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Feuer und Wasser

Geschichte Info
Eine unmögliche Romanze.
33.9k Wörter
4.71
40k
8
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Feuer und Wasser

Eine unmögliche Romanze

oder ein Gewitter kann alles bereinigen

*

Jürgen Reissner war geflüchtet.

Von der Großstadt hinaus aufs Land, in ein kleines Dorf mit etwa Einwohnern. Dieses Dorf lag im Hochschwarzwald, etwa 15 Kilometer von der Schweizer Grenze entfernt und teilte sich in mehr als 10 Gebiete und Ortsteile auf, die zu dieser Gemeinde gehörten.

In der Stadt fand er keine Ruhe und Muse um zu arbeiten. Lärm und Hektik störten seine Kreativität und Konzentration und genau das brauchte er wie die Luft zum Atmen. Denn Jürgen war Schriftsteller und Autor.

Angefangen hatte er schon in der Schule als Mitherausgeber der Schülerzeitung, nach dem Abitur fing er bei einer Lokalzeitung an und hatte sich im Lauf der Jahre trotz seiner Jugend bis zum stellvertretenden Redakteur für Politik und Wirtschaft hochgearbeitet. Nebenbei begann er zu schreiben und zwar, wie sein Vater sagte, Schund- oder Groschenromane. So etwas hatte er schon als Jugendlicher gelesen, als diese Literatur am Kiosk mal gerade 1,- DM kostete.

Jürgen hatte das Zeug damals geradezu verschlungen und ein Großteil seines Taschengeldes ging dafür drauf. Krimis, Science Fiktion und Western, er las alles was er in die Finger bekam. Und er las sehr viel. Nur keine Liebesromane, denn da musste er immer heulen, weil ihm seine eigenen Lebensumstände in Erinnerung kamen. Denn als Jugendlicher war er schlaksig, dünn und unsportlich. Zudem schüchtern und ungesellig. Mädchen waren an ihm nicht interessiert, weil er als pickeliger Streber galt und so suchte er sich seine Beschäftigung auf anderen Gebieten. Groschenromane eben.

Später kamen auch noch richtige Bücher hinzu, die seine Fantasie in Schwung brachten.

*

Seine Leidenschaft brachte ihn auch dann zur Zeitung und zum Schreiben.

Er bot seine Groschenromane einem bedeutenden Verlag an, der sein Interesse bekundete und die ersten Folgen seiner Westernserie auf den Markt brachte. Sie verkauften sich entgegen Jürgens Bedenken sehr gut und er setzte die Serie aufgrund der großen Nachfrage fort. Er hatte einen Serienhelden in der Art von "Lassiter" erfunden, nur hieß der „Will Bannister", der in jeder Folge grandiose Heldentaten vollbrachte, Schurken das Handwerk legte und Bösewichter kaltstellte oder kaltmachte, immer eine "herbe Schönheit" kennenlernte (meistens die Dorflehrerin; hübsch, schlank, rothaarig, mit großem Busen und frigide), die im Laufe der Geschichte entweder erschossen, anderswie umgebracht wurde, oder nicht bindungsfähig oder gar willig war.

Also genau so, wie es ihm in seinem Leben erging.

Er brachte immer mehr Zeit an seiner Schreibmaschine zu, später kam ein erster Computer, dann ein Laptop.

Er kündigte seinen Job bei der Zeitung, denn das was er mit seinen Romanen einnahm, überstieg sein Gehalt bei der Zeitung um einiges.

Er war als Autor bei einem großen Verlag angekommen und schrieb auch für andere „Starautoren" und Serien.

*

Aber so phantasievoll er in seinen Geschichten war, im richtigen Leben war er ein echter Nerd.

Jetzt war er 37 Jahre alt und wohnte immer noch bei seinen Eltern im Haus. Gut, er hatte seine eigene Wohnung, aber er aß immer noch zuhause, da er nicht kochen konnte und seine Wäsche wurde von seiner Mutter gewaschen und gebügelt. Wenn er diesen Komfort nicht gehabt hätte, dann hätte er von Fastfood gelebt und wäre wahrscheinlich im Plastikmüll und schmutziger Wäsche erstickt.

