichen Fleisch vorbei, massierten mich.

Schnell und unerbittlich.

Es dauerte nicht lange, bis es sich über mir ergoss.

Mit meinen Gedanken bei diesem engelsgleichen Geschöpf und den Schuldgefühlen.

Letztere blieben noch lange, nachdem ich mich längst wieder beruhigt hatte.

Und sie ärgerten mich, denn ich wollte mich von diesen Schuldgefühlen nicht kujonieren lassen. Wer war diese Instanz, die sich anmaßte, mir vorzuschreiben, was ich fühlen durfte und was nicht?

Ich schlief ein. Nach dem ersten Höhepunkt, den ich seit langer Zeit erfahren hatte.

Am nächsten Morgen konnte ich fast nicht sagen, was Traum und was Wirklichkeit gewesen war. Und ich wollte auch nicht daran denken. Das Schuldgefühl war immer noch nicht verschwunden. Es drohte mir nicht mehr in dem religiösen und fanatischen Ausmaß der letzten Nacht, aber immer noch pochte es unüberhörbar in meinem Kopf.

So etwas träumte man nicht. Und man befriedigte sich zu solchen Träumen nicht.

Ich wischte den Gedanken unwirsch beiseite. Immerhin war ich eine erwachsene Frau und konnte unterscheiden zwischen Richtig und Falsch, und zwischen Traum und Realität.

Sieben

Ich lebte mich langsam in der fremden Stadt ein. Es war nicht so einfach. Ich kannte niemanden in der Stadt und war auch nicht gerade jemand, der leicht Anschluss fand.

Nach dem Stress der ersten Zeit hatte ich nun wieder mehr Zeit für mich, und ich bemerkte, wie die alten Gefühle wiederkamen. Wie all das wieder hochkam, vor dem ich hatte fliehen wollen. Es schien nicht so einfach zu sein, der Vergangenheit zu entfliehen.

Insgesamt war es eine gute Entscheidung gewesen, die Stadt zu wechseln. Es tat alles nicht mehr so weh, und das Suhlen im Selbstmitleid schien mir sogar ein wenig geholfen zu haben. Irgendwann hatte ich dieses billigste aller Gefühle so ausgekostet, bis in jede Pore durchlebt, dass es sich schal und aufgewärmt anfühlte, ständig der Vergangenheit nachzutrauern. Das Messer, mit dem ich mich selbst gepeinigt hatte, war stumpf geworden. Ich konnte es selbst nicht mehr ertragen.

Auf meinem iPod war die Musikgeschichte der Lieder der gebrochenen Herzen versammelt. Von Beethovens Mondscheinsonate bis zu Sinead O'Connors Nothing compares to you. Ich hörte die Zusammenstellung rauf und runter, bis mir beim Joggen der iPod irgendwann geklaut wurde. Wie ich ihn genau verlor, ich wusste es nicht. Irgendwann war er verschwunden.

Was blieb, war das Gefühl der Fremde. Ich war allein in einer anderen Stadt. Ich hatte hier keine Freunde, und auch wenn ich die alten Freunde wieder anrief, blieb die Leere.

Hans tat immer noch weh, aber nun mehr wie die Erinnerung an einen Schmerz. Vielleicht eher wie ein Phantomschmerz. So etwas war er ja auch. Der Schmerz verursacht in einem Körperteil, das nicht mehr existierte. Aber eben ein Schmerz, der noch zu fühlen, nicht zu leugnen war.

Irgendwie entwickelte Liz sich zu einer Art sagen wir Bekannten. Wenn ich morgens in die Schule kam, hielt ich nach ihr Ausschau. Unauffällig natürlich. Ich lief ihr nicht nach oder so, aber ich schaute nach ihr. Es war so eine Art Ritual. Ich stand oben im Lehrerzimmer hinter dem vergilbten Vorhang und schaute hinunter auf den Schulhof. Wenn ich sie entdeckte, schien der Schulhof schöner, verschwand der Beton ein kleines Wenig, und das Grün der Sträucher trat deutlicher hervor, die bunten Jacken und Hosen der Kinder, die Sonne, der Himmel. Alles wurde ein wenig heller, farbenreicher. Es war nur eine Nuance, aber ich merkte es.