Freunde hatte er keine, denn er war einfach nicht in der Lage soziale Kontakte zu knüpfen und im Umgang mit dem anderen Geschlecht war er mehr als schüchtern. Er brachte kaum ein vernünftiges Wort hervor, wenn ein weibliches Wesen in seiner Nähe war und legte mehr als eine normale Zurückhaltung an den Tag.

Darum hatte er auch keine Freundin, geschweige denn eine Frau. Er bekam schon Schweißausbrüche, wenn er nur daran dachte, mit einer Frau alleine im gleichen Raum zu sein.

Dabei sah er einmal so schlecht aus. Er war groß und schlank, aber durchtrainiert und muskulös. In Ermangelung von Hobbys und Zweisamkeit mit einem hübschen Mädchen machte er halt Sport, das hieß er lief lange Strecken, fuhr exzessiv mit dem Mountainbike und ging regelmäßig zum Schwimmen. Nun, ein Hobby hatte er schon. Als Junge hatte er entdeckt, dass ihm Musik Spaß machte und er ein gewisses Talent dafür hatte. Aber er wäre nicht Jürgen gewesen, wenn er wie die anderen Klavier, Gitarre oder Geige gelernt hätte, nein, es musste Querflöte sein. Aber seit er seinen Beruf ausübte, kam er kaum noch dazu und so schlief sein Hobby langsam ein. Seine Flöte aber hatte er noch, denn er hatte die Hoffnung nicht aufgegeben, doch einmal wieder damit zu beginnen.

Ansonsten zog er sich zurück und widmete sich ausschließlich dem Schreiben. Aber in der Stadt hatte er eben keine Ruhe und so entschied er sich, aufs Land zu ziehen.

*

Und so konsequent wie er schrieb, so suchte er auch seinen neuen Wohnort aus. Alles musste in der Nähe sein, was er brauchte. Supermarkt, Arzt, Optiker und Elektrogeschäft, ein gutes Restaurant und ein Eiscafé, wo er seiner Leidenschaft für gutes Milch- und Fruchteis nachkommen konnte. Denn auf Eis jeder Art war er ganz verrückt.

Und so kam schlußendlich nur ein Dorf in Betracht. Er fuhr im Urlaub für zwei Wochen dorthin und erkundete Dorf und Umgebung. Was er vorfand entsprach ganz seinen Vorstellungen. Es war alles da, was er brauchte.

Er studierte die Anschläge am Supermarkt nach Wohnungen, fand aber nichts was ihm zusagte. Dafür hatte der Markt aber ein ansprechendes Café mit einfachem, aber schönem Inventar, also bequemen Stühlen und Bänken und mit Tischen, die ausreichend Platz boten, um länger dort zu verweilen und zu schreiben.

Er streunte durch den Supermarkt und fand das Angebot mehr als ausreichend, aber auch teuer. Da machte sich die Nähe zur Schweizer Grenze negativ bemerkbar. In seiner alten Stadt war alles 10-15% billiger. Nun, das sollte kein Hinderungsgrund sein, denn mit seinen Romanen verdiente er ausreichend.

Dann schlenderte er durch das Dorf und nahm die anderen Geschäfte in Augenschein und war zufrieden. Sogar ein Friseur war da und sofort machte er einen Termin für das Wochenende, denn einen Schnitt hatte er bitter nötig. Sein Haar war zu lang geworden und könnte auch mal wieder eine gründliche Wäsche vertragen.

Dann fiel sein Blick auf ein Schild und seine Neugier war geweckt.

Eine Waffeltüte mit drei bunten Eiskugeln und dem Schriftzug „Eisiglu con Melanie e Arne" lockte ihn an, wie eine duftende Blüte die hungrige Biene.

Schade, es war noch geschlossen. ´11 bis 20 Uhr geöffnetˋ stand an der Türe. Er schaute auf seine Uhr. Noch 10 Minuten, solange konnte er warten. Er machte ja schließlich Urlaub.

Bewegungen innerhalb der Eisdiele machten ihn aufmerksam. Ein älterer Mann und eine hübsche Frau, etwa in seinem Alter, stellten verschiedene Eisbehälter in die Kühltheke und beim Anblick dieser Köstlichkeiten lief ihm das Wasser im Mund zusammen.

Jürgen erschrak, als ihm die junge Frau zuwinkte und die Tür aufsperrte.

„Kommen Sie ruhig herein, wir haben ja sowieso gleich geöffnet", sagte sie und lächelte ihn freundlich an.

Sie blickte sich im Thekenbereich um und rief in Richtung des Nebenraumes: „Schatz, kannst du mir noch zwei Packungen runde Waffeln und zwei Sahne mitbringen?"

„Mach ich", vernahm er als Antwort und gleich darauf erschien der ältere Mann mit den gewünschten Dingen.

Schatz??? Er??? Er war doch mindestens 30 Jahre älter als seine Frau, wenn sie das war. Zwei kleine Mädchen, so wie es aussah waren es Zwillinge kamen zu ihm. Er nahm sie auf die Arme und hob sie hoch.

„Meine Güte, ihr werdet auch immer schwerer. Habt ihr schon wieder Marmorkuchen oder etwas gleich Schweres, vielleicht Betonkekse, gegessen?"

Die beiden Kleinen kicherten und gaben ihm einen Kuss. Die eine links, die andere rechts.

„Tante Heidrun kommt uns gleich abholen, Papa. Wir gehen mit Alessa, Tabea und ihr ins Schwimmbad. Können wir bitte, bitte noch ein klitzekleines Eis haben?"

Ihr Vater holte zwei längliche Waffeln und fuhr damit durch zwei verschiedene Eissorten. Jedes der Kinder bekam eine andere Sorte, die wahrscheinlich ihr Lieblingseis war.

Ein Auto fuhr vor und hupte kurz. Die Zwillinge verabschiedeten sich rasch von den Eltern und stürmten nach draußen.

„Puh, Ruhe bis heute Abend", meinte ihre Mutter aufatmend.

„Schon, aber Nummer 1 und 2 sind ja auch noch da."

„Die gehen mit Martina und ihrer Mutter heute in den Märchenwald. Früchte sammeln und grillen, also keine Gefahr von dieser Seite."

„Willkommen, du grenzenlose Freiheit", stieß der Gelatiere hervor und wischte sich übertrieben erleichtert über die Stirn.

„Wie redest du denn von unseren Mädchen, Liebling? Sind wir denn so schlimm?"

„Nein, aber wenn ihr Fünf zusammen haltet, dann stehe ich auf verlorenem Posten."

Alle lachten und sogar Jürgen verzog amüsiert seine Lippen.

„Entschuldigen sie, womit kann ich ihnen dienen?", fragte ihn der Ältere. „Darf ich bekannt machen? Meine Frau Melanie, zwei meiner Mädels haben sie ja schon gesehen und ich bin Arne. Was möchten Sie gerne?"

„Einen großen Eisbecher. Als zweites Frühstück", meinte Jürgen lachend.

Er war locker und verspürte im Gegensatz zu sonst, wenn er Fremden begegnete, keinerlei Nervosität.

Arne deutete auf die Wand hinter sich. Mindesten 20 verschiedene Eisbecher waren dort aufgemalt und mit Namen und Preis bezeichnet. Staunend betrachtet Jürgen die Gemälde, die die Eisspezialitäten täuschend echt darstellten.

„Das hat ein Freund von uns gemalt. Er ist ein Künstler in der Schweiz." Arne grinste und setzte hinzu, „Das hat er mit Absicht gemacht. Jedes Mal, wenn wir das Sortiment ändern, müssen wir Urs kommen lassen, damit er die neuen Kreationen malt. Das ist inzwischen zu einer Dauerbeschäftigung für ihn geworden."

Jürgen hatte inzwischen etwas gefunden, was ihm zusagte.

„Ich hätte gerne einen Coppa Rosa", sagte er mit Überzeugung.

Arne schaute zu seiner Frau.

„Er hat sich den Größten rausgesucht. Ein Feinschmecker", sagte er mit breitem Lächeln. „Da braucht er heute kein Mittagessen mehr."