Da war einfach nur das Wissen, dass es jemanden gab, an den man dachte und der offensichtlich an einen selbst dachte. Was auch immer sie bewog oder antrieb. Sie hatte kein professionelles Verhältnis, sich mit mir auseinander zu setzen, wie die Kollegen das taten. Es war eine Wahl, die sie getroffen hatte. Sie wollte mich zur Kenntnis nehmen. Das reichte mir schon.

Wenn es sich anbot, blieb ich ein wenig länger in der Schule. Es gab schließlich immer was zu tun, zu korrigieren, vorzubereiten. Solche Sachen halt. Es war keine verschwendete Zeit, es war Arbeitszeit, die ich halt nicht bei mir zuhause absolvierte, sondern in der Schule.

Ich blieb da, nur um zu sehen, wie sie aus der Turnhalle kam nach dem Sportunterricht. Ich stand dann hinter dem Vorhang und wartete auf sie. Nachdem ich gesehen hatte, wie sie die Schule verließ ging ich mit einem besseren Gefühl nachhause. Ich hatte mir ihren Stundenplan angesehen. Vorher allerdings hatte ich mir einen Grund zusammengereimt, um dies zu legitimieren. Ich erinnere mich nicht mehr, wie ich mich gerechtfertigt hatte. Aber ich fand einen Grund, und dann ärgerte ich mich, dass ich mich vor mir rechtfertigen musste.

Wenn ich mit dem Rad fuhr, dann führte mich mein Weg manchmal an dem Haus vorbei, in dem sie wohnte.

Es war ein großes Haus, ein Stadthaus mit Stuckverzierungen. Was ihre Eltern machten, wusste ich nicht. Ich wollte es auch nicht wissen.

Es war alles ganz harmlos. Ich stellte mir vor, dass sie in ihrem Zimmer wäre. Spät abends brannte oft noch Licht. Ich fragte mich, was sie machte. Ob sie las oder ihre Hausaufgaben machte oder ... oder vielleicht an mich dachte.

So wie ich an sie.

Ich fuhr einfach die Straße entlang, weil sie in einer schönen Gegend lag, in einer besseren Gegend mit einer schönen Allee. Es war einfach ein kleiner Umweg, der sich aus vielerlei Gründen lohnte.

Sie war meine erste Bekannte in der neuen Stadt. Eine unbekannte Bekannte oder eine bekannte Unbekannte.

Wenn wir im Gang in der Schule aneinander vorbei gingen, hatte ich das Gefühl, als sähe sie mich an. Als würde sie meinen Blick suchen, meine Aufmerksamkeit oder was auch immer, den ich ihr ungeschickt verweigerte. Ich starrte starr auf den Boden oder suchte mir irgendeinen Punkt, um mich nicht zu verraten.

Ich meinte, hinter meinem Rücken zu spüren, wie sie süffisant lächelte, als würde sie meine Unsicherheit auskosten und als würde alles nach einem Plan verlaufen, den nur sie kannte. Es war mir unangenehm, und ich spürte, wie das Blut schneller durch einen Körper pumpte, wenn wir solch eine Begegnung hatten.

Einmal grüßte ich sie aus Versehen. Ich war in Gedanken irgendwo anders und sah auf, da kam sie mir entgegen, und ohne zu denken grüßte ich sie, wie man Kollegen grüßt oder eigene Schüler. Es war nur ein Kopfnicken und ein genuscheltes „Hallo". Wie man das halt so macht. Ich konnte nicht sagen, ob sie den Gruß erwiderte. Sie war wahrscheinlich zu überrascht. So wie ich überrascht über meine unbedachte Handlung war. Es war einfach automatisch gekommen. Immerhin hatte ich ihr mit dieser Geste zu verstehen gegeben, dass wir einander nicht fremd waren, auch wenn das vielleicht durch viele andere Gesten zuvor bereits klar war. Aber ich hatte es nun offiziell getan.