Was er meinte, war Jürgen klar, als der Coppa Rosa vor ihn hingestellt wurde. Er schnaufte einmal durch, dann nahm er den Kampf auf.

Nach und nach füllte sich die Eisdiele. Jürgen, den niemand kannte, wurde neugierig betrachtet. Zu seiner Überraschung würde er nicht nervös oder unsicher, sondern erwiderte die Blicke der anderen ohne Scheu. Nebenbei lies er sich seinen Eisbecher schmecken und wusste, hier war er nicht zum letzten Mal.

Der Chef kam mit einem Cappuccino an seinen Tisch, fragte ob er sich zu ihm setzen durfte und begann eine lockere Unterhaltung. Er fragte Jürgen, ob er Urlaub machte und wo er untergebracht war.

Jürgen sagte es ihm und fragte, ob er ihm sagen konnte, wo eine schöne Wohnung zu finden war. Er wäre für jeden Tipp dankbar.

„Da kann ich ihnen vielleicht helfen, Herr Reissner, ich werde mich mal umhören."

Jürgen erschrak. Woher kannte dieser Mann seinen Namen?

„Sie sind mir nicht unbekannt, Herr Reissner. Ich habe schon mehr als eines ihrer Hefte gelesen. Kurz, prägnant und immer spannend. Und auf der letzten Seite ist immer ihr Foto und eine kurze Beschreibung. Also recht einfach zu wissen, wer sie sind", sagte er. „So etwas hieß bei uns früher Klo-Lektüre und mein Bruder und ich hatten eine ganze Menge davon. Außerdem schreibe ich selber, andere Themen zwar, aber auch nichts für den Purlitzer Preis. Dann schaut man schon, was die Konkurrenz so zu Papier bringen, um sich selber einschätzen zu können. So, ich muss neues Eis machen. Wenn sie morgen noch Mal vorbeischauen könnten, kann ich ihnen vielleicht schon sagen, wo eine Wohnung frei wäre. Bis dann."

Er schüttelte Jürgen die Hand und ging nach hinten in den Nebenraum. Jürgen bezahlte und marschierte wieder in die Dorfmitte. Er ging in seine Pension und machte einen Mittagsschlaf. Er brauchte wahrlich kein Mittagessen mehr.

Den Rest des Tages verbrachte er mit Bummeln in der näheren Umgebung und am Abend schrieb er den Anfang einer neuen Episode seiner Serie.

*

Am nächsten Morgen erwachte er gut ausgeschlafen, stand eine Weile am offenen Fenster seines Zimmers und genoß die frische Luft. Nach einem ausgedehnten Frühstück schrieb er noch eine Stunde und ging dann in Richtung Eisiglu. Er war neugierig, ob es schon Neuigkeiten wegen der Wohnung gab, denn eines war ihm klar. Wenn das klappen sollte, dann würde er hier bleiben. Die Menschen waren nett und offen, nicht so hektisch und Ichbezogen wie in der Stadt, wo alles anonym und unpersönlich war.

Er konnte es kaum erwarten, bis es 11 Uhr war. Arne´s Frau begrüßte ihn und fragte, ob er wieder einen großen Eisbecher wollte.

Jürgen wehrte lachend ab.

"Um Himmels Willen, nein danke. Wenn ich zwei Wochen lang täglich so einen Coppa Rosa verschlinge, dann brauche ich entweder einen guten Doktor oder einen Schneider, weil ich dann aus allen Nähten platze. Dann lieber einen Cappuccino, denn ich habe erst vor zwei Stunden gefrühstückt."

Arne kam aus dem Nebenraum und brachte zwei große Behälter mit frisch gemachtem Eis mit. Jürgen lief schon wieder das Wasser im Mund zusammen. Joghurt-Kirsch und Pistazie.

Er musste sich schwer zurückhalten.

Arne kramte in der Tasche seiner Jacke und fischte zwei kleine Zettel heraus. Nachdem er Jürgen begrüßt hatte, legte er die Papierstücke vor ihn hin.

"Das sind zwei Adressen und Telefonnummern von Bekannten, die freie Wohnungen haben und vermieten. Rufen sie dort an, sagen sie, was sie suchen und einen schönen Gruß von mir. Sie wollen ja hier im Dorf wohnen, da ist die Auswahl nicht allzu groß. Und es sollte ja eine Wohnung und kein Haus sein. Leerstehende Häuser gibt es einige, bei Wohnungen ist die Auswahl beschränkt. Viel Glück und vielleicht können wir bald einen neuen Mitbürger begrüßen."

Dann ging er hinter den Tresen um seiner Frau zu helfen und Jürgen konnte beobachten, wie routiniert, schnell und freundlich die Kundschaft bedient wurde. Persönliche Worte wurden gewechselt, scherzhafte Bemerkungen flogen hin und her und Eis und Kaffees gingen über die Theke. Es herrschte eine freundliche und lockere Atmosphäre, ganz anders als er es aus der Stadt kannte. Kein Husch-husch und Dalli-dalli, nein, die Leute schienen Zeit für eine kleine Plauderei zu haben und genossen es.

Jürgen schaute auf die beiden Zettel und nahm sich vor nach dem Mittagessen dort anzurufen.

*

Er bezahlte und wollte ganz in Gedanken versunken die Eisdiele verlassen, da prallte er mit einer anderen Person zusammen. Gerade wollte er sich entschuldigen, da hörte er ein freundliches "kaaasch´d it uffbasse, du Dubel?!" und es war eindeutig eine weibliche Stimme, die ihm diese netten Worte widmete. Erschrocken blickte er auf und sah in zwei zornige Augen, die ihn unter zusammengezogenen Augenbrauen böse anschauten. Und er hatte kein Wort verstanden. Nur am Klang der Stimme erkannte er, dass es nicht gerade Nettigkeiten waren, die ihm hier um die Ohren geschlagen wurden.

Ein Mund mit schmalen verkniffenen Lippen gab ihm auch keinen Grund zum Optimismus.

Aber diese Augen. Diese Augen, so groß und dunkelbraun, die sicher nicht nur zornig, sondern auch liebevoll schauen konnten, diese Augen zogen ihn an und ließen ihn nicht mehr los.

Und Jürgen sah nur noch sie.

Die Frau, ein ganzes Stück kleiner als er, schaute böse zu ihm auf, als Arne von hinten rief " keine Aufregung Vira, das kann schon mal passieren" und hinzufügte, "er ist neu hier und weiß noch nicht, wer hier Vorfahrt hat."

Die als `Vira´ Angesprochene schaute zu Arne hin.

"Noch so eine dumme Bemerkung, Arne und ich esse mein Eis woanders."

"Ehrlich?", bekam sie als Antwort. "Mir wäre es zu umständlich, 12 Kilometer wegen einer Kugel Vanille zu fahren."

"Vira" schnaubte verächtlich durch die Nase und ging dann zu Melanie, um zu zeigen, wem ihre Sympathie galt. Arne grinste, er schien diese Dame schon etwas näher zu kennen.

Jürgen war baff, als er mitbekam, wie Arne mit dieser Frau redete. Also er hätte sich das niemals getraut.

*

Er bestellte sich noch einen großen Kaffee, das gab ihm dann die Zeit, diese Vira genauer in Augenschein zu nehmen.

Also rein äußerlich war in der Tat nichts an ihr auszusetzen. Das mochte jetzt etwas nach Macho klingen, aber das war Jürgen nun wirklich nicht. Er sah das alles ganz pragmatisch aus der Sicht eines neutralen Betrachters. „Vira" war ungefähr 1,60 m groß (klein?), relativ schlank und hatte eine passable Figur. Wie sie sich so mit Melanie unterhielt, zeigte sich ganz offen, dass sie ein nur schwer zu zügelndes Temperament hatte. Sie redete mit Händen und Füßen und je nach dem, von was sie sprach (das bekam er auf die Entfernung nicht mit), verzog sie ihr Gesicht zu Grimassen, die eine Bandbreite von lustig bis bedrohlich hatten.

Aber es waren in der Tat ihre Augen, die ihn faszinierten.

Jürgen nahm sich einen Zettel und einen Stift aus der Tasche, so etwas hatte er für schnelle Notizen immer dabei, und schrieb sich einige Dinge auf, die ihm an Vira auffielen und wie er meinte, sie charakterisierten. Vielleicht konnte er ihr Grimassieren und die Gestik in seine Serie einfügen, so dass seine weiblichen Nebendarsteller eine größere Bandbreite bekommen würden. Wenn er daran dachte, wie sie waren, so ähnelte eine der anderen ohne große Abweichungen. So eine wie diese Vira war bisher noch nicht dabei.

Immer wieder schaute er zu ihr hinüber, machte sich Notizen zu Kleinigkeiten, die er bemerkte und bekam allmählich ein ungefähres Bild von ihr. Ein ganz ungefähres.

*

„Was gaffen Sie mich denn so unverschämt an?" dröhnte es mit dem Schalldruck einer startenden F-16 nahe bei seinem Ohr und Jürgen blickte erschrocken auf. Er war so in seine Aufzeichnungen vertieft gewesen, dass er gar nicht bemerkt hatte, dass diese „Vira" zu ihm gekommen war.

Jürgen lief rot an, weil er sich ertappt fühlte. Er schaute sich unsicher um.

„Nun, was ist? Ich habe Sie was gefragt?"

Jürgen räusperte sich. Da musste er jetzt durch.

„Äh, ich habe Sie nicht unverschämt angestarrt, sondern nur so, wie ich eine schöne Frau anschauen würde."

Vira stemmte die Fäuste in die Hüften, schnappte hörbar nach Luft und dann wollte sie loslegen.

„Ja, du ausgschamter, blöder . . . .!"

„ELVIRA!!!", kam es scharf von Arne, in einem Tonfall, der Vira zusammenfahren lies. „Nicht alle sind so, wie du immer meinst. Herr Reissner ist neu hier, möchte sich im Dorf niederlassen und hat mich gebeten, ihm bei der Suche nach einer Wohnung behilflich zu sein. Er kennt dich nicht, du kennst ihn nicht, also unterlasse alles, dass er von vornherein eine schlechte Meinung von dir bekommt. Okay?"

Elvira schaute Arne aufsässig an, dann entspannte sie sich und murmelte kaum hörbar ein „Entschuldigung" zu Jürgen.

„Schon vergessen", sagte der. „Fangen wir noch einmal von vorne an!"

„Vergessen Sie es", brach es aus ihr heraus. „Kein Neuanfang, vergessen Sie, dass Sie mich überhaupt gesehen haben!"

Sie drehte sich um und stürmte aus der Eisdiele hinaus.

*

Jürgen war tief getroffen.

„Was habe ich ihr denn gemacht? Ich kenne sie doch gar nicht."

„Reden wir ein wenig", sagte Arne, „Haben Sie etwas Zeit?"

Jürgen nickte und ging mit Arne an einen kleinen Tisch, nachdem der kurz mit seiner Frau geredet hatte. Die hatte dem Vorfall fassungslos zugesehen und sie verstand ihre Freundin Elvira nicht. Sie kannte ja deren Temperament, aber so einen Ausbruch hatte sie noch nicht erlebt.

„Wenn es Ihnen recht ist, dann bin ich Arne."

„Und ich bin Jürgen und kann mich hoffentlich bald hier niederlassen."

Sie gaben sich die Hand und dann begann Arne zu erzählen.

„Also, jetzt hast du Elvira kennengelernt und was ihr widerfahren ist, das kann man ruhig tragisch nennen. Sie war verheiratet und hat eine inzwischen 17jährige Tochter. Nach außen hin war alles in Ordnung, aber man kann eben kaum hinter die Kulissen schauen. Ihr Mann war dem Anschein nach ein fürsorglicher Ehemann, hat Elvira aber nach Strich und Faden betrogen. Und nicht mit irgendeiner, nein, mit ihrer Schwester und mit ihrer besten Freundin. Und da müssen auch noch ein paar andere gewesen sein. Als Elvira dahinter kam, hat sie die Scheidung eingereicht und es auch durchgezogen. Aber ihr Alter konnte diese für ihn hochnotpeinliche Niederlage nicht verkraften und rächte sich an ihr.